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Berliner VJ-Szene
Vom Experiment zur Theorie

Als vor etwa 15 Jahren der Visual Jockey (VJ) als visuelles Pendant zum DJ seinen Einzug in die Clubs hielt, bot Berlin mit seiner spezifischen Clubkultur ein ideales Umfeld für experimentierfreudige Bilderzeuger.

Clubs wie das WMF richteten feste VJ-Pulte ein, eine Clubnacht ohne visuelle Begleitung der Musik schien beinahe nicht mehr denkbar. Doch wie sieht die Berliner VJ-Szene heute aus, nachdem viele Clubs die Videoprojektoren längst wieder abgeschraubt und VJs aus dem Budget gestrichen haben?

VJing in der Form von Clubvisuals, die eine gesamte Clubnacht visuell ergänzen, ist in Berlin, anders als etwa in München, zu einem eher marginalen Phänomen geworden. Jedoch lässt sich beobachten, dass VJing in einer weiter gefassten Definition als visuelle Performance in Echtzeit, die weder räumlich noch zeitlich zwingend an den Club und das Format der Clubnacht gebunden ist, ein durchaus lebendiges Experimentierfeld darstellt.

Historisierung der Clubvisuals

Es war sicherlich nicht zuletzt diese über den Clubkontext hinausweisende Entwicklung des VJings, die zur ersten größer angelegten Historisierung der Berliner Clubvisuals geführt hat: Im Berliner .HBC fand 2010 die Ausstellung Screendancing. A Retrospective of Berlin Club Visuals statt: Die Kuratoren Klaus Kotai und Torsten Oetken präsentierten dort Videoaufzeichnungen aus den Jahren 1999 bis 2003 sowie aktuelle Live-Performances der Berliner Clubvisual-Pioniere, darunter Visomat inc., Lillevan, Pfadfinderei oder Jutojo.

Auch an der Entwicklung der beteiligten Pioniere wird die bereits erwähnte Tendenz deutlich, denn die wenigsten arbeiten heute noch als VJs im Club. Ihre visuellen Betätigungen haben sich in andere, häufig jedoch verwandte Bereiche verschoben. So hat etwa Pfadfinderei 2009 mit Moderat eine audiovisuelle Live-Performance entwickelt. Lillevan tritt unter anderem mit dem Musiker Fennesz in audiovisuellen Live-Performances auf, verlässt aber auch den Bereich der elektronischen (Club-)Musik in Richtung Neue Musik, etwa für die Zusammenarbeit mit der Komponistin Olga Neuwirth.

Die aktuelle Szene

Die aktuelle Berliner VJ-Szene bewegt sich zwar in einem weniger experimentierfreudigen Club-Umfeld als die Pioniere der Neunzigerjahre, dafür kann sie ein bereits bestehendes Netzwerk aus internationalen Verbindungen und Festivals nutzen, die wiederum auf die lokalen Aktivitäten zurückwirken. Die Produktionen der jüngeren Generationen sind dabei gleichfalls geprägt durch eine Öffnung des VJings auf konzertartige audiovisuelle Formate, andere Räume und Musikrichtungen. Der Clubraum wiederum wird immer häufiger Ort für installative visuelle Bespielungen und performative Darbietungen, bei denen entweder die Visuals durch performende Menschen ergänzt oder gleich durch sie ersetzt werden, wie im Falle der Tanzperformance von Bella Berlin als lebende Discokugel.

Zentraler Anlaufpunkt der Szene ist der 2005 gegründete Verein VisualBerlin. Er versteht sich als Knotenpunkt des weltweiten AVIT-Netzwerkes, seine Basis liegt aber konkret in Neukölln, wo regelmäßige Vereinsabende einen Rahmen für den direkten Austausch über ästhetische und technische Fragen bieten. Darüber hinaus organisiert und initiiert der Verein Workshops und Projekte wie das VisualBerlin Festival im Juni 2010. Doch lädt VisualBerlin nicht nur nach Berlin ein, die internationale Vernetzung wird auch durch die Mitglieder repräsentiert. So gehören Auderoselavy und Raquel Meyers beispielsweise dem vorwiegend zwischen Paris und Berlin agierenden Homemade-Kollektiv an, während Ilan Katin eine Verbindungslinie zieht zur VJ-Software Modul8 und dem Mapping Festival in Genf.

Theorie und Praxis

Der Orientierung des VJing auf andere Präsentationsformate geht auch einher mit einer theoretischen Diskussion um VJing und angrenzende Phänomene wie Visual Music oder Live Cinema, wobei diese nur bedingt im üblichen wissenschaftlichen Hochschulrahmen stattfindet.

Die theoretische Debatte wird in regem Austausch zwischen Theorie und Praxis geführt, nicht zuletzt, weil viele Theorietreibende zugleich künstlerisch tätig sind, wie Mia Makela, die wesentlich für das Konzept des Live Cinema als audiovisuelle Echtzeit-Performance einsteht. Elena Romakin hat die Kombination aus theoretischem Vortrag und Live-Performance für ihr Projekt Laika gleich zum Programm erklärt hat, diese Kombination wird aber auch von Festivals wie dem Club Transmediale bereits seit Jahren praktiziert. Berlin erweist sich somit nicht nur als aktive Drehscheibe für aus dem VJing hervorgehende Entwicklungen, es bietet zudem ein Umfeld für seine diskursive Rahmung.
 

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