Geschichte des Gebäudes des Goethe-Instituts Istanbul

Goethe Institut Istanbul © © Goethe-Institut. Foto Bernhard Ludewig Goethe Institut Istanbul © Goethe-Institut. Foto Bernhard Ludewig

DAS VERNUDAKI-HAUS / GOETHE-INSTITUT ISTANBUL

Sehr, sehr, sehr, sehr, sehr schönes Gebäude...
Es ist beruhigend, die Unterschriften der Architekten neben dem Eingang zu sehen: A. D. Yenidunia und C. P. Kyriakides.
Das ist ein wichtiges Indiz.
Ich begann meine Spurensuche auf der Website des derzeitigen Nutzers des Gebäudes, des Goethe-Instituts Istanbul. Ich hatte das positive Vorurteil, dass "vielleicht die Deutschen es erforscht hätten". Aber nein, auch sie hatten nichts über das Gebäude veröffentlicht.
Dann habe ich mir Kubilay Arpacıs Dissertation "Signaturen des Handwerks in der Istanbuler Architektur" angesehen, die vielen Menschen nützlich sein kann, die von der Signatur des Architekten ausgehend Nachforschungen betreiben wollen; dort wird das Gebäude als "Venilahi Apartment" bezeichnet. Aber auf den Fotos, die ich gemacht habe, steht "Vernudachi". Ich bin mir sicher.
Ich suche, suche, suche... Wer oder was ist dieser Vernudachi?
Es stellt sich heraus, dass es sich um die italienische Schreibweise von Vernudaki handelt. Woher ich das weiß? Von Mario Vitti.


Das Gebäude, in dem auch Mario Vitti wohnte

Wer ist Mario Vitti? Einer der ehemaligen Bewohner dieses Gebäudes und einer der drei wichtigsten Autoren in der Geschichte der zeitgenössischen griechischen Literatur (wie ich erfuhr).

Um ehrlich zu sein, habe ich die Dutzenden von Texten über ihn sowie sein Buch "Die Stadt meiner Geburt, Istanbul 1926-1946", übersetzt von Sula Bozis und herausgegeben vom Istos Verlag, dank des Vernudaki-Hauses gelesen (das Bild auf dem Cover ist übrigens sehr schön, ich habe es sogar im Rahmen eines Gebäudevergleichs geteilt).

Mario Vitti wurde 1926 auf Büyükada als Sohn eines griechischgemachten levantinen Vaters italienischer Abstammung und einer griechischen Mutter geboren; seine Kindheit und frühe Jugend verbrachte er in der Wohnung der Familie in der Tomtom-Kaptan-Straße in Beyoglu und im Vernudaki-Haus.

Wenn man Vittis Bericht über Istanbul liest, würde man die Stadt nicht wiedererkennen (abgesehen von Details wie Hacıbekir, dem Süßwarenladen mit seinen außergewöhnlichen Confisserieprodukten und Lebon mit seinen einzigartigen Kuchen und Torten)! Es ist ausgesprochen interessant, diese Zeit mit den Augen der Levantiner zu sehen. Ich empfehle die Lektüre allen Interessierten.

Wie auch immer, zurück zu den Vernudakis.

Hamidiye-Brunnen gegenüber dem Vernudaki-Haus
Hamidiye-Brunnen gegenüber dem Vernudaki-Haus | © Nilay Örnek
Gegenüber dem berühmten Brunnen

Mario Vitti beschreibt das Wohnhaus als "gegenüber dem Brunnen, dessen Wasser einst in Galatasaray berühmt war und der jetzt ausgetrocknet ist" gelegen (ich fotografiere den Brunnen von Zeit zu Zeit, Sie begegnen ihm auch in diesem Text. Er befindet sich in desaströsem Zustand, aber er ist immer noch da; Sie können mehr darüber erfahren, indem Sie auf diesen Link klicken).

Die Vernudakis waren eine Familie mit 5 Kindern, davon 2 Jungen. Fani, Erifili und Marika hießen die Mädchen... Frangiskos und Petros ihre Brüder. Selbst zwischen der jüngsten Schwester und Mario Vitti liegen noch etwa 25 Jahre.
 

Tod durch ein am Tisch erhaltenes Telegramm

Als Vitti in die italienische Grundschule kommt, zieht die Familie in das Vernudaki-Haus, das 200 Meter von der Schule entfernt ist. Die Familien kennen sich bereits. Die Mutter der Familie Vernudaki ist eine alte Freundin von Vittis Großmutter.

Dennoch ist wahrscheinlich davon auszugehen, das finanzielle Probleme der Familie der Grund dafür sind, warum die Vernudakis Mieter aufnehmen.

Der Vater der Familie Vernudaki, dessen Namen ich nicht ausfindig machen konnte, erhält zur Zeit des Ersten Weltkriegs ein Telegramm, während er in diesem Gebäude zu Abend isst. Und infolge der Nachricht in diesem Telegramm verstirbt er noch am Tisch an einem Herzinfarkt. In dem Telegramm steht, dass ein Güterzug, der sich aus dem Ausland auf dem Weg ins Land befindet, von einer Bombe getroffen wurde. Vitti schreibt: "Heute können wir sicherlich mehr oder weniger erahnen, was der Zug während des Krieges geladen hatte." (Manchmal fällt es mir schwer, solche Anspielungen zu verstehen; handelte es sich um Waffen?)
 

Weder den Mädchen noch den Jungs gelingt es zu heiraten!

Nach diesem Vorfall verschlechtert sich die finanzielle Situation der Familie.

Sowohl die drei Schwestern, die "nicht in der Lage sind, eine Mitgift vorzubereiten", als auch die beiden Brüder, denen es nicht gelingt, sie bei der Vorbereitung einer Mitgift finanziell zu unterstützen, bleiben für den Rest ihres Lebens unverheiratet.

"Aufgrund der wirtschaftlichen Situation war die Instandhaltung des Gebäudes schwierig", sagt Vitti, "abends, wenn sie ihre Suppe mit Maggi-Würfeln und Fadennudeln aßen, schnitten sie die Todesanzeigen, Kreuze und kirchlichen Nachrichten aus den Zeitungen heraus und benutzten das, was übrigblieb, als Toilettenpapier (damals gab es keine Toilettenpapierrollen). Wenn man ein Zeitungsblatt in die Hand nahm, um sich auf der Toilette zu reinigen, musste man darauf achten, dass man mit der Hand nicht in jene Aussparungen gelangte, die durch die Schnitte entstanden waren".
 

Die Eigentümer gegen das Gebäude 1937 auf

Die drei Schwestern haben Mario Vitti immer geliebt und beschützt, als wäre er ihr Bruder, und mehr noch, als wäre er ihr Kind. Auch die Liebe von Vitti zu diesen drei Schwestern ist sehr besonders...

Am Ende des Buches gibt es ein besonderes Kapitel über sie. Dort erfahren wir weitere Dinge über das Gebäude. Lassen Sie mich zwei verschiedene Zitate anführen:
"1937 wanderten die drei Schwestern gemeinsam mit ihrem Bruder Petros und ihrer Mutter, die immer streng, unnahbar, dünn und nicht besonders hübsch war, nach Athen aus. Die Familie hatte das Haus, in dem wir einst gewohnt hatten, verkauft, das baufällig geworden war und unter der Hypothek zerfiel (...) Nachdem sie ihre Schulden abbezahlt hatten, kauften sie mit dem verbliebenen Geld ein kleines Haus im Stadtteil Patisia." S. 139
 

Stiftung der Alumni des Istanbul Erkek Lisesi

"Heute sind dieses Gebäude und sein Eisentor auf außergewöhnliche Weise restauriert worden. Der Name der Familie, der früher in einer knorrigen Schrift auf der Tür des Wohnhauses stand, steht jetzt in kalligraphischen Lettern geschrieben, allerdings in der italienischen Version Vernudachi statt der französischen Vernudaki. Hier residiert jetzt das Goethe-Institut". S. 39

Das Gebäude wird gemeinsam von der Bildungsstiftung der Alumni des Istanbul Erkek Lisesi und der Alumnistiftung des Österreichischen Gymnasiums betrieben. Es beherbergt auch ein Restaurant namens Litera.

Als ich viele Erkenntnisse auf Instagram teilte, erhielten wir innerhalb eines Tages neue Informationen, Dokumente und Fotos! Zuerst erreichte mich eine Nachricht der Architektin Görkem Tunalı:

"Liebe Nilay, als ich Ihre Beiträge gesehen habe, war ich begeistert und habe selbst auch einen Blick darauf geworfen, da meine Liebe zum Jugendstil einen besonderen Stellenwert für mich hat. Das Gebäude ist auf der 38. Seite der Goad-Karten von 1905 als 'Apparts Vernoudaki' verzeichnet. Es muss also vor 1905 erbaut worden sein. Die Adresse lautet Rue Yeni-Tcharchi 50". Sie schickte mir die Karte!
 

Jahr der Errichtung und Restaurierung, Eigentümer?

Dann holte die Innenarchitektin Didem Avincan ein auf den Namen von Efili Vernudaki, der ältesten Tochter der Familie Vernudaki, ausgestelltes Dokument und Schwarz-Weiß-Fotografien, die Eleonora Arhelaou 1996 (also vor der Restaurierung) gemacht hatte aus dem Architekturarchiv von Salt hervor und schickte sie mir.

Diesmal hatte ich mir weder die Goad-Karten noch das Eleonora Arhelaou-Archiv angeschaut. Das Bild vervollständigte sich.

Übrigens hatte ich zwar versucht, entlang der verschiedenen Schreibweisen des Namens "Vernudaki" zu recherchieren, aber ich glaube, dass ich die Variante "Vernoudaki" außer Acht gelassen hatte.

Plötzlich entdeckte ich viel mehr: 
1- Das Gebäude wurde im Jahr 1895 erbaut.
2- 85 Prozent gehören der Alumni-Stiftung des Istanbul Erkek Lisesi (İELEV) und 15 Prozent der Alumni-Stiftung des Österreichischen Gymnasiums.
3- Es wurde 1995 erworben und 1998 restauriert. Am 25. Februar 1999 wurde es unter dem Namen Kültürevi / Kulturhaus wiedereröffnet.
4- Und ich habe ein Foto der Mutter der Familie Vernudaki gefunden, das von den Gebrüdern Abdullah im Jahr 1870 aufgenommen wurde!
5- Barış Altan, der sich speziell für die Unterschriften von Architekten auf Gebäuden interessiert, schrieb wie folgt: "Es ist sehr schön, die Signaturen der Architekten zu haben, aber leider sind sie nicht original. Während der Restaurierung in den späten 90er Jahren wurden die Unterschriften von ihrem ursprünglichen Platz nach oben versetzt und einige kleinere Änderungen vorgenommen. Natürlich ist es nicht möglich, die Gründe dafür nachzuvollziehen".
 

Jugendstil mit Geometrischen Elementen

In der Abhandlung von Arpacı heißt es, dass "das Gebäude, dessen Fassade im Jugendstil gestaltet ist, überwiegend geometrische Elemente des Jugendstils aufweist"; das Gebäude wird als "vierstöckiges Ziegelsteingebäude" beschrieben.

Ich kenne das Baujahr nicht, aber aus all diesen Texten können wir davon ausgehen, dass das Gebäude in den 1920er Jahren existierte.

Über die Architekten A. D. Yenidunia und C. P. Kyriakides, die ihre Signatur hinterlassen haben, haben wir noch nicht gesprochen.
Aber kurz gesagt, diese beiden Architekten arbeiteten zwischen 1901 und 1903 an vielen Gebäuden gemeinsam; das berühmte Frej-Haus, Türkiye Han, das ich immer bewundere, wenn ich nach Eminönü fahre, Ravouna 1906 und dieses Gebäude sind die bekanntesten unter ihren Arbeiten...
 

BEREKET APARTMANI

Der Name des Wohnhauses wird immer wieder anders angegeben, das hatte ich schon erwähnt, doch gab es wohl auch eine Zeit lang die Bezeichnung "Bereket Apartmanı". Bereket bedeutet Segen, Überfluss, Fruchtbarkeit. "Wie, wann und warum es zu Bereket wurde?"; ich habe keine Ahnung.
Das erfahre ich zum ersten Mal in einem Interview mit dem Architekten und Maler Refael Avidor über sein Buch "Pera Darmademans", das von der Architektenkammer Istanbul veröffentlicht wurde...
Darmademans bedeutet auf Türkisch "darmadağın", "darmaduman", sehr unorganisiert und verworren, desolat, durcheinander.
Avidor wurde durch eine wahre Begebenheit zu einer der Geschichten in Pera Darmademans inspiriert, die mit seinen Zeichnungen und Gedichten angereichert ist. Er musste nämlich einen Abriss im Bereket Apartmentgebäude durchführen, in dem sein Onkel wohnte; er war Architekt, aber ich glaube, er gehörte zum Abriss-Team, weil er nicht genügend Arbeit hatte. Ein Abriss, der auf Beschluss der Stadtverwaltung in den obersten beiden Stockwerken durchgeführt wurde... 
 

UND... DAS GEBÄUDE, IN DEM "GEFÄHRLICHE SPIELE" GESCHRIEBEN WURDE

Auf der Website gibt es einen Artikel mit dem Titel "Die Wohnung, in der Oğuz Atay „Tutunamayanlar“ schrieb".
Das Gebäude hat keinen Namen. Ich habe eine Notiz dazu gemacht: "Istanbul, Beyoğlu, am oberen Ende der Cezayir-Straße, auf der Hayriye-Straße, die zur Tophane zurückführt, Hausnummer 9, zweiter Stock".
In diesem Haus leben Sevin Seydi und Oğuz Atay. 

Dann geht Sevin Seydi nach London, und ihre Beziehung, die sie eine Zeit lang aus der Ferne geführt haben, endet nach einiger Zeit. Nach der Abreise von Sevin Seydi nach London zog Oğuz Atay in den vierten Stock des Wohnhauses Nr. 52 in der Yeniçarşı-Straße und schrieb in diesem Haus unter dem Eindruck des Trennungsschmerzes "Gefährliche Spiele". Am deutlichsten wird dies in Yıldız Ecevits Biografie über Oğuz Atay, „Ben Buradayım“ (İletişim Yayınları) (das alte Foto auf der Buchseite befindet sich auf S. 440). 

Wie interessant... Wenn wir von Oğuz Atay ausgehen und sein Leben und seine Bücher betrachten, können wir dank investigativer Autoren wie Yıldız Ecevit an Informationen gelangen, zum Glück! Aber wenn wir vom “Gebäude" selbst ausgehen, finden wir nichts. Es ist nicht möglich, Informationen über das Gebäude direkt einzuholen. Hierfür benötigen wir diese Kontexte. Die Innenarchitektin Didem Avincan hat mich wieder an das erinnert, was ich in meinem Artikel über Oğuz Atay geschrieben hatte. Glücklicherweise.

Damals hieß das Gebäude Bereket Apartmanı.
 

BILDERGALERIE VERNUDAKI-HAUS

  • Vernudaki-Haus © Nilay Örnek

    Vernudaki-Haus

  • Vernudaki-Haus © Nilay Örnek

    Vernudaki-Haus

  • Hamidiye-Brunnen gegenüber dem Vernudaki-Haus © Nilay Örnek

    Hamidiye-Brunnen gegenüber dem Vernudaki-Haus

  • Mario Vitti / Doğduğum Şehir © Nilay Örnek

    Mario Vitti: Doğduğum Şehir. İstanbul 1926-1946 / İstos Yayınları, 2022 / Çevirmen: Sula Bozis / 144 Sayfa

  • Mario Vitti / Doğduğum Şehir © Nilay Örnek

    Mario Vitti: Doğduğum Şehir. İstanbul 1926-1946 / İstos Yayınları, 2022 / Çevirmen: Sula Bozis / 144 Sayfa

  • Vernudaki-Haus © Nilay Örnek

    Vernudaki-Haus

  • Vernudaki-Haus © Nilay Örnek

    Vernudaki-Haus

  • Vernudaki-Haus © Nilay Örnek

    Vernudaki-Haus

  • Vernudaki-Haus © Nilay Örnek

    Vernudaki-Haus

  • Vernudaki-Haus © Nilay Örnek

    Vernudaki-Haus

  • Vernudaki-Haus © Nilay Örnek

    Vernudaki-Haus

  • Vernudaki-Haus © Nilay Örnek

    Vernudaki-Haus

  • Vernudaki-Haus © Nilay Örnek

    Vernudaki-Haus

  • Vernudaki-Haus © Nilay Örnek

    Vernudaki-Haus

  • Vernudaki-Haus © Nilay Örnek

    Vernudaki-Haus

  • Vernudaki-Haus © Nilay Örnek

    Vernudaki-Haus

  • Vernudaki-Haus © Nilay Örnek

    Vernudaki-Haus

  • Vernudaki-Haus © Nilay Örnek

    Vernudaki-Haus

QUELLE

Dieser Artikel wurde mit freundlicher Genehmigung der Journalistin Nilay Örnek von ihrem Blog "Her Umut Ortak Arar" übernommen. 

Übersetzung: Yontu Diker

 

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