Melodien unter Tage
Klangwelt Taiwan

Metro Taipei
Foto: © Gabi Schaffner

Ist es nun diese Melodie oder ist sie es nicht? Ich stehe auf dem Bahnsteig der grünen Linie Songshan-Xinian im Bahnhof Gongguan. Die roten Lichter, die die Ankunft des Zugs verkünden blinken rhythmisch, zugleich umdudelt eine jazziges Medley die ordentlich in Warteschlangen aufgereihten Passagiere.

Auf dem Bahnsteig gegenüber geschieht Gleiches, nur zeitversetzt. Unter der Stahlbetondecke der Station schweben die Töne – es ist ein recht eiliges Schweben – nun ineinander, werden von den Pfeilern reflektiert, vom Surren der Rolltreppen untermalt und werden begleitet von dem optimistischen  Singsang der Werbefilme, die auf den Bildschirmen über dem Bahnsteig gezeigt werden.
 
Metro Taipei Foto: © Gabi Schaffner Die musikalische Welt der U-Bahnhöfe in Taiwan hat surreale Qualitäten. Nicht nur, dass jede der vier Hauptlinien ihre eigene „Warnmelodie“ hat. Zum einen stellt sich auch eine mehr oder weniger willkommene Atonalität über die zeitversetzten Einsätze her. Zum anderen liegt eine sonderbare Doppelbödigkeit in diesen Klanggemisch, die von einem gedanklichen Pendeln zwischen Déjà-Vue und Ratlosigkeit herrühren mag. Die Melodien scheinen bekannt, und doch ist jede einzelne speziell für diesen Zweck komponiert worden.
 
Klar ist, dass die „Klanggeber“ der Verkehrsgesellschaft Metro Taipei (kurz MRT) ein freundliches, Aufmerksamkeit heischendes und natürlich zutiefst gewaltfernes akustisches Signal schaffen wollten. Was sich nicht von den „Achtung, Tür schließt! “Signalen  sagen lässt. Deren Piepsen erinnert vielmehr an das Staccato indischer Streifenhörnchen, die sich einen lustigen Morgen unter und auf den Bäumen Indiens machen.

Metro Taipei Foto: © Gabi Schaffner Als Randnotiz kann angemerkt werden, das die Komposition von Untergrundbahnklängen stets das Wohl der Menschen im Sinn hat. In Südkorea etwa wurde 2004 an 76 Stationen eine so genannte „Suizidpräventionsmusik“ gespielt. Man hoffte, die zerbrechliche Seele der Selbstmörder mit dieser Form von Musiktherapie zu trösten und sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Der Komponist Zhou Yuecheng hatte für sein „beruhigendes Jazzstück mit Chopin“ (grüne Linie) ein bescheidener gestecktes Ziel. Er wünschte sich, dass die Menschen unter dem Einfluss seiner Musik weniger auf ihren Handys surfen und stattdessen „den Klang und die Wahrnehmung des Lebens“ erforschen.
 
Komponisten der Klanglandschaften der MRT
 
Blaue Linie: Li Xinyi
Grüne Linie: Zhou Yuecheng
Rote Linie: Lei Guangxia
Orangene Linie: Chen Jianbiao