Ein Aufstieg gegen alle Wahrscheinlichkeit

Nizaqete BislimiNizaqete Bislimi
Nizaqete Bislimi: Vom mittellosen Flüchtlingskind zur Anwältin für Ausländer- und Asylrecht.

Es ist eine Geschichte, wie gemacht für einen Hollywoodfilm: Vom mittellosen Flüchtlingskind zur Anwältin für Ausländer- und Asylrecht. Verkörpert von einer sympathischen, jungen Frau, die diese Geschichte selbst erlebt hat. Es ist ihr Leben – und dieses Leben erzählt nicht nur sehr viel über den gesetzlichen und sozialen Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland. Es erzählt mindestens ebenso viel darüber, wie schwierig es nach wie vor ist, sich in Europa zur Minderheit der Roma zu zählen. Es ist das Leben von Nizaqete Bislimi – nachzulesen in ihrer Autobiographie „Durch die Wand“.

Durch die Wand ist ein packendes Buch, auch wenn die Sprache oft behäbig und die Schilderung betont freundlich ist. Beides wird aufgewogen durch die Relevanz und auch das Sehnsuchtspotential dieser Biographie, die scheinbar eine moralisch hochwertigere Version der alten vom „Tellerwäscher zum Millionär“-Legende erzählt. Von Menschen bei Maischberger über das ZEITmagazin und die Seite 3 in der Süddeutschen Zeitung griffen nahezu alle Medien diese Geschichte auf.

Vierzehn Jahre Angst vor Abschiebung

Denn die aus dem Kosovo stammende Nizaqete Bislimi, die heute 36 Jahre alt ist, hat sich bewusst gegen eine Karriere als hochbezahlte Wirtschaftsjuristin entschieden. Stattdessen arbeitet sie in der Kanzlei, die auch für ihre Familie nach 14 Jahren „Kettenduldung“ endlich eine dauerhafte Perspektive erfochten hatte. Als Anwältin kümmert sie sich nun ebenfalls um Flüchtlinge. Wer ihr Buch liest, erhält eine Ahnung davon, welche fatalen Auswirkungen Gesetzesänderungen, wie etwa die neuen Schnellverfahren bei der Bearbeitung von Asylanträgen, haben können. Und auch davon, was „Wirtschaftsflüchtling“ im Fall der Roma aus den Balkanländern aktuell bedeutet – nämlich nicht die Flucht, um mehr zu verdienen, sondern die Flucht vor einer faktischen Ausgrenzung aus der Gesellschaft. Ohne Zugang zu Bildung, Wohnraum, Krankenversorgung, sozialen Leistungen oder der Möglichkeit zu arbeiten.

© DuMont Buchverlag

Aus dem Wohncontainer in den Hörsaal

Auch in Deutschland war nicht alles einfach für Nizaqete Bislimi. Das Abitur und später das Jurastudium absolvierte sie unter erschwerten Bedingungen. Im Containerdorf für Flüchtlinge, direkt an der Autobahn, besaß sie kein eigenes Zimmer und allein der Weg zur Uni und zurück kostete sie täglich fast vier Stunden, die sie mit Bus, U-Bahn und Zug bewältigte. Bafög stand ihr als „Geduldeter“ nicht zu. Geholfen hat ihr damals, neben ihren vier Geschwistern und ihrer Mutter, auch die Unterstützung deutscher Freunde. Trotzdem gab es aber auch genug Verwaltungsangestellte, Richter oder Lehrer, die ihr Steine in den Weg legten und ihr jedes Recht auf Bildung absprachen. „Heirate, Mädel!“, riet ihr etwa der Berufsberater des Arbeitsamtes, als sie ihm in der zwölften Klasse mit exzellenten Noten, aber als „Geduldete“ gegenüber saß. Sie wies ihn auf sein eigenes Schild hin: „Da steht ,Merkel sagt, was niemand wagt‘ – Sie können doch bestimmt etwas für mich tun. Er aber schüttelte nur den Kopf.“ Dieses Kopfschütteln sollte nicht das einzige bleiben.

Auch den anderen Flüchtlingen gegenüber war es schwer, ihren Lerneifer zu verteidigen. „Warum strengst du dich an? Wir werden doch sowieso abgeschoben.“ Doch am meisten Energie fraß wohl die ständige Angst vor Abschiebung. Vierzehn Jahre dauerte diese Angst. Der gerichtliche Prozess ging über viele Instanzen. Am Ende war Nizaqete Bislimi selbst Juristin. Ihren Studienerfolg nahmen die Behörden zum Anlass, um ihr einen Tauschhandel vorzuschlagen – sie selbst dürfe bleiben, wenn ihre gesamte restliche Familie das Land verließe. So wie Nizaqete Bislmi das schildert, klingt sie noch immer empört. Sie weigerte sich und am Ende erhielt ihre gesamte Familie das Bleiberecht.

Stolz und Vorurteile – Doppeltes Stigma als Flüchtling und Romni

Doch Durch die Wand erzählt nicht nur vom sozialen Aufstieg eines cleveren Flüchtlingsmädchens, es erzählt auch die kraftvolle Geschichte einer Selbstfindung. Heute ist Nizaqete Bislimi erste Vorsitzende des Bundes Roma Verbands. Doch bis sie zu ihrer Identität als Romni stehen konnte, vergingen Jahrzehnte. Ein Kinderbuch über einen Jungen mit roten Haaren habe sie sehr berührt, schreibt sie an einer Stelle ihrer Autobiographie. „Um dem Spott zu entgehen, reißt er sich seine roten Locken vom Kopf. Nun wird er aufgrund seiner Glatze ausgelacht“. Am Ende rupft er sich sogar Arme und Beine aus. Bis schließlich nichts mehr von ihm übrig ist. Es dauerte lang, bis Nizaqete Bislimi erkannte, dass sie ähnlich mit ihrer Identität als Romni umging – die ständige Leugnung ihrer Wurzeln kostete sie Kraft. Schließlich setzte sie sich über ihre Angst vor Rassismus und Ausgrenzung hinweg. Heute tritt sie öffentlich für die Anliegen der Roma ein. Dass das notwendig ist, dafür liefert sie in ihrem Buch sowohl sehr persönlich Erlebnisse als auch fundierte gesellschaftliche und historische Analysen.

Als Handlungsempfehlung in Bezug auf die Situation der Roma in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens oder jenseits des Eisernen Vorhangs zitiert Nizaqete Bislimi aus der Rede des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten, Torsten Albig, vor dem Bundesrat: „Statt das Ziel zu verfolgen, Menschen faktisch vom Asylverfahren auszuschließen, sollte Deutschland lieber Druck über die EU machen auf diese Länder, um Diskriminierung und Korruption dort zu verhindern. Dann müssten wir uns keine Sorgen machen, dass dort Roma-Dörfer überfallen werden. Dann müssten wir uns keine Sorgen machen, dass dort Menschen auf Müllhalden leben. Dann müssen wir uns keine Sorgen machen, dass man Kinder nicht zur Schule schickt aus Angst vor Diskriminierung.“

Die Crux mit dem „positiven Rassismus“

Und wie ist die Situation der Roma in Deutschland? „Es gibt viele erfolgreiche Roma in Deutschland. Doch die meisten geben sich nicht als Roma zu erkennen. Aus Angst vor alten Stigmata“, sagt Nizaqete Bislimi. Erst in den letzten Jahren etwa wurde ein Mahnmal für die NS-Opfer unter den Sinti und Roma errichtet. In den 1950er Jahren war ihnen von deutschen Gerichten beschieden worden, dass sie bis 1943 nicht aus rassistischen Gründen, sondern aus „polizeilichen“ verfolgt wurden. Aus diesem Grund erhielten sie auch keine Entschädigung. Erst 2015 gab es zu diesem Gerichtsurteil eine Distanzierung von der Präsidentin des Bundesgerichtshofs.

Für Nizaqete Bislimi aber äußert sich Rassismus heute etwa auch im Applaus vieler Menschen für ihre Karriere. „Denn diese Bewunderung und Anerkennung impliziert ja, dass man eine solche Karriere einem Flüchtlingskind und insbesondere einer Romni überhaupt nicht zutraut.“ Ist also auch dieses Buch positivem Rassismus geschuldet? Vielleicht. Ganz sicher aber ist ein Grund für die Publikation, dass viele Menschen gerade versuchen, sich ein Bild davon zu machen, was es bedeutet, als Flüchtling nach Deutschland zu kommen. Von der sogenannten „Kettenduldung“ sind derzeit rund 100.000 Menschen in Deutschland betroffen.

Maike Wetzel

Copyright: jádu | Goethe-Institut Prag
Januar 2016

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