Berlin in den 1990er-Jahren
Der Charme des Unfertigen

Potsdamer Platz 1996
Potsdamer Platz 1996 | © Michael Lange

Graue Fassaden, leere Straßen und Baukräne am Himmel: Michael Lange ist in den 1990er-Jahren durch Berlins Mitte gestreift und hat das Stadtbild der Nachwendezeit fotografisch festgehalten. Knapp 20 Jahre später hat er die alten Orte wieder aufgesucht. Seine Bilder zeigen, wie sich Berlins Gesicht gewandelt hat.

Als der ausgebildete Fotograf Michael Lange Anfang der 1990er-Jahre aus Niedersachsen nach Berlin kam, hatte er nicht die Idee, die Stadt bildlich zu dokumentieren. Er wollte Publizistik und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität studieren und zog dafür in den Bezirk Prenzlauer Berg. „Berlin war damals einfach eine leere Stadt. Es gab so viele ungenutzte Räume und leerstehende Häuser. Ich war fasziniert von all diesen grauen Fassaden und dem Berliner Ruinen-Chic“, erinnert sich Lange.

In seiner freien Zeit flanierte er mit seiner Kamera durch die Stadt und lichtete die Straßenzüge ab. Alexanderplatz, Schloßplatz, Friedrichstraße, Potsdamer Platz oder das Regierungsviertel: Auf seinen Streifzügen kam er an all den Orten vorbei, die heute bei Berlin-Touristen zum festen Programm ihrer Stadtbesichtigungen gehören. Doch auf seinen Bildern aus den Neunzigerjahren sind die Straßen und Plätze kaum mehr wiederzuerkennen.

In eine andere Epoche zurückversetzt

Fotograf Michael Lange
Fotograf Michael Lange | © Michael Lange
„Mir war damals schon klar, dass Berlin nicht so bleiben wird“, sagt Lange heute. Überall wurde nach der Wiedervereinigung gebaut: Die Brache am Potsdamer Platz wurde für Jahre zu einer der spannendsten Baustellen Berlins, der gesamte Spreebogen wurde untertunnelt und das Regierungsviertel neugestaltet. Auch in Langes direkter Nachbarschaft veränderte sich das Stadtbild. Die alten Holzjalousien an den Fenstern verschwanden, die grauen Fassaden bekamen freundliche Anstriche in Pastellfarben.Erst Jahre später, Michael Lange hat sein Studium beendet und wohnt längst in einem sanierten Altbau, holte er die alten Kontaktabzüge hervor. Er scannte sie ein und war erstaunt über seine eigenen Schwarz-Weiß-Aufnahmen: „Ich fühlte mich zurückversetzt in eine ganz andere Epoche. Ich kannte das alles ja noch und wusste, wie es sich angefühlt hat, durch diese Straßen zu gehen“, erzählt Lange. Er glaubt, dass sich auch andere für die Fotografien interessieren könnten und stellte sie ins Netz.

Anfangs war das Interesse verhalten, es gab ein paar Reaktionen und Kommentare auf seine Bilder. Ende 2013 stieg das Interesse schlagartig. Ein Berliner Verlag wurde auf seine Website aufmerksam und bat ihn, die Orte von einst erneut aufzusuchen. So entstand die Idee für ein Buchprojekt, in dem Langes alten Fotografien aus den 1990er-Jahren Aufnahmen von heute gegenüberstehen. Dem Leser bietet sich so eine kleine Zeitreise in ein Berlin, das es längst nicht mehr gibt.

Wenn er seine Bilder sieht, wird Michael Lange selbst manchmal nostalgisch: „Berlin ist für mich immer noch interessant, aber die Stadt ist heute einfach anders. Sie hat ihren Charme des Unfertigen größtenteils verloren, aber neue Plätze und moderne Gebäude hinzugewonnen.“
 
  • Brunnenstraße (1997) © Michael Lange

    Brunnenstraße (1997)

    „Die Brunnenstraße war typisch für das Berlin der damaligen Zeit. Einfache, sich stark ähnelnde Häuser ohne Stuckfassaden und mit weißen Fenstern. Man sieht viele Lücken und noch die Brandwände der Gebäude, in denen sich im Erdgeschoss einfache Geschäfte befanden. Die ganze Straße wurde quasi umgeräumt, wie ganz Berlin auch.“

  • Brunnenstraße (2014) © Michael Lange

    Brunnenstraße (2014)

    „Die Häuser sind über die Jahre von Investoren saniert worden und werden hauptsächlich als Büros genutzt. Die Geschäfte sind verschwunden. Auch die Clubs wie das ZMF oder der Solar Club weiter die Straße runter in Richtung Fernsehturm gibt es nicht mehr.“

  • Alte Schönhauser Straße (1996) © Michael Lange

    Alte Schönhauser Straße (1996)

    „In den Neunzigerjahren war Berlin-Mitte noch angesagt und die Gegend um die Alte Schönhauser Straße in der Szene sehr beliebt. Hier gab es Clubs, Restaurants und Cafés und kleine Läden, in denen man außergewöhnliche Klamotten kaufen konnte, doch ...“

  • Alte Schönhauser Straße (2014) © Michael Lange

    Alte Schönhauser Straße (2014)

    „... nach und nach haben mehr Kleidungsgeschäfte verschiedener Ketten und Restaurants eröffnet, die sich an ein touristisches Publikum wenden. Dadurch ist auch der morbide Charme der Straße verloren gegangen.“

  • Alexanderplatz (1997) © Michael Lange

    Alexanderplatz (1997)

    „Der Alexanderplatz war historisch immer im Umbruch. Nach den sozialistischen Städtebauplänen nach dem Krieg sollte aus dem Alex ein Platz wie aus einem Guss werden. Doch dieser Zeitgeist vor allem der Siebzigerjahre – das Rationale, das Standardisierte – begann schon nach der Wende überformt zu werden.“

  • Alexanderplatz (2014) © Michael Lange

    Alexanderplatz (2014)

    „Die neuen Pläne von Star-Architekt Hans Kollhoff sehen eine völlige Umgestaltung des Alexanderplatzes vor, zehn neue Hochhäuser sollen hier mal stehen. Der Alex wird sich also weiter wandeln und in zehn Jahren wahrscheinlich wieder völlig anders aussehen.“

  • Schloßplatz (1996) © Michael Lange

    Schloßplatz (1996)

    „Der Palast der Republik war zu DDR-Zeiten Sitz der Volkskammer und gleichzeitig ein Kulturkaufhaus. In den Neunzigerjahren war das Gebäude lange Zeit geschlossen, später wurde es für Führungen und Ausstellungen temporär genutzt. Doch aufgrund seiner hohen Asbestbelastung entschied die Politik nach jahrelangen Debatten, den Palast abzureißen und ...“

  • Schloßplatz (2014) © Michael Lange

    Schloßplatz (2014)

    „... das alte Stadtschloss wieder aufzubauen, dessen Rohbau heute am Schloßplatz schon zu sehen ist. Ich persönlich hätte den Palast als authentisches Zeichen der Geschichte stehen lassen, anstatt diese Schlossattrappe zu errichten. Im Stadtschloss selbst soll später einmal ein Raum vorzufinden sein, in dem an den Palast der Republik erinnert werden soll. Das ist doch absurd.“

  • Friedrichstraße (1996) © Michael Lange

    Friedrichstraße (1996)

    „Früher war die Friedrichstraße eine beliebte Unterhaltungs- und Ausgehstraße mit Cabarets und Bars. Sie sollte jedoch zu einer belebten Einkaufsstraße umgewandelt werden. Zum Zeitpunkt der Aufnahme wurde gerade die S-Bahn modernisiert, eine neue U-Bahnlinie gebaut und die Straße neu asphaltiert. Auch die ersten Gebäude der Friedrichstadtpassagen müssten schon fertig gewesen sein.“

  • Friedrichstraße (2014) © Michael Lange

    Friedrichstraße (2014)

    „Nach der Straßensanierung mussten sich die Berliner erst einmal daran gewöhnen, dass sie hier wieder langlaufen konnten. Es waren am Anfang kaum Menschen da, es gab keine Bäume und nur sehr wenig Autoverkehr. Und heute tummeln sich hier die Touristen und Reisegruppen.“

  • Potsdamer Platz (1996) © Michael Lange

    Potsdamer Platz (1996)

    „Das Bild zeigt den Potsdamer Platz in Richtung Beisheim Center als große Brache, auf der lange Zeit gar nichts stand. Im Hintergrund links sieht man das Hotel Esplanade, das später für Aufsehen sorgte, denn der Architekt Helmut Jahn ließ Teile des Hotels aufbocken und verschieben.“

  • Potsdamer Platz (2013) © Michael Lange

    Potsdamer Platz (2013)

    „Heute sind Fassadenfragmente des Hotels und der alte Frühstückssaal im Sony-Center integriert, das mit seinem Zeltdach hinten links zu sehen ist. Der Potsdamer Platz vereint heute ein städtebauliches Ensemble nach amerikanischem Vorbild, das vor allem bei Touristen beliebt ist – und ich frage mich immer, warum eigentlich. Es passt nicht wirklich zu Berlin.“

  • Pariser Platz (1998) © Michael Lange

    Pariser Platz (1998)

    Pariser Platz (1998) „Der Pariser Platz am Brandenburger Tor lag früher direkt an der Mauer und war eigentlich komplett abgeräumt. Schon früh nach der Wende war klar, dass hier qualitätsvoll gebaut und der Platz zu einer Visitenkarte für Berlin werden sollte.“

  • Pariser Platz (2014) © Michael Lange

    Pariser Platz (2014)

    „Trotzdem ist hier eher ein architektonisches Potpourri entstanden. Wenn man die Aufnahmen vergleicht, fällt schnell auf, wie stark der Platz sich gewandelt hat. Ständig sind hier Veranstaltungen oder Demonstrationen, häufig ist der Platz gesperrt, so dass ich sehr viele Anläufe gebraucht habe, um den Platz noch mal zu fotografieren.“

  • Regierungsviertel (1999) © Michael Lange

    Regierungsviertel (1999)

    „Nachdem nur mit knapper Mehrheit die Entscheidung für Berlin als Hauptstadt fiel, zogen der Bundestag und die Regierung 1999 von Bonn nach Berlin. Zu diesem Zeitpunkt war zwar der Reichstag frisch renoviert, aber viele Teile des Regierungsviertel noch im Bau.“

  • Regierungsviertel (2014) © Michael Lange

    Regierungsviertel (2014)

    „Heute sind links das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus und rechts das Paul-Löbe-Haus fertiggestellt. Das Viertel wirkt mit seinen großen Beton- und Glasfassaden sehr modern und zieht sich als ‚Band des des Bundes‘ bis zur Friedrichstraße. Durch die Brücken über die Spree entsteht der Eindruck einer symbolischen Verbindung zwischen Ost und West. Die für Berlin lange Zeit typischen Baukran-Silhouette ist verschwunden.“

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