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Cassandra’s Eyes
Jammertäler des Widerstands im weiblichen Dasein

  Globus Sensation
© Fabliha Nawar

Wenn jeder Widerstand, der in Signifikanten - Ismen / Gegen-Ismen - formuliert ist, eine Poetik des Nicht- / Werdens ist, wie soll dann eine feministische Poetik des Widerstands aussehen?

Von Seema Amin

Szenario I

Der Geist sucht nach Sicherheit, er warnt. Lassen wir den Autor für einen Augenblick außer Acht (man stelle sich einen Wolf im Wald vor). Ebenso kann die Sprache ein Allheilmittel sein: Sie überwacht ihre eigenen Schneidkanten und vermeidet das Unbehagen einer latenten Bedeutung (eher beim Bekannten bleiben, etwa Rotkäppchen). Worte sind wohl immer geprägt von Ambivalenz oder Geschichte, wie die Kritische Theorie in den letzten sechzig Jahren an den Tag legte. Ein Wort, das in einer bestimmten Kultur zu einem bestimmten Zeitpunkt fetischisiert und verdingt wird, dient jedoch als Auffangsmechanismus, damit es dem 'Wortloch’[i] entkommt, festgehalten und in dichte Energie kanalisiert wird. Dort, an der Spitze dieses Siebs, werden einige der Spuren unserer früheren „Wahrheiten“ (Zeichen bezeichnen) zu Homonymen, die fast verschwunden sind. Vale [Jammer-Tal] / Veil [Schleier]: Das heutige Jammer-Tal der Kybernetik / Fetisch des digitalen Strippens / Eindringens trägt eine Spur seines Homonyms, aber binär: enthüllen. Der Zeitgeist der Selbstoffenbarung deckt sich mit der Technik des Beobachtens [techné of the gaze] (Virilio's Vision-Machine). Auch Folter muss dargestellt werden. 

Szenario II

Ich habe das D / G-Rhizom[ii] zuerst als Geist wahrgenommen. Was dem Geist in der Maschine innewohnt ist der Tanz. Im Irak herrschte Krieg, und ich sah auf meinem Weg im vierzehnten Arrondissement an den Pariser Bushaltestellen Zeitungsaushänge von der brennenden Nationalbibliothek in Bagdad. In der Rue du Temple, im vierten Arrondissement, aber, führte der Sonnenschein einer nordafrikanischen „Baladi“-Tanzmusik diesen Geist ein und rettete sich vor dem Kabarettfetisch des Orientalismus in einem Atelier. Aber es ging weiter: auch das Sichfernhalten von der Fetischisierung des liberal-säkularen Feminismus, und sogar von den Verzerrungen der Selbstkolonialisierung (das nativistische Paradigma, dass das postkoloniale Subjekt in ein nationales Objekt re-territorialisiert). Letzteres gehört zur Dritten- (Welt-) Welle der Feminismus - (Welt-) Welle, deren inhärenter Widerspruch darin besteht, dass sie die Ausübung von Unterdrückung auf einen jeweils fremden Anderen schiebt[iii].

Szenario III

Aber, ich greife mir selbst vor: Der modernistische  Feminismus - sein liberales Ethos, das in den Feminismus der zweiten Welle eingraviert ist - bleibt der de facto-Feminismus in Bangladesch[iv], begleitet von seiner hybridische Version, die die liberale Politik[v] dieser zweiten Welle mit dem postkolonialen Diskurs der dritten Welle vereinigt. Es gibt periphere radikale Feminismen mit ihren intersektionellen utopischen Visionen[vi], aber mein Schwerpunkt liegt auf dem Trend der Mehrheit. Problematisch ist auch das Wort „Bangla-Indigenität“ (ein Wort mit vielen Lücken im Kontext des Ethnonationalismus) als eine Form des Womanismus oder als Alternative zur liberalen Moderne ins Feld zu führen. Islamischer Feminismus / Womanismus existiert zwar als Diskurs, ist aber nicht einfach mit einem guten Gefühl mit dem vorherrschenden säkularen Paradigma zu Hause in Einklang zu bringen. (Transnationalismus ist einfacher). Es gibt einen "ehrenhaften / bhadro" muslimischen Feminismus, d. h. Begum Rokeya, die nicht nur in Bengalen, sondern auch in Britisch-Indien die Wegbereiterin für die Bildung von Frauen war. Interessanterweise wurde ihre Science-Fiction-Novelle, "Sultanas Traum", von radikalen Feministinnen (kritisch) in dem von der BJP regierten Indien als „eng begrenzt auf binäre Geschlechterbeziehung" beschrieben: Ihre Utopie behandelte nicht die Kasten- und Klassendimensionen von Unterdrückung (Deepsha Sharma[vii]); Es ist daher nicht verwunderlich, dass man bezüglich der Sprache der säkularen Ausnahmen im modernistischen Bangladesch auf sie greift, obwohl sie sowohl Religion als eine Kraft des Guten in ihrer Utopie über den Geschlechter-Rollentausch als auch Wissenschaft zitiert, was Sharma "Eine Art glückliche Verbindung von Liebe und Wahrheit" bezeichnet hat. Ironischerweise war das Konzept der Purdah [Verschleierung] - sie war bekannt dafür als Muslimin "den Schleier / die Abschottung" zu kritisieren - selbst nie ausschließlich ein "muslimischer" Brauch in Britisch-Indien. Ghoonghatt [Verschleierung des Gesichtes/Bedeckung des Kopfes] von nicht-muslimischer Frauen war in bestimmten Regionen Indiens weit verbreitet und ist immer noch Sitte im sogenannten Hindi-Gürtel[viii]. Dies ist vielleicht der Grund, warum die Dhaka Tribune im Jahr 2019[ix] den Gedenktag 'Rokeya-Day' in einer vorsichtigen Anreihung von Worten würdigte: Zuerst wurde Begum Rokeya als "bengalische Feministin, Aktivistin, Pädagogin”[x] usw. bezeichnet, danach erst wurde ihre RRolle inder Bildung von Frauen, insbesondere muslimischer Frauen, erwähnt. Für Indien bleibt sie eine "islamistische Feministin". Die "Begum Rokeya" in der gegenwärtigen (ich stelle nur Vermutungen an) Vorstellung von Bangladesch (schließlich ging sie ihrer Entstehung voraus - sie ist also ein Geist[xi]) leidet unter Amnesie, die  das aus dem Hindi, Gujarati, Bengalischen und sogar - Sanskrit (!) unter anderem[xiii],  herausgefilterten [xii] Arabisch / Persisch / Urdu vergessen hat. Auf diese Weise kann sie im Fall einer "gereinigten Indigenität", für die Schaffung einer "shanatan-Sprache"[xiv] bzw. Volkssprache, dienlich sein. Es ist wie jemand, der des Arabischen kundig ist, aber in der "Sprache des einfachen Volkes, Bengalisch"[xv] schreiben würde. Mit anderen Worten, ihre Utopie ist jetzt im Grunde eine „bengalische feministische Utopie“. Es bleibt ein Anflug von Muslim/Arabisch/ Urdu und macht eine vollständige Re-Territorialisierung in ein „tiefes authentisches Selbst“ nur möglich, es sei denn (Gegen-) Reinigung / Dystopie (Gegen-Utopie) werden infrage gestellt. Das Beste am Bengalischen ist: Es gibt keine geschlechtsspezifischen Pronomen. (Die Substantive selbst sind jedoch geschlechtsspezifisch). Letzten Endes auch dort kein Trost!

Szenario IV

Wenn jeder Widerstand, der in Signifikanten - Ismen / Gegen-Ismen - formuliert ist, eine Poetik des Nicht- / Werdens ist, wie soll dann eine feministische Poetik des Widerstands aussehen? Kehren wir zum Geist zurück. Ich bemerkte, dass die marokkanische Lehrerin jeden Tag Jeans und Sonnenbrillen trug und zwar am Arbeitsplatz sowie zu Hause, als ob die Anonymität der lässigen Frau ihre Tracht wäre und ihr changierender Schleier, ihr eigentliches Outfit, mit dem sie durch die Signifikanten von sich selbst / anderen wie Hautschuppen tanzen würde. Der sogenannte Tanz der sieben Schleier[xvi] ist kein Striptease, und es gibt Varianten des Tanzes, deren Anhänger vollständig bekleidet tanzen[xvii]. Der Schleier in mystischer Poesie auf Arabisch, Persisch und Urdu hat die gleiche Funktion wie als D / G-Rhizom, eine Verbindung von Mannigfaltigkeiten. Es entsteht eine Montage: Schleier-Geliebter, Schleier-Gott (Gott ist der Schleier zwischen dir und deinem Geliebten; Er ist der Geliebte), Schleier-Liebe-Hund und Schleier-Vision, Schleier-Verlangen[xviii]. Nicht der Käfig, sondern die offene Tür, die Verbindung zu den Maschinen des unsichtbaren Nachbarn (Welt nebenan - nicht darüber hinaus), das ist ureigen. Wenn wir jetzt zum dritten Szenario, Tal, zu diesem Wortloch zurückkommen wollen, können wir uns eine Tür vorstellen, durch die der (unbekannte) Lebensvogel der „Sahajia / Baul“[xix] geht. Es ist das offene Geheimnis („unsichtbares Wesen“) unserer Existenz: sowohl Tod als auch Ewigkeit, ist in unserem Verlangen nach beiden verschleiert. Ich habe sie nie gefragt, was ihre "chetona" ist, die Qualität des "Wachseins" mit seinen bengalischen Parametern, was normalerweise als Bewusstsein übersetzt wird - oder mir kommt es vielleicht ideologisch angehaucht vor.

Szenario V

Ich fühle mich ethisch eher mit Mohammad Ali, dem Boxer verwandt als mit Atwood, der feministischen Schriftstellerin. Aber wenn ich für andere Frauen spreche, was kein kleines Verbrechen ist, muss ich auf die „weiße Frau“ zurückgreifen, die diese Handlung missbilligen würde. Es war die kanadische Atwood, die in der Rechtssache der sexuellen Belästigung gegen den Lehrstuhl des Creative Writing - Programms der UBC, für viel kontroverses Aufsehen gesorgt hat. Seit Kurzem unterstützt sie die Bewegung #AfterMeToo und sie wird großzügig zitiert, was wie ein Fetisch wirkungsvoll erscheinen mag - durch lächerliche Umgestaltung von Wörtern: Ein Wort nach einem Wort nach einem Wort ist Macht.  Die Dichterin Rachel Blau DuPlessis in Breaking the sentence, Breaking the sequence[xx] beschreibt eine ähnliche Kraft, aber in ihrer dekonstruktiven Sequenz, eine experimentelle feministische Poetik, die Unbehagen mit gegebenen Grammatiken des Seins/Sagens erzeugt. Denn: Wir werden immer für schuldig gehalten, bis das Gericht es anders entscheidet.

Szenario VI

Aber, Atwood, sind wir auf Macht hinaus? D/G sind anderer Meinung. Links-rechts-Faschist. Wir scheinen "Ent-machtung" zu wollen. "Liberalismus" als Faschismus im Werden, eine Zone des Trostes, die durch Territorialisierung ihrer jeweiligen Anderen überwacht - gesichert - wird, kann im einfachen Kontinuum links / rechts zu ihrer jeweils anderen werden. Die Präzedenzfälle in der Geschichte sind beängstigend. Nicht, wie Gramsci feststellen würde, die marxistische Linke, sondern die nationalistisch-sozialistische „Linke“. Der fetischisierte Feminismus, der Sicherheit in den Zellen des großen Körpers sucht, das ist vielleicht die genaueste Beschreibung des Faschismus, kann zu einer solchen Montage werden.

Szenario VII

Wenn es bei unseren Sehnsüchten in erster Linie um die Macht geht, warum ist dann die Figur der Bedini, eine außergewöhnliche Schlangenhälterin, als mächtige weibliche Präsenz fast von der Literatur über Womanismus / sonstige ausgenommen? Bedinis gehen mit aufrechter Haltung durch die Straßen und über die Flüsse Bangladeschs und setzen ausnahmslos ihrem Charme ein, aber nicht ihren Körper, begleitet von ihren wachehaltenden Ehemännern. Viele / die meisten sind Muslime und Nomaden und sehen keinen Widerspruch darin, die Schlange als Talisman ihrer Macht / Freiheit zu tragen. Sie stellt genau das dar, was sich schwer in vorgefertigten Worten beschreiben lässt, urban, nomadisch, wie ein Wassergeist, wie eine Kunsthandwerkerin, sexy, nicht zu verwechseln mit den Prostituierten, die sich in der Öffentlichkeit verkaufen müssen - schwer definierbar. (Die Schlangen sind immer in Körben.) Rhizomatisch gesehen, ist sie Schlange-Schleier, eine Gefahr in unserer Nähe. Radikale Nähe.

Sources

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