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Künste
Ohne Gemeinschaft ist die Freude keine Freude

Mustakim Mahmud and Sohel Rana Jim © Tomas Bünger
Mustakim Mahmud and Sohel Rana Jim © Tomas Bünger

Akka Mahadevis Zitat im Titel erinnert Tomas Bünger an seine Zeit in Bangladesch als Mentor und Leiter der "Young Choreographers’ Platform"

Plötzlich waren die Freude und die Gemeinschaft nicht mehr da.

Es ist ein Unterschied, ob man in Europa als freischaffender Künstler arbeitet oder in Bangladesch. Es gibt in diesen Zeiten für uns finanzielle Unterstützung, mit der man* zumindest seine Miete und sein Essen bezahlen kann. In Bangladesch dagegen ist für die Künstler*innen die Zukunft in dieser Situation ungewissen, und es gibt keinerlei staatliche Hilfen. 

Es ist mein Lebensinhalt geworden, meine Kunst mit anderen Menschen zu teilen, und ich fühle mich geehrt, in Bangladesch Kontakt zu vielen Freund*innen und Studierenden zu haben. 

Eashin Arafat & Tomas Bünger Eashin Arafat © Tomas Bünger
2014 bin ich das erste Mal nach Bangladesch gekommen, und seither war ich mehrfach zu besuch. Mit Unterstützung des Goethe-Instituts in Dhaka haben wir hier eine Plattform für junge zeitgenössische Choreograf*innen geschaffen und viele Aufführungen in der Shilpakala Academy und woanders auf die Bühne gebracht. In diversen Kursen, Proben und Symposien haben wir uns näher kennengelernt. Es gibt so viele junge talentierte Tänzer*innen, die enorm viel Engagement und Spielfreude an den Tag legen und mich sehr inspiriert haben. Wenn man aus Europa kommt, kann man in Sachen Freude in Bangladesch definitiv noch etwas lernen, denn hier ist die Gemeinschaft den Menschen sehr wichtig. 

Es gehört zum Leben, seinen Alltag mit anderen Menschen zu teilen, und dieses Gefühl vermissen wir im Moment sehr. 
Rezwan Pervez & Tomas Bünger Rezwan Pervez © Tomas Bünger
Mein Assistent und Freund Rezwan Pervez hat mich einmal nach Kushtia eingeladen. Nachdem ich dort den Leiter der Shilpakala Academy kennengelernt hatte, haben wir spontan den ersten Workshop für zeitgenössischen Tanz organisiert, der hier jemals stattgefunden hat. Ich war ein wenig nervös, aber alles in allem war es eine großartige Erfahrung, an diesem Ort, der noch den Geist Lalons atmet, die Freude am Tanzen mit anderen zu teilen. 

Wir haben viele Stunden gemeinsam getanzt, und ich fühle quasi immer noch, wie heiß es war und wieviel Spaß es uns machte, anschließend zusammen Wasser zu trinken. 

Ich hoffe sehr, dass einige dieser jungen Leute es schaffen, beruflich in der Welt des Tanzes Fuß zu fassen. 

Nachdem ich wieder nach Dhaka zurückgekehrt war, ist mir aufgefallen, dass ich meine Studierenden auf einmal aus einem anderen Blickwinkel heraus betrachtete. Ich stellte mir vor, wo sie wohl überall herkamen, um hier in Dhaka zu studieren und konnte so eine intensivere Bindung zu ihnen aufbauen. 

„Sie müssen zurückkommen“, sagte einer der Studierenden, und genau das tat ich auch. Im November 2019 wurde ich als Dozent zum ersten Ocean Dance Festival in Cox‘s Bazar eingeladen und ich habe mich sehr gefreut, hier viele Studierende aus Dhaka wiederzusehen. Sie kamen bei meiner Ankunft auf mich zugerannt und haben mich überschwänglich begrüßt und umarmt. In einer virtuellen Welt wäre sowas undenkbar!
Hasan Ishtiaque Imran & Tomas Bünger Hasan Ishtiaque Imran © Tomas Bünger
Das ist für mich der Inbegriff des Erinnerns, und genau darin liegt die Quelle meiner Kunst und Kreativität. Ich habe immer noch Kontakt zu Freund*innen und Studierenden in Bangladesch und kann gut nachempfinden, wie sich die momentane Situation für sie anfühlen muss. 

Dank des enormen Engagements des Goethe-Instituts in Dhaka konnten wir zumindest von zuhause aus eine Plattform für junge Choreograf*innen organisieren, die aus der momentanen Situation heraus geschaffen wurde. Die auf dieser Internetplattform gezeigten Filme sind wirklich wunderschön geworden. Auf der anderen Seite merken wir gerade aber auch, was wir vermissen. Es gehört vielleicht zum Lebensgefühl in Bangladesch, den Moment zu genießen, aber die Zukunft ist gerade extrem ungewiss. 

Was wird diese Situation mit jungen Talenten machen, die sich trotz der großen Unsicherheit, die diesen Beruf umgibt, dazu entschlossen haben, eine künstlerische Laufbahn einzuschlagen? Es gibt keine Jobs mehr, kein Einkommen, keine Perspektive. 

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir eine sehr wichtige Arbeit geleistet haben.
Dancing Adda © Tomas Bünger
Tanzen ist ein fundamentaler Teil des Lebens, mit dem wir unsere Menschlichkeit ohne Worte ausdrücken. Wir sind alle tanzende Wesen, und wir sind alle Menschen. Meine Arbeit in Bangladesch hat mir gezeigt, dass wir uns mit Hilfe der Kunst verständigen können, ohne die Sprache des anderen zu sprechen. Wir sind nur Körper inmitten anderer Körper, die sich ausdrücken, und davon lernen wir. Mein Besuch führte mich nach Dhaka, Kushtia, Chittagong, Cox‘s Bazar und in die Dörfer. Überall wurde ich herzlich empfangen, und wir haben unsere Kunst, unser Wissen und unsere Erfahrung miteinander geteilt. Mögen dieser Zusammenhalt und diese Freude bald wieder zu spüren sein, und mögen diese wunderbaren Tänzer*innen in dieser schwierigen Situation nicht vergessen werden. Schließlich stehen sie in diesem Land in guten Zeiten für Kultur, Identität und Hoffnung. In schlechten Zeiten sollten man sie daher beschützen.

Tomas Bünger

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