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Games und Gender
Denkbare Heldinnen

Computerspiel Mirror's Edge Catalyst
Computerspiel Mirror's Edge Catalyst | © EA DICE/ Electronic Arts

Sind Spiele immer noch reine Männerdomäne? Die Spielejournalistin und -entwicklerin Nina Kiel hat in ihrem Buch „Gender in Games“ geschlechtsspezifische Rollenbilder in zeitgenössischen Titeln untersucht. Ein Gespräch über die Genderthematik in der Nerdkultur.
 

Frau Kiel, sind Games ein Spiegel der Gesellschaft?

Alle Medienerzeugnisse werden durch die Gesellschaft geprägt, in der man sie entwickelt. Spiele sind da keine Ausnahme.

Gibt es dann einen spezifischen Sexismus oder ein Genderproblem in Spielen?
 
Spiele stehen immer noch am Anfang einer Entwicklung zu mehr inhaltlicher Vielfalt. Das Medium hatte seinen Ursprung in den Computerwissenschaften und aus der damit verknüpften Nerdkultur. Also hielten sich starre Rollenbilder, in denen Männer als Akteure und Frauen vor allem als Opfer oder Trophäen auftraten. Erst in den letzten Jahren zeichnet sich mit einer zunehmenden Diversifizierung auch eine Veränderung ab.

Computerspiel Life Is Strange Computerspiel Life Is Strange | © Dontnod Entertainment/ Square Enix Wie sieht die aus?
 
Zumindest halten neue Perspektiven Einzug in die Branche. Menschen erzählen vor allem Geschichten, die von ihren persönlichen Erfahrungen ausgehen. Also wiederholten sich bisher Geschichten über weiße Männer.
 
Und jetzt entstehen andere Spiele?

 
Es ist zumindest nicht mehr undenkbar, dass in einem Spiel mehr weibliche Figuren wichtige Rollen bekleiden als männliche. Und dass sie dabei annähernd glaubwürdig wirken. Dontnods Life Is Strange zum Beispiel hat einen überwiegend weiblichen Cast. Mirror's Edge und der Nachfolger Mirror's Edge: Catalyst präsentieren eine extrem sportliche, asiatische Frau als Hauptfigur, und ihr Körper wird als Werkzeug und nicht als erotisches Anschauungsmaterial inszeniert. Gone Home konzentriert sich sogar auf das Liebesleben einer Frau – so ein thematischer Fokus wurde bis dato von vielen Entwicklern und Vertrieben abgelehnt. Man hatte Angst, damit die männliche Zielgruppe zu verschrecken.

Computerspiel Gone Home Computerspiel Gone Home | © The Fullbright Company Und diese Spiele haben Erfolg?

Wenn es um die Verkäufe geht, nur bedingt. Mirror's Edge litt unter unausgereiftem Gameplay, Life Is Strange und Gone Home fanden eine Fangemeinde, blieben aber Nischentitel.

Häufig geht man von mangelndem Interesse an weiblichen Protagonisten aus, wenn sich solche Spiele schlechter verkaufen, als erwartet. Aber meistens kranken diese Titel an technischen oder narrativen Mängeln. Wenn sich ein Spiel mit einem männlichen Helden schlecht verkauft, wird die Schuld bei der schlechten Grafik, der langweiligen Geschichte oder der undurchdachten Spielmechanik gesucht. Bei frauenzentrierten Titeln wird dagegen schnell die Frau als entscheidender Faktor ausgemacht. Und solchen Spielen wird im Schnitt ein deutlich kleineres Marketingbudget zur Verfügung gestellt – weil man davon ausgeht, dass sie ohnehin floppen.
 
Um so wichtiger sind deswegen Indie-Spiele von kleinen Teams. Weil es heutzutage kostengünstige oder freie und benutzerfreundliche Software für die Spieleentwicklung gibt, drängen mehr und auch unerfahrenere Menschen ins Medium. Spiele wie Dys4ria, Papers Please, Talks With My Mom oder Her Story zeigen deutlich, das hier viel Potenzial steckt. Aber solange Sexismus ein Teil der Gesellschaft ist, wird er zwingend auch ein Teil von Spielen sein. Man darf lediglich auf mehr Alternativen hoffen.

Auf der Gamescom bekomme ich den Eindruck, dass immer noch vor allem männliche Teenager die Szene prägen. Stimmt das?
 
In den vergangenen Jahren waren schon immer mehr Frauen auf solchen Branchenveranstaltungen zu sehen. Aber ja, der Männeranteil ist weiterhin signifikant höher. Marketing spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle: Auf den Spielverpackungen sind zum Beispiel vor allem männliche Charaktere zu sehen, selbst wenn auch weiblichen Figuren wichtige Rollen spielen.

Computerspiel Her Story Computerspiel Her Story | © Sam Barlow Dieser Fokus auf die männliche Spielerschaft wird auch auf den Veranstaltungen selbst deutlich, allen voran durch den Einsatz leicht bekleideter Messe-Hostessen, die Aufmerksamkeit zunächst auf sich selbst und dann auf das jeweilige Produkt lenken sollen. Dass sich solche Werbemaßnahmen nicht an Frauen richten, ist klar. Und sie tragen potenziell zu unangenehmen Missverständnissen bei. Immer wieder werden Fachbesucherinnen für Hostessen gehalten und ungefragt fotografiert.
 
Andere erleben, dass man sie an den Ständen viel intensiver an die Hand nimmt und ihnen die jeweiligen Titel ausgiebiger erklärt als männlichen Konsumenten. Das habe auch ich schon erlebt – und das als Spielejournalistin.
 
Das klingt so, als gäbe es auch in der Community den Glauben, dass Frauen wirklich weniger von Spielen verstehen.
 
So ist es, und die Branche selbst hat wesentlich dazu beigetragen. Gerade in den 1980er- und 1990er-Jahren waren Werbeanzeigen gang und gäbe, in denen Mädchen und Frauen als unfähig, als nervig, oder als attraktive Anschauungsobjekte dargestellt wurden. Das Videospielmarketing setzte auf Abgrenzung: Die angeknacksten Egos isolierter und missverstandener Nerds wurden aufpoliert. Sie sollten sich in maskulinen Machtfantasien kompetent, cool und anderen überlegen fühlen – allen voran den schwachen und technisch inkompetenten Frauen.
 
Diese Werbemaßnahmen führten einserseits dazu, dass weibliche Spieler innerhalb der Szene tatsächlich als weniger fähig wahrgenommen oder sogar ausgegrenzt wurden. Und andererseits kehrten sich viele Mädchen und Frauen von diesem Medium ab, das sie so offensichtlich geringschätzte. Die Folgen davon sind bis heute spürbar.

Also spielen wirklich vor allem Jungs?
 
Nein, das trifft schon lange nicht mehr zu. In den vergangenen Jahren ist der Anteil weiblicher Spieler fast kontinuierlich gestiegen. Frauen stellen etwa 41 Prozent der Spielerschaft in den USA. Und „Jungs“ ist übrigens noch in einem anderen Sinne unzutreffend: Das Durchschnittsalter der Spielerschaft liegt nämlich bei 35 Jahren.

Computerspiel Rise of the Tomb Raider Computerspiel Rise of the Tomb Raider | © Crystal Dynamics/ Square Enix In Ihrem Buch „Gender In Games“ analysieren Sie Rollenbilder, etwa in „Tomb Raider“. Ist denn Lara Croft jetzt eher eine starke Heldin oder doch nur ein Pinup?
 
Über genau diese Frage streitet die akademische Welt quer über alle Gendergrenzen seit mittlerweile 20 Jahren. Ich habe auch keine eindeutige Antwort darauf. Lara Croft ist eine der ersten uneingeschränkt kompetenten, selbstständigen und taffen Frauen in der Videospielgeschichte und damit eine Identifikationsfigur für Spielerinnen. Andererseits repräsentierte sie gerade in den frühen Titeln der Reihe ein unerreichbares Körperideal und wurde als Sex-Ikone inszeniert, um die Verkäufe anzukurbeln. Das Weiblichkeitsideal ist aus Filmen bekannt: Die Frau darf zwar überlegen sein, aber diese Überlegenheit muss zwingend auch ihre Schönheit einbeziehen. Sie darf bedrohlich wirken, muss aber ästhetisch gefallen.

Problematisch ist für mich nicht, wenn einzelne Charaktere diesem Schema entsprechen, sondern dass es weiblichen Figuren bis heute nahezu unmöglich ist, daraus auszubrechen.

Nina Kiel Nina Kiel | © Nina Kiel Nina Kiel ist freischaffende Spielejournalistin und Spieleentwicklerin. Seit Jahren beschäftigt sie sich mit der Gender-Thematik in Spielen. Derzeit schreibt sie unter anderem für das Magazin Superlevel über Sex und Romantik in Spielen und arbeitet an dem Spiel Don‘t Make Love.

Publikation:
Nina Kiel, Gender in Games, Hamburg (2014)

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