Podiumsdiskussion The Art Year 2022

Documenta Diskussion 2022 © Kalin Serapionov

Mi, 07.12.2022

18:00 Uhr

Goethe-Institut Bulgarien, Veranstaltungssaal

Das Kunstjahr 2022

Öffentliche Diskussion

07.12.2022, Mittwoch, 18:00 Uhr
Der Große Veranstaltungssaal des Goethe-Instituts


Gespräch mit:
Maria Vassileva
Vera Mlechevska
Aksiniya Peycheva
Krassimir Terziev

Moderator:
Luchezar Boyadjiev




Das Kunstjahr 2022 war nicht nur durch den "Grand Slam" -wenn wir diesen Begriff aus dem Tennis verwenden- der internationalen Ereignisse gekennzeichnet, sondern auch durch den Höhepunkt einer Periode der Ungewissheit, der ökologischen Katastrophe, der wirtschaftlichen Turbulenzen, der allgemeinen Gesundheitskrise und eines blutigen, hysterischen Krieges mit klar definierten Positionen von "pro" und "contra"... Eine Stimmung der allgemeinen Unsicherheit über die Zukunft der Menschheit, die dem wachsenden Bewusstsein gegenübersteht, dass der Planet auch ohne uns, die invasive Spezies Homo Sapiens, überleben wird, macht sich mit jeder Nachricht weiter breit. Unheilsverkündungen gibt es zuhauf - von Schießereien in den USA bis zu Bombardements in der Ukraine und in Kurdistan, von einem Wirbelsturm außerhalb der Saison bis zu massiven Überschwemmungen in Pakistan, von einem Erdbeben in Indonesien bis zu einem Erdbeben in der Türkei, etc. Die Medien (und vielleicht die bildende Kunst?) sind kaum in der Lage, aufzuholen, geschweige denn einen Coup zu landen... Die Spirale beschleunigt sich.

Und dennoch - der "Grand Slam" der Kunstereignisse im Jahr 2022... Es war das Jahr, in dem die documenta 15, die Manifesta 14, die 59. La Biennale di Venezia und die 17. Istanbul Bienniale das erste Mal seit Jahren gleichzeitig stattfanden. Dabei erwähnen wir noch nicht mal andere bemerkenswerte (nicht kommerzielle) Kunstereignisse im Jahr 2022 - die 12. Berlin-Biennale, die 16. Lyon-Biennale und die 7. Singapur-Biennale oder weitere "B's" in der ganzen Welt, an denen wir (bulgarische oder in Bulgarien geborene Künstler, Kuratoren und Schriftsteller) nicht teilgenommen haben. Die letzte Singapur-Biennale trägt zum Beispiel den Titel "Natasha", was sehr bezeichnend zu sein scheint - weibliche Namen (in diesem Fall ein Name, der selbst für den massiv globalisierten und voller Auswanderer steckenden Stadtstaat Singapur ungewöhnlich ist) wurden früher Wirbelstürme gegeben... Bezeichnend ist auch, dass ihnen anscheinend die weiblichen Namen ausgegangen sind, so dass sie vor kurzem begonnen haben, Wirbelstürmen männliche Namen zu geben - eine ironische Wendung in der Infragestellung der patriarchalischen Ordnung...  

Einige dieser Veranstaltungen waren Karriere-"Vehikel" für die lokale bulgarische Kunstszene; die Teilnahme an ihnen hat oft sowohl zu Ruhm als auch zu Tadel geführt... Einige waren ziemlich unzugänglich. Es ist immer auch eine Frage der öffentlichen Unterstützung, des künstlerischen und kritischen Bewusstseins für die Themen, die von solchen Veranstaltungen "behandelt" werden. Die Erkenntnis, dass ein:e Kurator:in nur ein Mensch mit eigenen Interessen und Prioritäten ist, der niemandem verpflichtet ist, scheint sich langsam durchzusetzen, im Gegensatz zu dem Gefühl, dass die große, internationale Kunstwelt uns etwas "schuldig" ist. Letztlich ist das alles eine Frage der Partizipation, Teil von etwas sein, der Teilhabe an den Belangen der Welt; nicht nur durch das Warten auf irgendeinen Nutzen, sondern auch durch die Bereitschaft, Verantwortung für die Nöte aller Menschen zu übernehmen/zu teilen.

Die öffentliche Diskussion unter dem Arbeitstitel "Kunstjahr 2022", die am Mittwoch, dem 7. Dezember 2022, im Goethe Institut - Bulgarien stattfindet, wird versuchen, die vier "uns am nächsten liegenden" Kunstereignisse des Jahres zusammenzufassen, wobei die ersten vier, wie oben erwähnt, den „Grand Slam“ des Jahres 2022 darstellen. Die teilnehmenden Expert:innen – Kurator:innen, Kritiker:innen, Theoretiker:innen und Künstler:innen - werden eine Zusammenfassung dieser Ereignisse präsentieren und zusammen mit dem Publikum versuchen, gemeinsame oder divergierende kuratorische Anliegen, künstlerische Trends, Themen, Materialien, Genderfragen, postkoloniale oder neolokale/globale Dynamiken, Schlüsselwörter und Terminologie zur Beschreibung aktueller Kunstpraktiken und Anliegen, die von diesen Ereignissen vorgebracht wurden, aufzuzeigen. Zum Beispiel die Fülle an landwirtschaftlichem Fachjargon und Begriffen wie "Kompostierung" in den kuratorischen Konzepten einiger dieser Veranstaltungen; oder die Betonung, das Format der Biennale als gut gerahmtes und "weißes" Unternehmen aufzubrechen; oder die Aufmerksamkeit, die dem Publikum zuteil wird; oder - nicht zuletzt - die Skandale, die aus der massiven Exposition von Kunst aus aller Welt gegenüber einem oft stark lokalisierten Publikum und dessen Einstellungen entstehen.  


-- Luchezar Boyadjiev, 
Sofia, November 2022







 

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