Diversität
Gewalt gegen LGBT in Lateinamerika

LGBT als Risikofaktor
Foto: privat

Auf dem vielfältigen lateinamerikanischen Kontinent findet man etliche Beispiele dafür, wie auch noch im 21. Jahrhundert Gewalt gegen Schwule, Lesben, Bi- und Transsexuelle und all jene ausgeübt wird, die sich nicht an das traditionelle Modell von heterosexuellen Männern und Frauen anpassen.

Organisationen wie die internationale Vereinigung von Lesben, Schwulen, Bi-, Trans- und Intersexuellen für Lateinamerika und die Karibik (ILGA-LAC) sowie internationale Institutionen wie die Vereinten Nationen und die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (CIDH) geben turnusmäßig alarmierende Berichte heraus, dass LGBT-Menschen weiterhin Opfer systematischer Gewalt werden. Die Täter sind in der Regel Gruppen am Rand des Gesetzes, staatliche Behörden und Individuen oder soziale Gruppen, deren Prinzipien sich gegen die geschlechtliche Vielfalt richten.

Hinter der Gewalt gegen Menschen, die sich mit LGBT identifizieren oder als solche wahrgenommen werden, steht das Bedürfnis, soziale Kontrolle darüber auszuüben, wie Menschen ihre Sexualität ausleben und wie sie zu ihrer Identität finden. Ausschlaggebend sind dabei diejenigen Parameter, die sich mit der Zeit gebildet haben und sehr oft vom Machismus und den Ansichten einiger Religionen bestimmt werden.

LGBT als Risikofaktor

In vielen Fällen ist es schwierig zu entscheiden, welches Motiv genau vorlag, wenn ein Schwuler, eine Lesbe, ein Bi- oder Transsexueller ermordet, vergewaltigt oder mit Spuren der Folter aufgefunden wird. Denn sowohl die Medien als auch die zuständigen Behörden betrachten die sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität eines Opfers als zufällige Faktoren. Was wir allerdings als Hassverbrechen und, um es noch genauer zu sagen, als Verbrechen wegen Vorurteilen kennen, hat inzwischen bewiesen, dass in vielen Fällen das Ausmaß der Misshandlungen, an Grausamkeit und die Wiederholung solcher Verbrechen direkt damit zusammenhängt, dass die Opfer als LGBT wahrgenommen werden oder sich als solche identifizieren.

Dem CIDH zufolge wurden zwischen 2013 und 2014 mindestens 770 Fälle der Gewalt gegen LGBT in Lateinamerika registriert. 549 davon waren Morde. Traurigerweise würden diese Zahlen noch viel höher liegen, wenn LGBT-Menschen effektive Wege der Anzeigenerstattung unter dem Schutz ihrer Identität zur Verfügung stünden. So macht die erwähnte Zahl zwei Facetten des Problems deutlich: Einerseits ist sie der Beleg dafür, dass Gewalt gegen LGBT existiert, dass sie systematisch und kontinuierlich stattfindet; andererseits zeigt sie, dass die Mechanismen der Anzeigenerstattung nicht ausreichen und viele Menschen lieber schweigen, anstatt sich den Behörden auszusetzen, aus Angst vor erneuter Viktimisierung und Spott, wenn sie sich öffentlich zu erkennen geben.

Scheinheiligkeit der Gesellschaft, Gleichgültigkeit der Behörden

In keinem spanischsprachigen, lateinamerikanischen Land sind die von beiden Partnern gewollten, gleichgeschlechtlichen Beziehungen offizielle Verbrechen. Trotzdem wird Homosexualität in Belize, Guayana und auf acht Karibikinseln, darunter Jamaica und Trinidad und Tobago, als unmoralische oder anstößige Praktik angesehen, die zu Haftstrafen von einem bis zu zehn Jahren führen kann. Auch wenn es ein Fortschritt ist, dass immer mehr Länder Beziehungen zwischen Personen gleichen Geschlechts aus ihren Strafgesetzbüchern eliminieren, stimmen die Gesetze oft nicht mit den gesellschaftlichen Praktiken und kulturellen Veränderungen überein. Aus diesem Grund wird in der Mehrheit der lateinamerikanischen Länder immer noch von der Gesellschaft bestraft, wer sich mit LGBT identifiziert. Denn da die Diskriminierung und Gewalt gegen diese Gruppe unter der Vielzahl bestehender gesellschaftlicher Probleme als „geringeres Übel“ betrachtet wird, leistet man ihr Gewähr oder schweigt darüber.

Verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen und internationale Institutionen haben auf die gesteigerte Grausamkeit hingewiesen, mit der Gewalt gegen LGTB ausgeübt wird. Die Fälle zeugen von Belästigung und Gewalt auf der Straße bis hin zu Pfählung, der Abtrennung von Gliedmaßen, Folter, Steinigung oder Messerattacken und Schlägen mit schweren Gegenständen wie Macheten oder Hämmern. Bei lesbischen und bisexuellen Frauen ist die Praktik der „korrigierenden Vergewaltigung“ weitverbreitet und leitet sich von der Vorstellung ab, diese „fehlerhaften“ sexuellen Orientierungen träten auf, weil diesen Frauen Beziehungen mit „richtigen“ Männern fehlten.

Zwei repräsentative Beispiele: 2012 begann sich ein Führer von Paramilitärs in der Region Antioquia (Kolumbien) für eine lesbische Frau mit afrikanischen Vorfahren zu interessieren. Sie lehnte ihn ab. Daraufhin wurde die Frau zweimal von dem Führer und einer Gruppe Begleiter wegen ihrer sexuellen Orientierung vergewaltigt und bei dem Versuch, Anzeige zu erstatten, außerdem verfolgt und belästigt. Daneben steht der Fall Daniel Zamudios. Der junge Chilene wurde 2012 ermordet, als er eine Bar in einem Park in Santiago, der Hauptstadt des Landes verließ. Vier junge Männer griffen ihn an und folterten ihn stundenlang auf höchst grausame Weise wegen seiner sexuellen Orientierung. Sie brachen ihm die Beine und hinterließen Verbrennungen und Hakenkreuze auf seiner Haut. Zamudio starb später im Krankenhaus.

Stufenweise Fortschritte

Die Gewalt gegen LGBT ist das Produkt einer komplexen Verflechtung von Praktiken und Vorstellungen, die der Diskriminierung Gewähr leisten und diese gesellschaftliche Gruppe von der frühen Kindheit bis ins Alter für Angriffe freigeben. Wer dabei den meisten Formen von Gewalt ausgesetzt ist, sind zweifellos diejenigen, die sich nicht nur mit LGBT identifizieren, sondern sich auch durch andere Faktoren wie Armut, ethnische Herkunft, mangelnde Bildungschancen oder Behinderung in einer Situation der Verwundbarkeit befinden.

Länder wie Argentinien, Uruguay, Brasilien und Kolumbien haben sich vor anderen durch wichtige Fortschritte im Gesetzesbereich ausgezeichnet. Sie reduzieren durch ihre Gesetze die Diskriminierung und Gewalt gegen LGBT, so zum Beispiel mit dem Gesetz zur geschlechtlichen Identität in Argentinien oder dem „Dekret Trans“ in Kolumbien. Als nächste Aufgabe steht an, diese Gesetze mit gesellschaftlichen Veränderungen einher gehen zu lassen. Die Gesellschaft muss sich für eine größere Vielfalt öffnen und von den Praktiken Abstand nehmen, die der Vorstellung Vorschub leisten, LGBT-Menschen seien unnormal, unmoralisch und eine Gefahr für das soziale Gefüge.