Musik an Ostern
Die ‚B-Seite’ Alter Musik

Vocalconsort Berlin
Vocalconsort Berlin | © Kristof Fischer

Weniger bekannten Komponisten des 16. Jahrhunderts widmet das Ensemble Vocalconsort Berlin das Programm ihrer Ostertournee. Markus Schuck, Mitbegründer der Gruppe, erklärt, wie er sich mit seinen Kollegen dieses faszinierende, unbekannte Repertoire erschlossen hat.

Das Vocalconsort Berlin lässt sich treffend als dynamischer Chor bezeichnen. Nicht nur die Anzahl seiner Mitglieder kann je nach Bedarf variieren (immer sind es mindestens vier, manchmal auch über vierzig Stimmen) – die Sängerinnen und Sänger versammeln in ihrem Repertoire auch verschiedenste Epochen der Musikgeschichte. Bekannt wurde das Ensemble durch Aufnahmen der Motetten von Bach und der geistlichen Stücke von Gesualdo, die beide bei Harmonia Mundi France erschienen sind. Auf den ersten Blick würde man Vocalconsort Berlin der Alten Musik und der Barockmusik zuordnen. Doch vergangenes Jahr wirkte der Chor an einer Inszenierung der Oper „Das schlaue Füchslein“ von Leos Janáček mit. Erwähnenswert ist auch die Zusammenarbeit mit dem zeitgenössischen Komponisten Sven Helbig, der für das Ensemble einen Liederzyklus geschrieben hat, der auf Elementen elektronischer Musik basiert. Klassik und Moderne: Vocalconsort vereint die Kontraste.

Die Gründungsmitglieder lernten sich 2003 kennen, als der Dirigent René Jacobs einen Chor benötigte, um Monteverdis Oper „Orpheus“ auf den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik zu inszenieren. Der deutsche Tenor Markus Schuck wurde beauftragt, vielfältige Talente zusammenzubringen. So entstand Vocalconsort Berlin, das wir nun auf seiner Tour durch Ecuador und Kolumbien live erleben können. Es ist bemerkenswert, dass die erste gemeinsame Arbeit des Chors das Stück „Orpheus“ war, da dieses, 1607 uraufgeführt, von Experten als die erste Oper überhaupt angesehen wird. Mit anderen Worten: Das Vocalconsort begann ganz am Anfang.

Markus Schuck erinnert sich an diesen Moment: „Es ist eine fantastische Musik und es war eine Herausforderung für den Chor. Dieses Stück geht vom Glück in die tiefste Verzweiflung über und das ist der Grund, warum Monteverdi an der Seite von Bach in der Riege der großen Komponisten anzusiedeln ist.”

Diese Oper war zugleich ein gelungener Start für das Repertoire, das noch vor ihnen lag. Es wird oft gesagt, dass Genres wie die Kantate oder das Oratorium im Hinblick auf die Darstellung von Gefühlen viel mit dem Lyrischen gemein haben und erstere nur deshalb nicht theatralisch inszeniert wurden, weil die Kirchenräume nicht genug Platz boten. „Die ‚Marienvesper’ von Monteverdi ist der Oper beispielsweise sehr ähnlich”, bekräftigt Schuck. „Ich erinnere mich, dass René Jacobs sie in der Staatsoper in Berlin dirigiert hat und er die Sängerinnen und Sänger gebeten hat, die Partitur auswendig zu lernen und sich frei über die Bühne zu bewegen. Und es gab außerdem eine Bühnengestaltung. So wurde die Verbindung zwischen zwei Genres geschaffen.“

Vier Mitglieder des Vocalconsorts Berlin werden nun ihr Talent, sich auf originelle Weise der Alten Musik anzunähern, in der Karwoche und am Osterwochenende bei zwei Auftritten in Ecuador und an vier verschieden Orten Kolumbiens unter Beweis stellen. Die Tournee trägt den Namen „Zwischen Himmel und Erde” und ist weniger bekannten Komponisten des 16. Jahrhunderts gewidmet: Komponisten wie Heinrich Isaac, Mathias Eckel oder Thomas Stoltzer, die die Musikgeschichte meist nur in Fußnoten erwähnt, werden bei diesen Konzerten zu den Hauptfiguren.

Es ist nicht einfach, biographische Daten dieser Komponisten zu finden und unter den Gedenktagen sucht man vergeblich nach folgendem Eintrag: Im vergangenen Jahr jährte sich der Tod von Heinrich Isaac zum fünfhundertsten Mal. Kein Festival hat gebührend an ihn erinnert. Und das obwohl eine gründliche Suche einige interessante Ergebnisse zu Tage fördert: Zum Beispiel weiß man, dass Isaac mit dem großen Komponisten Josquin Desprez um die Gunst des Publikums wetteiferte. Ein Dokument, das auf das Jahr 1502 datiert ist, vergleicht die beiden Talente auf folgende Art: „Josquin ist der bessere Komponist, aber er komponiert nur, wenn er Lust dazu hat und nicht, wenn es von ihm verlangt wird. Isaac zeigt mehr Bereitwilligkeit und komponiert öfter Stücke.“

Wenn wir dieses Programm des Vocalconsorts Berlin unter einen Begriff der Diskographie fassen wollten, würden wir von der „B-Seite” der Alten Musik sprechen. Woher kam die Idee? Markus Schuck gibt zu, dass auch er diese Musik kaum kannte, bis ihm der Vorschlag unterbreitet wurde, sich in der Osterwoche damit zu beschäftigen. Nachdem er sich ausführlicher mit den Partituren auseinandergesetzt hatte, kam er zu dem Schluss, dass sie wichtiger sind als oft angenommen: „Die Musik dieser Komponisten ist sehr geistlich, aber andererseits auch irdisch, emotional und direkt. Ich glaube, sie ist ein Porträt der Gefühle der Menschen der damaligen Zeit. Das ist ein Phänomen, das im 14. Jahrhundert mit der Polyphonie beginnt. Alle diese Komponisten entwickelten einen neuen Stil; ja es war fast eine Revolution und das alles innerhalb der Kirche. Vielleicht war es in Deutschland einfacher als in Spanien, wo die Inquisition herrschte. Auf jeden Fall würde die Musik Bachs ohne diese Wurzeln nicht existieren.”

Allerdings sind diese Wurzeln in alten Partituren zu finden, in denen nicht alle Einzelheiten der Interpretation vermerkt sind. Die Präsentation Alter Musik verlangt vom Interpreten daher historisches Wissen und eine intensive Verbindung zur fernen Vergangenheit: „Man muss die geeignete Schnelligkeit, das richtige tempo finden, aber die Musik spricht für sich selbst”, sagt Schuck. „Es gibt kein rubato wie in der Romantik, das anzeigt, an welcher Stelle man schneller oder langsamer werden muss. Hier spürt man die Höhen einfach.“ Und wie wird interpretiert? Beim Singen. Vier Stimmen, die gemeinsam auf die Musik reagieren, genau wie vor 600 Jahren.

Wir sprechen von einer Zeit, in welcher der Buchdruck eine relativ neue Erfindung war. Die Quellen dieser Musik sind daher im Allgemeinen keine gedruckten Blätter sondern Manuskripte, die in den Archiven von Bibliotheken oder Klöstern aufbewahrt werden. Diese Werke zu entdecken und aufzubereiten bedeutet auch eine Verbindung zwischen dem Dunkel der Vergangenheit und der Technologie der Gegenwart zu schaffen, denn hat man die Manuskripte endlich aufgespürt, kommt eine spezielle Software ins Spiel. Markus Schuck erklärt es so: „Ich habe Zugang zu den Originalmanuskripten bekommen, aber ich muss sie in die moderne Notenschrift übertragen. Die Originale sind sehr schwer zu lesen, wenn man nicht daran gewöhnt ist. Ein befreundeter Musikwissenschaftler hat ein Programm entwickelt, das ich auf meinem Computer habe. Man speist das Original ein und das Programm trennt die Stimmen, sodass jeder Sänger seinen eigenen Teil hat.” Musik des 16. Jahrhunderts, die sich dank der Informatik des 21. Jahrhunderts lesen lässt – auch hier vereint Vocalconsort Berlin die Kontraste.
 

Die Konzerte werden seit 2014 vom Goethe-Institut in Zusammenarbeit mit den Musikfestivals in Popayán, Marinilla, Villa de Leyva und Quito, der kolumbianischen Nationalbank, dem Kulturinstitut Alexander von Humboldt in Medellín, der Humboldt-Gesellschaft in Quito und dem ecuadorianisch-deutschen Kulturzentrum in Guayaquil organisiert.
 
Die Konzerte von Vocalconsort Berlin in Ecuador und Kolumbien 2018:

Montag, 19. März | Guayaquil, Ecuador

Mittwoch, 21. März | „Festival Internacional de Música Sacra“ in Quito, Ecuador

Donnerstag, 22. März | „Festival Internacional de Música Sacra“ in Quito, Ecuador

Sonntag, 25. März | „Festival de Música Religiosa“ in Popayán, Kolumbien

Dienstag, 27. März | Konzertsaal, Bibliothek Luis Ángel Arango in Bogotá, Kolumbien

Mittwoch, 28. März | „Festival de Música Religiosa“ in Marinilla, Kolumbien

Freitag, 30. März | „Encuentro de Música Antigua“ in Villa De Leyva, Kolumbien