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19:30–21:00 Uhr

Alice verschwindet

Szenische Lesung mit Nachgespräch|Szenische Lesung mit Nachgespräch

  • Goethe-Institut China, Peking

  • Sprache Chinesisch
  • Preis Eintritt frei

Alice verschwindet

Alice verschwindet

In Kooperation mit dem Österreichischen Kulturforum der Österreichischen Botschaft und mit Unterstützung von Pro Helvetia Shanghai, der Schweizer Kulturstiftung, dem Young Theater sowie der Abteilung für Kultur und Bildung des Deutschen Generalkonsulats in Shanghai präsentiert das Goethe-Institut China im Herbst 2024 das Stückemarktprojekt mit szenischen Lesungen, Workshops und Diskussionen. Drei Stücke junger Autor*innen aus dem deutschsprachigen Raum – „Der Chor“ von Dominik Busch, „Wasser“ von Anna Gschnitzer, und „Alice verschwindet“ von Selma Kay Matter und Marie Lucienne Verse - werden erstmals ins Chinesische übersetzt und als szenische Lesung durch chinesische Theatermacher*innen dem Publikum in China vorgestellt. Ziel des Stückemarktprojekts ist es, Nachwuchstheatermacher*innen zu unterstützen sowie den internationalen Austausch und die Zusammenarbeit im Theaterbereich zu fördern. 

Am 21. und 22. September 2024 wird das letzte Stück „Alice verschwindet“ in der Inszenierung von Selena Lyu im Goethe-Institut China in 798 präsentiert.


Szenische Lesung mit Nachgespräch –
ALICE VERWINDET


Zeit: 21./22.09.2024, 19:30
Ort: Goethe-Institut China
Adresse: Originality Square, 798 Art District, Nr. 2 Jiuxianqiao Road, Chaoyang District, Beijing
Sprache: Chinesisch
Eintritt frei, keine Reservierung erforderlich


Das Stück „Alice verschwindet“

Und nun ist Alice verschwunden. Diese Nachricht aus dem Pflegeheim bringt den Alltag dreier Töchter durcheinander und zwingt sie, gemeinsam über ihre Mutter und ihre jeweiligen Beziehungen zu ihr nachzudenken. War Alice nicht schon immer halb im Aufbruch, irgendwie auf dem Sprung in ein anderes Leben? Da gab es doch diese heimliche Liebe zu einer Frau, einer Schneiderin, nicht wahr? Sicherlich, zu Hause wurde darüber nie offen gesprochen, das blieb eher eine nur halbherzig kaschierte Grauzone. Die Schneiderin ist wie ein Schatten, eine flüchtige Randfigur, die sich bestens für allerlei Projektionen eignet. So rekapitulieren die Töchter nicht nur die konkreten Erinnerungs-Versionen aus der Zeit ihres Heranwachsens, sondern stellen sich auch Begegnungen vor, wie sie sich möglicherweise ereignet haben könnten. Das Verschwinden der Mutter verweist auf eine Leerstelle, auf die fehlende Kommunikation im gemeinsamen Zusammenleben über familiäre Rollen, Zuschreibungen und Erwartungen. Von dem tabuisierten blinden Fleck geht eine subtile Gewalt aus, wie ein Abgrund, der sich unerwartet auftut.


Die Interpretation der Regie:

Es ist ein sehr kryptischer Text, in dem zwischen den Zeilen das Unausgesprochene, Unsagbare mitschwingt. Dabei sind es ausgerechnet die Unschärfen, die uns einen Zugang ermöglichen. In unserer Kultur wird das „Begehren der Mütter“ mit einem Mantel des Schweigens bedeckt; auch wenn die drei Töchter in dem Stück das Bild ihrer Mutter immer wieder neu zusammensetzen, bleibt deren Gesicht verschwommen. Ihr Akt des Erinnerns besteht aus tastenden Versuchen und Spekulationen.

Auf der anderen Seite ist dies auch ein sehr sinnlicher Text, der Klänge, Berührungen, Gerüche und Farben evoziert. Von den Lücken zwischen den Sprachfragmenten geht etwas aus, das auf ein subtiles emotionales Band zwischen Mutter- und Tochterschaft hinweist. Der knarrende Dielenboden, der alte Schrank aus Kampferholz, vollgestopft mit Kleidern und Briefen, das Telefon, das jeden Mittwoch klingelt, die Vergangenheit, die sich in der Gegenwart zu Wort meldet.  (Text: Selena Lyu)


Die Besetzung

Buch: Selma Kay Matter & Marie Lucienne Verse
Chinesische Übersetzung: Zheng Deng
Inszenierung: Selena Lyu (_ao_ao_ing Ensemble)
Sounddesign: Bi-Non
Performerinnen: Chen Yihong, Lv Yanni, Yang Xiyue


Über die Autor*innen

Selma Kay Matter wurde in Zürich geboren. Matter war Teil der künstlerischen Leitung des Literaturfestivals PROSANOVA 2020 und Mitherausgeber:in der BELLA triste. Als Autor:in und Dramaturg:in arbeitet Selma Kay Matter in unterschiedlichen kollektiven und transdisziplinären Konstellationen. Seit 2020 schreibt Matter zusammen mit Marie Lucienne Verse. Gemeinsam entstand das Theaterstück „Alice verschwindet“, das mit dem Thomas-Bernhard-Stipendium 2022 ausgezeichnet wurde. Das neueste Stück von Matter und Verse, „Alias Anastasius“, wurde im März 2023 am Berliner Ensemble uraufgeführt.  Für das Theaterstück „Grelle Tage“ erhielt Selma Kay Matter den Hans-Gratzer-Preis 2022 und den Nestroypreis 2023.

Marie Lucienne Verse ist in Berlin aufgewachsen und lebt seit 2015 in Leipzig. Sie studiert Literarisches Schreiben und Psychologie. Zuletzt veröffentlichte sie den Text „Wohnungen“ in der Anthologie des 28. Open Mike und das Gedicht „Räumung“ im Jahrbuch der Lyrik 2021. Ihr Essay „Aufschlussfiguren“ wurde mit dem Wortmeldungen-Förderpreis 2020 ausgezeichnet. Auszüge aus dem ersten gemeinsamen Theaterstück von Selma Kay Matter und Marie Lucienne Verse, „Alice verschwindet“, erschienen im DRAMA Magazin für szenische Literatur und im Podcast von Kabeljau&Dorsch.


Über die Übersetzerin

ZHANG Deng ist Autorin und Theatermacherin, die an der Schnittstelle von Philosophie, Literatur und Theater arbeitet. Sie ist Mitbegründerin der Berliner Performancegruppe „Nomadic Minutes“, Stipendiatin des Literarischen Colloquiums Berlin (LCB) und Vorstandsmitglied des BDÜ Landesverbands Berlin-Brandenburg (LV BB).


Über die Regie

Lyu Yuzhou ist eine unabhängiger Theatermacherin und Mitbegründerin des zeitgenössischen Performance-Ensembles _ao_ao_ing (老妖精). Ihre Bühnenpraxis changiert zwischen „dokumentarischem Theater“, „kollektiver künstlerischer Arbeit“ und „sozialer Intervention“, wobei sie in ihrer Arbeit oft eine Mischung aus „authentischem Material“ (mündliche Erzählungen, dokumentarische Bilder, Streaming-Texte usw.) und „literarischen Metaphern“ einbindet. Lyu Yuzhou wurde mit einem Ibsen-Stipendium ausgezeichnet und war mit ihren Arbeiten beim Helsinki Festival, dem Wuzhen Theatre Festival sowie dem Nanluoguxiang Festival eingeladen und hat in Shanghai für das Ming Contemporary Art Museum, die Power Station of Art, das Dramatic Arts Centre und das Shanghai Rockbund Art Museum gearbeitet. Sie war zu Gast bei Theaterformen2017, dem Taipei Arts Festival 2019 und im Internationalen Forum des Berliner Theatertreffens 2024.


Über den Sounddesigner

Der Musiker Xiao Baineng arbeitet seit 2015 unter dem Namen Bi-NON als Klang-Künstler und verarbeitet in seinen Performances, die unter anderem in Kunsträumen und Underground-Clubs stattfinden, Mikrotöne, Geräusche und Ambient-Musik sowie in letzter Zeit auch dekonstruktivistische und elektronische Klänge sowie Step-Geräusche. Daneben sucht Bi-NON immer wieder die kreative Kooperation mit Theaterschaffenden und Medienkünstlern, wobei sein künstlerisches Schaffen Klang, Video, interaktive Installationen, Performance und Text abdeckt. In seiner Arbeit spürt er aktuell dem Thema der Identität sowie den Effekten des Unbewussten innerhalb der Informationsgesellschaft nach.


Über die Performer*innen

Lv Yanni ist eine Video-, Aktions- und Theaterkünstlerin. Sie ist Absolventin der Shanghai Film Academy und lebt und arbeitet derzeit in Shanghai. Sie hat unter anderem am Beijing International Youth Theatre Festival, der Biennale RAM Assembles am Rockbund Art Museum, der Next Wave Hainan Film Exhibition for New Authors und dem Cement Park Live Art Festival teilgenommen. Zu ihren Bühnenarbeiten zählen „The Forbidden House“, „Awakening“ und „Goliath in the Water“.

Yang Xiyue ist eine in Shanghai lebende Theaterregisseurin, Dramatikerin und Schauspielerin. Ihre Werke wurden auf dem Shekou Theatre Festival, dem Nanluoguxiang Theatre Festival, dem Beijing Queer Film Festival und dem Amsterdam Independent Film Festival gezeigt. Während sie ihre Themen aus dem realen Leben aufgreift, gibt sie ihnen auf der Bühne den Anstrich des nur scheinbar Realen und lässt das Leben in ihren Werken so als „luziden Traum“ erscheinen. In ihren jüngsten Arbeiten beschäftigt sie sich mit Sehbehinderten, Frauen, queer lebenden Menschen, sowie den Kindern von Fabrik- und Bergarbeiter*innen. Yang Xiyue hat einen Bachelor in Germanistik an der Chongqing University und einen Master in Theater, Film und Fernsehen an der Shanghai Theatre Academy absolviert. 

Chen Yihong ist eine bilinguale Schauspielerin und Regisseurin. Sie hat einen Master of Fine Arts in Classical Acting von der Shakespeare Theatre Company an der George Washington University. Ihre Bühnenarbeiten umfassen: Shakespeares „Macbeth“ (Physical Theater), „Was ihr wollt“ (Musical), „Romeo und Julia“; die Theaterstücke „La Salpêtrière“ und „Prometheus“; das Musical „Letters from Daddy“; das immersive Theater „The Grand Expedition“; und das Puppenspiel-Event „The Walk with Little Amal“. Für ihre Hauptrolle in dem Stück „La Salpêtrière“ wurde sie in den USA 2024 mit dem Helen Hayes Theatre Award ausgezeichnet.


Übersetzung aus dem Chinesischen: Julia Buddeberg