tavros
Was haben dreißig Studierende aus Hamburg in Tavros zu suchen?

© Marie-Theres Böhmker, Jesko Fezer, Kayoung Kim, Studio Experimentelles Design

Von Dionysis Notarakis

Nicht weit vom berühmten Athener Zentrum entfernt liegt Tavros, ein Stadtteil, der selten im Rampenlicht steht. Ebenso wenig die Stadtbibliothek von Tavros: Hier setzt das Tavros Community Projekt I & II an.
Es handelt sich um eine Initiative von Olga Hatzidaki, Kuratorin und Mitbegründerin des Kunstraums „TAVROS“. Ihr Projekt wurde von der Hochschule für bildende Künste Hamburg, der örtlichen Stadtverwaltung und dem Goethe-Institut Athen unterstützt.
„In einer so großflächigen, vielfältigen, internationalen und historisch reichen Hauptstadt wie Athen sucht das Goethe-Institut in vielen Stadtteilen und Nachbarschaften nach Kooperationen. Wir verstehen Kultur als einen kontinuierlichen Prozess des Austauschs, des gegenseitigen Lernens, was die Notwendigkeit eines Perspektivwechsels mit sich bringt. Dies setzt kulturelle Aktivitäten jenseits der etablierten Institutionen im Zentrum voraus“, sagt Stefanie Peter Leiterin für Kulturprogramme des Goethe-Instituts in der Region Südosteuropa. Sie fügt hinzu, dass sie sofort bereit war, an dem Projekt in Tavros mitzuwirken.

„In den letzten Jahren ist mir bewusst geworden, dass ich in meiner Arbeit mehr auf andere setzen möchte. Daher mein Interesse am öffentlichen Raum, an kleinen Gemeinden und an der engen Zusammenarbeit mit Menschengruppen“, sagt Olga Hatzidaki. Sie betont jedoch auch, dass das Ziel des Programms primär in einer Verbesserung der lokalen Sozialplanung bestand. Es sollte zwischenmenschlichen Beziehungen auf allen Ebenen zugute kommen.

Der Nukleus des Programms ist im Jahr 2019 entstanden, als Ergebnis von Gesprächen mit Valentina Karga, Professorin der Hochschule für bildende Künste. Jesko Fezer, der ebenfalls dort unterrichtet, schloss sich der Gruppe an. Gemeinsam mit Studierenden und Olga Hatzidaki wurde ein Programm entwickelt. Während der Pandemie lagen die Aktivitäten etwa zwei Jahre lang auf Eis.
„Es ist ein Gemeinschaftsprogramm, das zu seiner Umsetzung nicht nur Kommunikation braucht, sondern auch direkten menschlichen Kontakt “, stellt Olga Hatzidaki  klar.

| © Marie-Theres Böhmker, Jesko Fezer, Kayoung Kim, Studio Experimentelles Design

SITZGELÄNDER UND ERDINSELN

Im März 2020 mussten die Studierenden von Valentina Karga noch aus der Ferne arbeiten. Auch die Gruppe von Jesko Fezer wartete ab, bis eine tatsächliche Präsenz in Tavros möglich wurde. Nun, mit der schrittweisen Aufhebung der Beschränkungen, geht das Programm endlich in die Umsetzungsphase.
Die erste Gruppe konzentriert sich auf die Stadtteilbibilothek. Um ihre Auslastung zu maximieren, nimmt Marianna Stivachta – stellvertretend für die Mitarbeiter*innen – an den digitalen Treffen teil und informiert die Studierenden über die Besonderheiten der Nachbarschaft. Gleichzeitig findet eine umfangreiche Bedarfskartierung statt. Dabei hat sich gezeigt, wie dank digitaler Medien, eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligten ermöglicht werden kann.

Den Studierenden von Valentina Karga wird bald bewusst, in welchem Rahmen sich ihre Arbeit bewegen soll. Sie entwerfen eine Kommunikationskampagne auf Griechisch, Englisch, Albanisch und Urdu, den vier meistgesprochenen Sprachen in Tavros, drucken Plakate und Banner. Gleichzeitig erweitern sie den Bestand der Bibliothek um Klassiker in den genannten Sprachen. In Zusammenarbeit mit der lokalen Stadtverwaltung gestalten sie die Gebäudefassade neu und verpassen ihr einen satten blauen Anstrich.

In Zusammenarbeit mit der Athener Universität für Landwirtschaft werden Pflanzen im Innenhof platziert, die nun – dank neu gestalteter Sitzgelegenheiten -  den Bibliotheksnutzer*innen zugute kommen. Die Bibliothek hat eine beispiellose Sichtbarkeit.

Das Team von Jesko Fezer wird Tavros in der zweiten Oktoberhälfte besuchen und die Planungen an der „2. Grundschule Tavros“ umsetzen. Auch hier sind die unmittelbar Betroffenen am Projekt beteiligt. „Unsere Methodik basiert strikt auf der Idee, dass (…) diejenigen, die unmittelbar von den Bedingungen beeinflusst werden, die Probleme besser verstehen und auch die Aussichten möglicher Interventionen erfassen“, sagt Jesko Fezer. Er betont, dass weder er noch seine Studierenden Interventionen geplant hatten, bevor deutlich wurde, wie sie von Lehrer*innen, Schüler*innen und der lokalen Gemeinschaft wahrgenommen werden würden.
Im Anschluss an diesen Prozess wurden, wie schon im Fall der Bibliothek, Interventionen im Außen- wie im Innenraum der Schule beschlossen. „Die Wette bestand darin, einer bereits großartigen interkulturellen Schule einen zusätzlichen Schub zu geben. Das geschah, als wir vor Ort waren und mit den Mitteln, die uns zur Verfügung standen“, sagte die Programmkuratorin, die das Bindeglied zwischen allen Beteiligten war.

Die zur Verfügung stehende Zeit war definitiv eine zusätzliche Herausforderung. „Innerhalb von zwei Wochen mussten wir uns von Forschung, Design und Umsetzung trennen“, sagt Jesko Fezer. Er fügt hinzu, dass dies nicht ohne Reibung und Kritik zwischen den Teams geschehen ist. „Aber es gab auch eine starke Unterstützung für diesen Prozess.“ Die wachsende Reibung mit der Schule und dem menschlichen Netzwerk – von Schüler*innen, Lehrer*innen, Mitarbeiter*innen und Eltern – war ein verstärkendes Element", sagt Fezer. Die physische Präsenz des Teams in der Schule habe dabei eine Schlüsselrolle gespielt.

Was hat sich an der „2. Grundschule Tavros“ geändert? Die Studierenden von Jesko Fezer wurden in fünf Gruppen eingeteilt, hinzu kam eine Person die für die Forschung und vier, die für die Umsetzung des Projekts zuständig waren. Die gesamte Exkursion nach Tavros, der Kontakt und die Bekanntschaft mit den Bewohner*innen und die Erfahrungen im Zuge des Programms sind vom Forschungsteam schriftlich dokumentiert worden. Eine der Projektgruppen übernahm die Neugestaltung des Integrationsraums, für kleine Gruppen von Schüler*innen mit Lernschwierigkeiten. In einem Bereich, der bis vor kurzem noch von typischen Schulbänken geprägt war, dominieren heute bunte Farben, Bücher und Spielsachen. Ein anderes Team betreute die Erste-Hilfe-Station der Schule, die aus praktischen Gründen im Wesentlichen von der Schule selbst aufgebaut worden war. Der Raum wurde "für mehr Privatsphäre" abgegrenzt und geschlossen. Nun können sich die Schüler*innen auf eine speziell entworfene Couch legen und die von der Decke hängenden Gegenstände betrachten.
Der Spielplatz im Innenhof, wo die Schüler*innen ihre Pausen verbringen, war bei den Interventionen nicht zu übersehen. Zwei „Erdinseln" bieten ihnen jetzt die Möglichkeit, auf dem "blauen Fluss, der zwischen ihnen fließt" zu klettern, zu balancieren und zu springen. Aus verdichteter Erde, Steinen und Zement schufen die Studierenden eine phantasievolle Sitzgelegenheit. In einem ungenutzten Blumenbeet tauchte zudem eine im Original erhaltene Holzkonstruktion auf. Sie dient, in ihrer ungewöhnlichen Form, nun als "Insektenhotel“, durch das die Schüler für den ökologischen Nutzen von Insekten sensibilisiert werden sollen.
Schließlich erhielt auch die Schulkantine ein neues Gesicht – eine Intervention, die kurz vor Fertigstellung in das Programm aufgenommen wurde. Bei all diesen Projekten wurde eine substanzielle Partnerschaft mit der Gemeinde gepflegt, die dem Projekt auch mit technischer Unterstützung zur Seite stand.
In der Zeit zwischen Konzeption und Umsetzung fand am Goethe-Institut Athen ein geschlossener Workshop statt, bei dem die Ideen der einzelnen Gruppen der Öffentlichkeit präsentiert wurden. „Das Programm wird von Studierenden umgesetzt. Es ist immer noch ein Übungsfeld für sie. Die öffentliche Präsentation und Ausstellung (vor der Umsetzung des Projekts) war eine zusätzliche Herausforderung, der sie sich stellen mussten“, kommentiert Olga Hatzidaki.
© Marie-Theres Böhmker, Jesko Fezer, Kayoung Kim, Studio Experimentelles Design
 

DIE ZUKUNFT KLEINER INTERVENTIONEN

Scheinbar "klein", aber mit großem Einfluss auf das tägliche Leben der lokalen Gemeinschaften, eröffnen die Projekte in der Stadtbibliothek und der Grundschule von Tavros die Diskussion darüber, welche Interventionen an Orten wie den oben genannten erforderlich sind, aber auch, wie sie gestaltet und umgesetzt werden können. Nach Ansicht von Olga Hatzidaki zielen Programme wie dieses auf einen tatsächlich bestehenden Bedarf ab und suchen dafür nach entsprechenden Lösungen. „Sie haben“, stellt Hazidaki fest, „eine soziale Dimension, werden in enger Zusammenarbeit mit der Community umgesetzt, nutzen die menschlichen Netzwerke und die Erfahrungen der Beteiligten. Sie sind anthropodynamisch."
Können Interventionen wie diese eine neue Richtung vorgeben und andere Arbeitsweisen empfehlen? Die Ergebnisse, sagt Stefanie Peter über die Umsetzung des Programms in Tavros, hätten alle positiv überrascht. Das Programm habe den Grundstein für zusätzliche Aktionen gelegt, die "mit dem Engagement und der Beteiligung lokaler Institutionen" entwickelt werden könnten.
  •  © Alexandra Masmanidi

  •  © Marie-Theres Böhmker, Jesko Fezer, Kayoung Kim, Studio Experimentelles Design

  •  © Marie-Theres Böhmker, Jesko Fezer, Kayoung Kim, Studio Experimentelles Design

  •  © Alexandra Masmanidi

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