„Feuergesicht“ von Marius von Mayenburg

Feuergesicht
© Foto: Dmitrijus Matvejevas

Kurt liest Heraklit und legt die Nachbarschaft mit selbstgebastelten Brandbomben in Schutt und Asche. Olga, seine Schwester, will heraus aus der dumpfen Enge ihrer Jugend und trifft Paul. Der hat zwar ein Motorrad, enttäuscht aber alle weiteren Erwartungen. Nur der Vater mag ihn, weil Paul so ist, wie Kurt hätte sein sollen. Während der Mutter noch eine Hoffnung aufgeht jenseits ihrer Elternrolle, ahnt Paul bereits das Verhängnis, das sich aus der autistischen Verschwörung der beiden ungleichen Geschwister entwickeln wird. Ein verstörendes, amoralisches Stück über Jugendliche, die ihr Erwachsenwerden als existentielle Erniedrigung erleben, über zwei in ihre hermetische Eigenwelt versponnene "firestarter", die grausam Rache üben an den gleichermaßen liberalen wie hilflosen Eltern. Bis Kurt sich schließlich mit Benzin übergießt und ein letztes Streichholz entzündet, bürstet dieses unheimliche, bitter-lakonische Familienstück einige gängige Klischees gehörig gegen den Strich.

Stimmen zur Inszenierung in Litauen

Olga (gespielt von der phänomenalen Rasa Samuolytė) ist eine Jugendliche und eine unsittsame Frau in einem (...) Mal wird Kurt pathetisch, mal ist er witzig. Kaum haben wir begonnen, in ihm einen normalen Teenager zu sehen, zieht der Schauspieler eine Grimasse, und anstelle der früheren Überzeugung ergreift uns Unruhe. (...) Bei Kurt zu Hause steht alles Kopf. Die Eltern sind keine Eltern, die Kinder keine Kinder (...). Die Eltern betrachten ihre Kinder als entartet, in den Augen der Kinder sind ihre Eltern tot und tun nur so, als ob sie existierten. (...) In dieser Familie ist die Liebe tot. Kurt und Olga versuchen einen Ersatz dafür zu finden. Das kann der Tod sein, oder auch Sex.
(Lukasz Drewniak „Der Junge mit den Schwefelhölzern“. Teatr Nr. 10, 11.2000)

Möbel, Badewannen, WC-Schüsseln, Fernsehgeräte und Waschmaschinen nehmen soviel Platz ein, dass die Schauspieler gezwungen sind, über Tische, Schränke und Sofas zu steigen oder sogar zu den Zuschauern hinunterzusteigen. Diese hervorragende Inszenierung hat in Metaphern übermittelt, was das deutsche Theater direkt und offen sagen würde, und übte dabei eine viel größere Wirkung aus als die Aufführung von Thomas Ostermeier in Toruń vor zwei Jahren. (…) In Litauen hat der Konsum materieller Güter in letzter Zeit den höchsten gesellschaftlichen Wert erlangt, das Theater deckt die entstandene moralische Leere auf, die sich hinter dem rein aufs Geschäftliche reduzierten Leben verbirgt.
(Roman Pawlowski „Die sieben Reisen des eines polnischen Kritikers auf der Suche nach dem litauischen Theater“. Kultūros barai, 2001 Nr. 4)

Inszenierung in Litauen

Premiere 27.04.2000
Regie Oskaras Koršunovas
Bühne Jūratė Paulėkaitė
Musik Gintaras Sodeika
Mit Gytis Ivanauskas, Dalia Brenciūtė, Rasa Samuolytė, Dainius Gavenonis, Arvydas Dapšys
Übersetzung Jurgis Kunčinas