Schlingel
Kino für die Zuschauer*innen der Zukunft

© One Fine Day Films-SuMo

Zum sechsten Mal wurde der Goethe-Preis für Kinder und Jugendfilme auf dem Schlingel Festival in Chemnitz verliehen. Eine Stadt die kurz zuvor von rechtsextremen Demonstrationen heimgesucht wurde, und dank diesem Filmtreffen dann den Akzent auf Menschlichkeit und kulturelle Vielfalt betonte.

Von Isabel Mardones Rosa

Im Oktober 2018 wurde ich zum Kinderfilmfestival Schlingel in Chemnitz als Gastjurorin des Goethe-Instituts eingeladen. Es war eine bereichernde Erfahrung.
 
Dies war meine erste Reise nach Sachsen, wobei ich zunächst nicht wusste, wo Chemnitz liegt. Auf der Landkarte bildet es gemeinsam mit Leipzig und Dresden ein Dreieck, wie ich lernte. Wenige Tage vor Abflug war Chemnitz in aller Munde aufgrund gewalttätiger Demonstrationen von Neonazis. Trotz diesem schwierigen Kontext –und ich muss meine Angst gestehen- wurde das Schlingel Festival in einem Chemnitzer Multiplexkino veranstaltet, unweit von dem Ort an dem die rechten Demonstrationen und die darauffolgenden Gegenbewegungen stattgefunden hatten. Der Direktor des Festivals, Michael Harbauer, ließ sich dabei nicht einschüchtern. Er bewies vielmehr seinen zuversichtlichen und liebenswürdigen Blick auf die Welt. Er erklärte mir, dass die Szene der Kinderfilmfestivals recht klein ist und alle Beteiligten sich allesamt kennen, aber es nur wenige Möglichkeiten gibt, sich zu treffen und zusammenzuarbeiten. Aus diesem Grund setzte sich Michael Harbauer dafür ein, sein Festival zu dieser Art von Zusammenkunft werden zu lassen, einen Dialog herzustellen und den Mehrwert aufzuzeigen, den kulturelle Vielfalt verspricht. Um diese Perspektive zu unterstreichen, wurde das Festival nicht abgesagt, auch wenn alle Beteiligten ein wenig besorgt waren, angesichts des 3. Oktobers, dem Tag der deutschen Einheit. Am Ende war dieser Tag recht ruhig, mit hunderten von Schulkindern, die die Kinosäle ab 8 Uhr morgens füllten.

Das Schlingel Festival begann auf bescheidene Art und Weise. Michael Harbauers startete diese Initiative im Jahr 1996, um Kinderfilme in alten Industrieanlagen zu zeigen. Langsam aber sicher wuchs dann über die Jahre hinweg ein bedeutendes Festival heran. In diesem Jahr 2018 wurden 230 Filme aus 51 Ländern gezeigt, es gab 25.000 Zuschauer*innen und 400 ausländische Gäste. Es ist das einzige Festival für Kinderfilme der Welt, auf dem der FIPRESCI Preis der internationalen Filmkritik vergeben wird. Was sich aber nie verändert hat: dass tatsächlich Kinder die Hauptrolle auf dem Festival spielen. Es war für mich besonders spannend, die Vorstellungen mit Gruppen aller Altersklassen zu erleben und deren Kommentare und Fragen zu hören. Auf diese Weise wurden zwei Dinge deutlich: Kinder nehmen Filme anders wahr als Erwachsene (und es gar nicht schlecht daran erinnert zu werden), und sie sind weitaus feinfühliger und autonomer, als ihre Eltern denken. Eine wichtige Lehre.

  © © One Fine Day Films-SuMo  © One Fine Day Films-SuMo
Ein weiterer beachtenswerter Punkt von Schlingel ist die Zusammenarbeit von Festivalleiter*innen, Juror*innen, Kritiker*innen, Filmemacher*innen, Lehrer*innen, usw. aus aller Welt. Es ist ein enges Netz von Menschlichkeit, das sich durch Herzenswärme und große Kreativität auszeichnet. Harbauer selbst widmet sich dem Ausbau jener Beziehungen, indem er die ganze Welt bereiste, und wie er mir sagte, hat er vor im August 2019 auch nach Chile zum Festival Ojo de Pescado in Valparaíso zu kommen.
Die Welt offenbart sich im Rahmen von Schlingel, insbesondere durch unabhängige Projekte. Ein Großteil der prämierten Filme des diesjährigen Festivals stammt aus weniger bekannten Ländern, die sogar über keine Kinokultur verfügen. Ein bemerkenswertes Beispiel dafür ist der wundervolle Film Pahuna von der indischen Regisseurin Paakhi A. Tyrewala über zwei nepalesische Kinder, verschollen in Sikkim.
 
Der DEFA-Preis und der Goethe-Preis gingen an Supa Modo des Regisseurs Likarion Wainaina. Mit diesem Film ist Kenia bei den Oscars angetreten. Er wurde von Tom Tykwer und One Fine Day Films produziert, einer Firma, die der Regisseur 2008 mit seiner Ehefrau Marie Steinmann in Kenia gründete, um afrikanischen Regisseur*innen den Impuls zu geben, ihre eigenen Geschichten zu erzählen mit der Unterstützung von Mentor*innen aus Deutschland oder anderen Ländern. Zu diesem Zeitpunkt wurden sechs Filme gedreht und zusammen mit der Deutschen Welle Akademie wurden Kino-Workshops mit mehr als 1000 Regisseur*innen aus 21 afrikanischen Ländern veranstaltet.

Der Goethe-Preis für Kinderfilm, der seit sechs Jahren in Chemnitz verliehen wird, besteht aus dem Ankauf des Films und seine Untertitelung in zehn Sprachen, um das Werk in Kooperation mit den fast 30 Filmarchiven des Goethe-Instituts weltweit zu zeigen. Es ist nicht das erste Mal, dass eine Produktion von One Fine Day Films im Katalog des Goethe-Instituts auftaucht. Die erste war Soul Boy in 2010, gefolgt von Nairobi Halflife in 2012, Something Necessary (2013), und kürzlich kam Veve (2014) dazu.

Supa Modo ist ein unvergesslicher Film. Er handelt von der siebenjährigen Jo, die nicht nur davon träumt eine Superheldin zu sein, sondern mit einem aggressiven Krebs kämpft. Sie überzeugt den örtlichen Kinoleiter davon, einen Film ihres Idols, Supa Modo, zu drehen, in dem sie die Hauptrolle spielt. Schließlich hilft ihr ein ganzes Dorf dabei, ihren Wunsch zu realisieren und in die Tat umzusetzen. Wie der Regisseur bereits sagte, wollte er einen ehrlichen Film machen, ohne große Ansprüche, aber von der Erfahrung gekennzeichnet, eine Gruppe von Kindern mit Krebs im Krankenhaus in Nairobi kennen gelernt zu haben, deren größter Wunsch es war, ihre Mütter nicht leiden zu sehen. Das Ziel von Likarion Wainaina war es, „…einen Film zu machen, der in seiner puresten Form die Seele berührt, da jeder schon einmal jemanden verloren hat. Der Tod hat dir jemanden genommen, den du geliebt hast, der dich aber nicht hätte leiden sehen wollen. Und du kannst glücklich sein. Den Tod muss man nicht fürchten, wohl aber das Leben nicht zu genießen.“ Das Ergebnis ist ein magisches Abenteuer, das unter die Haut geht.

Dieser Film wurde das erste Mal in Chile auf dem Filmfestival in Valdivia im Jahr 2018 gezeigt und ich hoffe sehr, dass wir ihn bald überall in Chile zeigen können. Er wird auch Teil des Europäischen Filmfestivals 2019 sein. Er ist eine Ode ans Leben und gleichzeitig eine Liebeserklärung an die Welt des Kinos, an die Illusion von 24 Bildern pro Sekunde. All das mit geringem Anspruch, dennoch aber hingebungsvoll und mit Humor, Zärtlichkeit und Liebe dem Kinohandwerk gewidmet. Etwas, das im Zeitalter der Superhelden von Marvel und Megaproduktionen mit Special Effects fast vergessen wurde.

Supa Modo geht es darum zum Kern des Kinos zurückzukehren, vom Erzähler aus dem Dorf, von vergangenen Traditionen und Geschichten zu erzählen. Es ist ein Beispiel von gewollter Bescheidenheit, sehr einfach und gerade deshalb so stark. Es war eine große Freude, diesen Film zu auszuzeichnen und ich hoffe sehr, dass das chilenische Publikum den Film bald sehen kann.

Top