Vielfalt im Kinderbuch
Helden mit Migrationshintergrund gesucht

Kleine Literaturfreunde
Kleine Literaturfreunde | Foto (Ausschnitt): © Christopher Futcher/iStock

Bei der Darstellung der modernen deutschen Gesellschaft hat die Kinderliteratur noch einiges aufzuholen.

Als Frau Waas endlich das seltsame Paket öffnet, staunen die Bewohner von Lummerland nicht schlecht: Ein dunkelhäutiges Baby ist mit der Post gekommen und schaut sich mit großen Augen um. Auch die Leser von Michael Endes Kinderbuchklassiker Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer staunten bei Erscheinen des Buches 1960 wohl nicht schlecht, führte sie mit Jim doch ein junger Held durch eine Reihe fesselnder Abenteuer, wie er im deutschsprachigen Kinderbuch seinesgleichen suchte: liebenswürdig, unternehmungslustig, gewitzt – und, wie man heute sagen würde, mit Migrationshintergrund.

Mittlerweile sind liebenswürdige, gewitzte Kinder mit Migrationshintergrund aus Kindergärten und Schulen in Deutschland gar nicht mehr wegzudenken. Doch in Bilder- und Kinderbüchern sind sie noch lange nicht so selbstverständlich vertreten wie in der Wirklichkeit. Ein Umstand, der vor allem Familien betrifft, die ihre Wurzeln nicht ausschließlich in Deutschland haben. Gelegentlich erreichen die Verlage Briefe, in denen solche Familien ihre Lage schildern: Ihre Kinder finden sich in den verfügbaren Büchern oft nicht wieder.

Dunkelhäutige Menschen kommen kaum vor

Ähnliche Erfahrungen machte die interkulturelle Betreuungseinrichtung Maimouna in Hamburg, als sie im Jahr 2012 Kinderbücher mit schwarzen Heldinnen ausstellen wollte. Die Erzieher mussten feststellen, dass in den meisten der in Deutschland verlegten Kinderbücher dunkelhäutige Menschen gar nicht vorkommen. Fündig wurden sie in den USA und in Großbritannien, was Klaus Humann vom Aladin-Verlag nicht wundert: „Bücher über das Fremdsein“, sagt er, „kaufen wir eher aus dem Ausland ein.“ Dort finde sich häufiger ein selbstverständlicher, unkomplizierter Umgang mit dem Thema, während Bücher aus Deutschland oft bemüht wirkten.

Zwar kommen auch in deutschen Kinderbüchern Figuren mit Migrationshintergrund vor – allerdings fast immer als Teil einer Gruppe, nicht als einzelner Held. Ob Dancing Girls von Heike Abidi oder Fußball-Haie von Andreas Schlüter und Irene Margil – in deutschen Kinderbüchern hat inzwischen fast jeder Ferienfreundeskreis, jede Mädchenclique oder Sportmannschaft Mitglieder, deren Familien oder Elternteile aus anderen Ländern stammen. Das war nicht immer so. „Wie stolz wir waren“, erinnert sich Humann, bis 2012 Leiter des Carlsen Verlags, „als wir nach etwa 15 Jahren Conni ein türkisches Mädchen in den Kindergarten, in dem die Geschichte spielt, aufgenommen haben!“ Die Reihe, die über das Mädchen Conni Kindern die Welt erklärt, gehört zu den Dauerbrennern des Carlsen Verlags.

Um genau jenen Erfolg sorgt man sich in vielen Verlagen offenbar. „Ein Kinderbuch mit einem Helden fremdländischer Herkunft“, sagt ein Buchhändler im Gespräch, „wird sofort als Problembuch wahrgenommen, vor allem von den Eltern. Und es sind die Eltern, die Kinderbücher kaufen.“ Die Mitarbeiterin eines großen deutschen Verlags berichtet gar, dass Figuren, denen in den Geschichten ganz klar afrikanische oder asiatische Wurzeln zugeschrieben werden, in den Umschlagsillustrationen bewusst uneindeutig dargestellt sind. Gelegentlich ließe der Verlag bei Übersetzungen fremdsprachiger Titel sogar die Illustrationen nachbearbeiten, um die Hautfarbe der Figuren für den deutschen Markt heller zu machen. Auch hier wieder mit Blick auf die Eltern, die annehmen könnten, ein solches Buch habe die Integration zum Thema – statt sie selbstverständlich vorauszusetzen.

Auf der anderen Seite: dogmatische Online-Rezensenten

Das Thema ist heikel, der Umgang damit oft ein Hin und Her. Wer Geschichten mit dunkelhäutigen Helden in Afrika spielen lässt, bekommt einerseits zu hören, ein weißer Europäer solle die Finger von solchen Stoffen lassen. Der Kinderbuchautorin Kirsten Boie ist es mit ihrem jüngsten Buch um den aufgeweckten Jungen Thabo so ergangen, der es in einem Land im Süden Afrikas als Detektiv und Gentleman mit dem Nashorn-Fall zu tun bekommt. Auf der anderen Seite finden sich Bewertungen von Kinderbüchern bei Amazon, die ausschließlich darauf verweisen, wie viele Kinder mit Migrationshintergrund in dem jeweiligen Buch vorkommen und welche Rolle sie darin spielen – immer im Verhältnis zu den offensichtlich deutschen Figuren. „Blondschopfzähler“ nennt die Verlegerin Monika Osberghaus vom Verlag Klett Kinderbuch diese Dogmatiker. Dabei brauche es schlicht Zeit, bis das Thema auf ganz unaufgeregte Weise, ganz von selbst im Bilder- und Kinderbuch ankomme, meint sie.

Wie das geschehen kann, dafür ist die Serie Die wilden Zwerge von Meyer, Lehmann, Schulze aus ihrem Verlag ein gutes Beispiel: Nicht allen Jungen und Mädchen mit Migrationshintergrund aus dieser quirligen Kindergartengruppe sieht man an, dass ihre Familie aus einem anderen Land kommt. Mal ist es nur ein einziger Satz, der zeigt, dass beispielsweise ein Junge dazu gehört, dessen Eltern als Spätaussiedler aus Kasachstan nach Deutschland kamen. Das ist keine große Sache. Aber eine leise Bereicherung für dieses Buch.

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