Reinhard Jirgl wird 1953 in Ost-Berlin geboren. Nach Abschluss der Oberschule und einer Ausbildung zum Elektromechaniker holt Jirgl in Abendkursen das Abitur nach. 1971-1975 studiert er Elektrotechnik an der Humboldt-Universität. Bereits Anfang der 70er Jahre beginnt Reinhard Jirgl zu schreiben. Wichtige Impulse bekommt er am Köpenicker Lyrikseminar. Aber erst, als er 1978 Beleuchtungstechniker an der Volksbühne Berlin wird, findet der Autor – unterstützt von Heiner Müller - die nötige Zeit zu einer ernsthaften literarischen Tätigkeit. Reinhard Jirgl lebt in Berlin.
1985 legt Jirgl mit
Mutter Vater Roman sein erstes druckreifes Manuskript vor. Dessen Publikation lehnt der Aufbau-Verlag jedoch wegen „nichtmarxistischer Geschichtsauffassung“ ab. Auch in den folgenden Jahren bleiben Jirgls Erzählungen und Romane unveröffentlicht. „Die Geschichte meiner literarischen Arbeiten aus den Jahren vor 1990 ist die Geschichte von amtlich verhängtem Erstickungstod“, sagt er über diese Zeit. Erst nach der Wende kommt auch der literarische Erfolg.
Jirgl, bekannt als Chronist deutscher Vergangenheit und Gegenwart, erzählt in seinen Romanen aus den heiklen Kapiteln der (eigenen) Geschichte. Deren Problempotential spiegelt sich nicht nur in den Inhalten, sondern auch im Schreibstil. Jirgl liebt es, lautmalerisch zu verfremden oder eigenwillige orthographische Abwandlungen zu kreieren. Doch auch die Visualität und die optische Kunst des Theaters inspirieren sein Schreiben nachhaltig.
Mit
Abschied von den Feinden gelingt Jirgl 1995 der Durchbruch. Sowohl in der DDR-Trilogie
Genealogie des Tötens (2002) als auch in dem Generationenroman
Die Unvollendeten (2007) über die Vertreibung der Sudetendeutschen oder
Abtrünnig (2008), in der Jirgl nach bewährter Manier eine DDR- und eine BRD-Biographie im gegenwärtigen Berlin parallellaufen lässt, wird deutlich: Hier ist ein engagierter Autor am Werk, der keinesfalls beabsichtigt, Mythen über Vertreibung und Ausgrenzung in die Welt zu setzen, sondern den Zusammenhang zwischen individueller und kollektiver Geschichte in Sprache zu fassen.
Nichts von euch auf Erden (2013) ist ein Zukunftsroman. Im 23. Jhd. siedeln die Starken auf dem Mars, während die Schwachen auf der Erde zurückbleiben. Doch das Experiment misslingt und der Mars wird unbewohnbar. Der Roman
Oben das Feuer, unten der Berg (2016) handelt vom großen bürokratischen Umbau, den die Politik die „Wende“ nannte. Dabei wurde intakt gelassen, was man vergangen glaubte. Eines wird bei Jirgl immer wieder deutlich: der eigenen Vergangenheit kann man nicht entrinnen.
Reinhard Jirgl wurde mit zahlreichen Stipendien und Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Alfred-Döblin-Preis (1993), dem Joseph-Breitbach-Preis (1999) und 2010 dem Büchner-Preis.
Copyright: Goethe-Institut Barcelona
Text: Ilka Haederle