Wilhelm Genazino wird 1943 in Mannheim geboren. Nach einem Volontariat in der Rhein-Neckar-Zeitung studiert er Germanistik, Philosophie und Soziologie in Frankfurt a.M. und arbeitet anschließend als freier Journalist und Redakteur. Bis 1971 schreibt er für das Satiremagazin Pardon. Daneben macht er sich als Hörspielautor einen Namen. Wilhelm Genazino lebt in Frankfurt.
Als Romanautor erregt Genazino 1977 mit seiner
Abschaffel-Trilogie Aufsehen und gehört seither zu den wichtigsten deutschen Gegenwartsautoren. Mit den sogenannten
Angestellten-Romanen der 1970er Jahre stellt er sich in die Tradition eines kritischen Realismus. Der Entwurf einer „Phänomenologie des Alltags“ aus der Sicht eines Angestellten formuliert zugleich eine Klage über Entfremdung, Identitätskrise und Wirklichkeitsverlust. Mit
Der Fleck, die Jacke, die Zimmer, der Schmerz von 1989 öffnet er sich einer individualistischen Lesart des Alltagslebens. Die Protagonisten seiner heutigen Romane, so formuliert es der Autor , „wissen, wie schwierig es ist, unabhängig zu sein, aber sie versuchen es trotzdem mit einigem Erfolg“. Genazino ist ein genauer Beobachter des Alltags und der „Gesamtmerkwürdigkeit des Lebens.“
Genazinos Außenseiter sind verzagte Männer, die „ohne Frauen hoffnungslos verloren wären“.
Leise singende Frauen (1992) handelt von der poetischen Schönheit des Zufalls, der sich eigentlich an jedem Ort und jederzeit ereignen kann. In seinem Roman
Ein Regenschirm für diesen Tag (2001) verdient der Held sein Geld als Probeläufer für Luxusschuhe. Doch dann wird das Honorar gekürzt und der Flaneur gerät nicht nur in finanzielle Bedrängnis.
Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman (2003) erzählt von einem jungen Einzelgänger, der Schriftsteller werden will und versucht, sich über die kleinkarierte Gegenwart poetisch hinwegzusetzen. In
Die Liebesblödigkeit (2005) geht es um einen freischaffenden Apokalyptiker. Als Experte für das Ausweglose hält er Wochenendseminare in der Schweiz ab. Doch auch in seinem Privatleben mit zwei Geliebten naht die Katastrophe: der Schrecken des Älterwerdens.
Mittelmäßiges Heimweh (2007) ist ein Roman über einen traurigen Helden, dem Körperteile und - schlimmer noch - die Gefühle abhandenkommen.
Das Glück in glücksfernen Zeiten (2009) erzählt von einem Philosophen, der seinen Lebensunterhalt in einer Wäscherei verdient und davon, dass Glück nicht zwingend glücklich macht.
Außer uns spricht niemand über uns (2016) ist die Geschichte eines gescheiterten Schauspielers, der unter seiner Bedeutungslosigkeit leidet. Als seine Freundin ihn verlässt, springt ihre Mutter ein und will den Mann retten, aber will er das überhaupt?
Genazino wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. 1996 mit dem Berliner Literaturpreis, 2004 mit dem Georg-Büchner-Preis und 2007 mit dem Kleist-Preis.
Copyright: Goethe-Institut Barcelona
Text: Ilka Haederle