Kino
Mittwochskino: The Meaning of Hitler

The Meaning of Hitler
Foto: UwagaFilmLLC

Regie: Petra Epperlein, Michael Tucker 2020, 92 min.

Goethe-Institut Peru

An diesem Mittwoch widmet sich unser Kino dem Diktator Hitler in der Dokumentation:

The Meaning of Hitler (2020)
Regie: Petra Epperlein, Michael Tucker
Eintritt frei


THE MEANING OF HITLER argumentiert knapp, pointiert und nüchtern gegen das Faszinosum, das der Mann mit dem gestutzten Oberlippenbart nicht ‚immer noch‘, sondern ‚zunehmend wieder‘ darstellt. In Anlehnung an Sebastian Haffners Bestseller Anmerkungen zu Hitler (engl. The Meaning of Hitler), verabreicht der Film wirksame Medizin gegen jegliche Versuche mystifizierender Überhöhung – seien sie kritisch oder affirmativ.

Mehr zum Dokumentarfilm:

Auf der Grundlage von Sebastian Haffners Buch Anmerkungen zu Hitler unternehmen die Filmemacher Petra Epperlein and Michael Tucker den filmischen Versuch einer knappen, pointierten und nüchternen Entkitschung Hitlers. Für die Entkräftung von leeren Mystifizierungen taugt zum Beispiel schon ein schlichter Ortstermin: in Braunau etwa, wo Hitler angeblich in einem kleinen Stall geboren wurde, erklärt ein Stadthistoriker unaufgeregt, dass daran nicht viel mehr zutreffend ist, als dass sich auf dem Hof des gesichtslosen Stadthauses, in dem Hitler 1889 zur Welt kam, tatsächlich Stallungen befunden haben. Dass das einen glühenden Parteigänger und Gelegenheitslyriker aus Nürnberg im Jahr 1938 indes nicht hinderte, den langweiligen Ort zum „Betlehem des Deutschen Reichs“ zu stilisieren, lässt den Mythos gleich in ganz anderem Licht erscheinen.

THE MEANING OF HITLER befragt die Faszination und das Fortleben jenes mitunter religiös anmutenden Trubels um Hitler und den Nationalsozialismus in Popkultur und Entertainment – vor allem vor dem Hintergrund von aktuellem Antisemitismus, paranoidem Ausgrenzungsfuror und Xenophobie. Für die Argumentation ihres Films lassen Petra Epperlein und Michael Tucker eine Reihe hochkarätiger ‚Zeugen‘ und ‚Gutachter‘ auftreten, darunter die Schriftsteller Martin Amis (Zone of Interest) und Saul Friedländer (Nazi Germany and the Jews). Neben ihnen, ebenfalls eloquent daran arbeitend, der hartnäckigen Energie nazistischer Folklore den Stachel zu ziehen, äußern sich: Klaus Theweleit (Männerphantasien), Sir Richard Evans (The Hitler Conspiracies: The Third Reich and the Paranoid Imagination), Deborah Lipstadt (Antisemitism: Here and Now), Prof. Gavriel Rosenfeld (Hi Hitler! How the Nazi Past Is Being Normalized in Contemporary Culture) und die Nazijäger Beate and Serge Klarsfeld. Dabei funktioniert THE MEANING OF HITLER ausdrücklich nicht in der Tonart von geläufigen Erzählungen. Weder erfährt man „Neues über den unbekannten Hitler“, noch „Wahrheiten über seine Hunde, Frauen und Freunde“. Und auch für „Auskünfte zu Fragen, die Sie schon immer hatten, aber nie zu stellen wagten“ steht der Film geflissentlich nicht zur Verfügung!

Stattdessen überlegen die Regisseur*innen Petra Epperlein und Michael Tucker, ob denn irgendjemandem schon einmal aufgefallen ist, wie oft in filmischen Auseinandersetzungen mit Hitlers Ende irgendwelche Türen zuschlagen, die Kamera wegschwenkt oder dezent ausblendet, wenn es zu dem Moment kommt, da Hitler sich – vielleicht!? - eine Pistole an den Kopf hielt. Warum gestatten Hitler-Filme ihrem Helden einen ‚ehrenhaften‘ oder zumindest unbeobachteten Tod, während den unzähligen Opfern seiner Politik diese Diskretion systematisch verweigert wird und es fast unvermeidlich zu dieser Ranfahrt ans Beobachtungsloch in der Eisentür von Gaskammern kommt, um den darinnen befindlichen Menschen beim Sterben zuzusehen? Ebenso wird die Massenwirksamkeit der fast erotisch anmutenden Beziehung Adolf Hitlers zu seinem Mikrofon als technikgeschichtliches Phänomen erörtert und parallelisiert mit der virtuosen Beherrschung von Twitter durch Donald Trump. Eine weitere Parallele besteht in der unbedingten Entschlossenheit beider, sich aus einer unterstellten Opferrolle zu befreien, denn genau das machte sowohl den ehemaligen amerikanischen Präsidenten wie den toten Reichskanzler zum Vorbild ganzer Heerscharen von Nachahmern, angefangen bei Verschwörungsphantasien militanter White Supremacy-Gruppen über die völkische Rhetorik deutscher Pegida-Anhänger bis zur kriegerischen Propaganda Vladimir Putins.

Das Schlusswort von THE MEANING OF HITLER hat der israelische Historiker Yehuda Bauer (Rethinking the Holocaust): „Eine Besonderheit unserer Spezies besteht darin, dass wir Tiere sind, die andere Tiere der gleichen Art töten. Andererseits haben wir aber auch gegenteilige Eigenschaften entwickelt, denn wir sind Herdenwesen. Als solche können wir gar nicht anders, als Empathie und Liebe zu empfinden und Verkehrsformen des Miteinanders und der Zusammenarbeit zu entwickeln. Eine Herde, in der es das nicht gibt könnte gar nicht existieren. Es gibt also zwei widerstreitende Elemente in jeder menschlichen Gesellschaft. Und worum es bei all den Versuchen geht, das Fortleben des Hitlerismus zu verunmöglichen, ist die eine Seite unseres Mensch-Seins gegen die andere Seite zu stärken. Unser Problem mit Nazis ist nicht, dass sie unmenschlich sind, sondern dass sie Menschen sind und dass wir verhindern müssen, dass wir uns als Herde kannibalisieren.“

Ralph Eue (28.03.2022)

Kritiken, Empfehlungen, Presseschau:

“Eine intellektuelle Untersuchung von brennender Gegenwärtigkeit. Elegant und prägnant.“ („An intellectual inquiry with burning present-day resonance. Elegant and incisive”) (The Hollywood Reporter)

„Es gibt ein auf den ersten Blick nebensächlich erscheinendes, tatsächlich jedoch vielsagendes historisches Detail. Hitler war, wie wir wissen, einer der hypnotischsten Redner des 20. Jahrhunderts. Seine Reden strotzten vor Verführungskraft und Raserei. Aber nichts davon wäre möglich gewesen, hätte nicht Anfang der 1930er Jahre eine Revolution der Mikrofontechnik stattgefunden. Ältere Mikrofontechnik (Kohlemikrofone) beruhte darauf, dass durch Schall erzeugte Druckschwankungen Änderungen des elektrischen Kontaktwiderstandes von Graphitteilchen zwischen seinen Anschlüssen bewirkten, d.h. ein Sprecher musste stocksteif vor dem Mikrofon stehen und durfte sich auch nicht 20cm davon entfernen, weil sich die Signalstärke sofort um die Hälfte reduzierte bzw. darüber hinaus gegen Null tendierte. Die neuen Kondensatormikrofone aber erlaubten einem Sprecher, sich am Mikrofon zu bewegen, zu gestikulieren, die Distanz zu verändern und, ja, seinen ganzen Körper für den Vortrag zu nutzen und in eine gleichermaßen physische, wie stimmliche Performance verwandeln.“ (Audio Test)
 

Details

Goethe-Institut Peru

Jirón Nazca 722
Jesús María
Lima 15072

Sprache: Deutsch mit spanischen Untertiteln
Preis: Eintritt frei

info-lima@goethe.de
Diese Veranstaltung ist Teil der Veranstaltungsreihe Mittwochskino.