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Übersetzung: Interview mit Dan Dediu, 23-09-2022, Nr. 1127 Observator Cultural, Autor: Matei Martin
„Ich möchte, dass dieses Projekt eine positive und erzieherische Wirkung hat“

Artikel im Orginial

„Opera in Your Pocket" ist eine Exzellenzinitiative des Goethe-Instituts Bukarest im Bereich des zeitgenössischen Musiktheaters. Das Projekt möchte Produktionspraktiken für zeitgenössische Opern- und Musiktheateraufführungen ermitteln und unterstützen - Genres der darstellenden Künste, die in Rumänien sonst nur wenig Beachtung finden. Im Rahmen dieses Projekts wurden bereits drei Performances produziert: Die Ursuppe, Es ist deine Schuld!!! und Geld, Geld, Geld. Diese Stücke wurden letzte Woche im Odeon-Theater uraufgeführt. Einer der Mentoren dieses Projekts ist der Komponist Dan Dediu.

Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut im Bereich "Oper"?

Anfänglich gab es mehrere, unspezifische Ideen, aus denen sich im Laufe der Zeit die eine herauskristallisierte: eine Zusammenarbeit zwischen Komponisten und Librettisten. Die Komponistin Catherine Milliken brachte den Impuls ein, zusammenzuarbeiten und „Fidelio bist du!“ als Hommage zu Beethovens 250. Geburtstag zu erschaffen. Robert Lehmeier begleitete zunächst die Arbeit an den Libretti und übernahm schließlich die Regie, während ich mich mit Fragen der Umsetzung beschäftigte und dem Inhalt des Projektes. Damit habe ich das Format der Kammeroper und die Wahl der Komponist:innen aus dem Kreis der Student:innen der nationalen Musikuniverstät Bukarest geprägt. Diana Rotaru systematisierte und organisierte diese Inhalte mit großer Ausdauer und Hingabe, während Joachim Umlauf, Leiter des Goethe-Instituts in Bukarest, und Oana Lapadatu, Koordinatorin für Kulturprogramme, das Projekt mit Überzeugung in allen administrativen und kommunikativen Aspekten unterstützten. Dies war natürlich auch dank der Partnerschaft mit der Nationalen Universität für Musik in Bukarest möglich, die die Projekte großzügig übernahm und den logistischen Rahmen sowie Proben- und Aufführungsräume zur Verfügung stellte. Gleichzeitig trugen die an den Projekten beteiligten Sänger:innen und Instrumentalist:innen sowie die Dirigentin des Ensembles SonoMania, Simona Strungaru, mit großer Professionalität und Leidenschaft zum reibungslosen Ablauf der drei  Kammeropern bei.


Was bedeutet Musiktheater in Rumänien und Deutschland?

Es unterscheidet sich, in Rumänien versteht man den Begriff anders als in Deutschland. Hier bedeutet Musiktheater mehr Musical und Operette als alles andere und kommt aus der angelsächsischen Tradition. In Deutschland umfasst der Begriff "Musiktheater" alle Formen des Musiktheaters: Oper, Operette, Kabarett und Musical.

Haben wir einen "Markt" oder ein Publikum für die zeitgenössische Oper oder nicht?

Offensichtlich haben wir aktuell weder einen Markt noch ein bestimmtes Publikum. Aber es gibt nur sehr wenige Länder, die das haben. Wir haben ein treues Publikum für die traditionelle Oper, das stimmt. Deutschland stellt eine Ausnahme dar, und deshalb können wir von seinen Erfahrungen lernen. Denn neben einer diesbezüglichen Tradition gibt es auch einen Teil des Publikums mit einem großen Interesse an zeitgenössischer Oper, an neuen und interessanten Aufführungen, an Ungewöhnlichem. Und da ist euch der Mut der Manager:innen, innovative Projekte zu initiieren und sie der Öffentlichkeit im Sinne einer künstlerischen Auseinandersetzung mit den Problemen der Gegenwart anzubieten. Auch in Rumänien sind die Voraussetzungen für das Entstehen eines neugierigen, für Neues offenen Publikums gegeben, das das eher konservative traditionelle Opernpublikum ergänzen kann. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, stehen die meisten Länder vor diesem Problem, und visionäre Manager:innen wenden sich verschiedenen Lösungen zu: Opern für Kinder, Puppenopern, Opern mit experimentellen Animationen, Opern mit aktuellen politischen Themen usw. Alles entspringt der Notwendigkeit, ein diversifiziertes Publikum mit einem vielseitigen Geschmack aufzubauen, das eine neue Aufführung von Traviata zu schätzen weiß, aber auch an einer zeitgenössischen Opernpremiere interessiert ist.

Wie sieht die Arbeit an einer solchen Aufführung konkret aus?

Die Arbeit an einer solchen Aufführung lässt sich in folgende Phasen unterteilen: 1. Zunächst wird das Libretto vorgeschlagen; 2. Der/die Komponist:in nimmt das Libretto und schlägt die Anzahl und die Art der Stimmen sowie das Instrumentalensemble vor, für das er die Musik schreiben wird; 3. Der/die Komponist:in schreibt die Musik; 4. Fertigstellung der Partitur durch den/die Komponist:in, Reduktion für Stimmen und Klangfarben; 5. individuelle Arbeit der Sänger:innen und Instrumentalist:innen; 6. parallele Diskussionen zwischen Bühnenbildner:inn und Regisseur:in; 7. musikalische Proben im Sitzformat; 8. Arbeit mit dem/der Regisseur:in in verschiedenen Formaten; 9. Teilproben; 10. Generalproben; 11. Aufführung. Dies ist nur die Spitze des Eisbergs, schematisch dargestellt. Aber die Arbeit an der Aufführung ist eine Summe von Kräften, zu der jeder der Beteiligten einen wesentlichen Teil beiträgt. Und zwar nicht nur die oben genannten Darsteller:innen, sondern auch die nicht genannten: Produzent:innen, Organisator:innen, Requisiteur:innen, Maschinist:innen, Schneider:innen, Maskenbildner:innen, Beleuchter:innen, Sounddesigner:innen usw.

Welche Auswirkungen könnte "Opera in Your Pocket" auf das rumänische Musikleben haben?

Ich möchte, dass dieses Projekt eine positive und erzieherische Wirkung hat. Das heißt, es soll zu einer positiven Nachahmung und gleichzeitig zu einer engen Zusammenarbeit zwischen Komponist:innen, Librettist:innen, Bühnenbildner:innen, Regisseur:innen, Sänger:innen und Interpret:innen führen. "Fidelio bist du!" war ein Anfang, denn irgendwo musste man ja immer anfangen. "Opera in Your Pocket" ist eine noch ehrgeizigere Fortsetzung, mit einem außergewöhnlichen konzeptionellen Beitrag von Robert Lehmeier, der der Logik des Sprichworts "Appetit kommt beim Essen" folgt: Woher soll das Publikum kommen, wenn wir nicht komponieren, kein Libretto haben und keine Inszenierungen dieser Stücke auf die Beine stellen? Genauso verhält es sich mit dem Appetit auf zeitgenössische Oper. Zuerst sollten wir Teams haben, die zeitgenössische Opern als natürliche Reflexion synkretistischer Kreation und Zusammenarbeit zwischen Künstler:innen kreieren und inszenieren, und dann werden wir das Publikum haben. Und wenn es ein Publikum gibt, wird die kulturelle Wirkung kommen und der Bedarf nach mehr und besserem entstehen. Wie wir wissen, hängt alles miteinander zusammen. In der Zwischenzeit ist "Opera in Your Pocket" ein mutiges und großzügiges Projekt, das mit seiner Kühnheit und seinem Umfang sicherlich die aktuelle Kunstszene prägen wird.
 

Dan Dediu studierte Komposition in Bukarest bei Stefan Niculescu und Dan Constantinescu, sowie in Wien bei Francis Burt. Er hat mehr als 170 Werke komponiert, die fast alle musikalischen Gattungen abdecken: fünf Sinfonien und 20 weitere Orchesterwerke, 11 Konzerte (Saxophon, Violine, Violine, Klavier, Cello, Posaune, Gitarre, Doppelkonzert für Violine, Cello, Tripelkonzert für Flöte, Klarinette, Cello, Tripelkonzert für Violine, Cello, Klavier), sieben Streichquartette, Kammermusik in verschiedenen Besetzungen, Klaviermusik, Chöre, vier Opern (Post-fiction, Münchhausen, Eva!, Ein verlorener Brief) und eine Konzert-Oper (Wagner Under). Er wurde mit mehreren nationalen und internationalen Kompositionspreisen ausgezeichnet und koordinierte als künstlerischer Leiter das Festival  Internationale Woche der Neuen Musik (1999, 2001, 2007, 2008, 2016-2021). Dan Dediu ist Professor für Komposition, künstlerischer Leiter des Ensembles Profil und war von 2008 bis 2016 Rektor der Nationalen Musikhochschule in Bukarest. Er ist außerdem Ehrendoktor der Universität der Künste "George Enescu" in Iasi und der Universität Craiova.

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