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Unfolding Kafka Festival 2024
“Es gilt zu verstehen, was die Gemeinschaft braucht”

Unfolding Kafka Festival 2024
© Piyatat Hemmatat

Das Unfolding Kafka Festival geht in diesem Jahr in seine finale Ausgabe. Wir hatten die Gelegenheit, uns mit dem Gründer Jitti Chompee zusammenzusetzen, um einen Blick auf die zehnjährige Geschichte und die Entwicklung dieses besonderen Festivals zu werfen.

Das Unfolding Kafka Festival hat sich zu einer bedeutenden Plattform für zeitgenössische Performancekunst in Thailand entwickelt, die lokale KünstlerInnen mit internationalen Talenten vernetzt und kulturübergreifende Kooperationen fördert. Im folgenden Interview spricht Jitti Chompee über die Einbindung von Molam-Musik in der diesjährigen Ausgabe, das Vermächtnis des Festivals und die Perspektiven, die sich aus einer Dekade kreativer Zusammenarbeit ergeben.

Von Helena Lang

Helena Lang: Der Schwerpunkt der letzten Ausgabe des Unfolding Kafka Festivals liegt auf der Integration der thailändischen Molam-Musik. Was erhoffst du dir von der internationalen Resonanz auf diese traditionelle Kunstform im Kontext künstlerischer Performances?

Jitti Chompee: Ich hoffe, dass die internationale Präsentation der Molam-Musik dazu beiträgt, die traditionellen Kunstformen Südostasiens zu fördern, die auf Bühnen der darstellenden Künste in Europa oder anderen Regionen nur selten zu sehen sind. Viele Menschen haben keinen Zugang zu dieser Kunstform, und ich glaube, dass das diesjährige Festival diese Lücke schließen kann. Es geht dabei nicht darum, Molam zu kommerzialisieren, sondern ihn als Tanzmedium zu präsentieren und die einzigartigen Tanzsprachen Südostasiens auf internationalen Bühnen vorzustellen. Da diese Kunstformen außerhalb ihrer Herkunftsländer nur selten zu sehen sind, hat das Publikum im Ausland kaum Möglichkeiten, sie zu erleben. Projekte wie das unsere können diese Musik einem breiteren Publikum zugänglich machen und das Interesse an der thailändischen Kultur wecken, was möglicherweise Unterstützung und Fördermittel für lokale thailändische KünstlerInnen einbringen könnte.

HL: Wie fügt sich die diesjährige Einbindung von Molam in den breiteren Kontext des Festivalthemas ein, das sich an Kafkas Werken orientiert?

JC: Die Verbindung zu Kafkas Themen von Identität und Verwandlung passen gut zu dem, was wir erforschen wollen. Seine animalischen Bilder und das Verbergen sowie Entfalten von Identität wurden zu zentralen Gegenständen des Festivals. Dies trug dazu bei, eine markante, langfristige Festivalidentität zu schaffen, die Partner aus der ganzen Welt anzieht. Die Motive der animalischen Bildsprache und Transformation finden sich auch in der Molam-Musik wieder, die oft tiefgreifende, symbolische Wandlungen innerhalb der Folklore und der persönlichen Identität thematisiert – ähnlich wie in Kafkas Werken.

HL: Was macht Molam für dich persönlich so faszinierend, und welche neuen Ausdrucksformen hast du durch diese Fusion entdecken können? Wurden gängige Vorstellungen von Bewegung und Performance in Frage gestellt oder eventuell erweitert?

JC: Molam fasziniert mich wegen seiner uralten Ursprünge und seiner therapeutischen Rolle - es entstand vor Tausenden von Jahren und wurde bereits zur Heilung eingesetzt, lange bevor der Buddhismus in die Region gelangte. Die Instrumente und Klänge sind so gestaltet, dass sie die Natur nachahmen, was der Musik ihre beruhigende Wirkung verleiht. Die Rhythmen sind hypnotisch und von ihrem Wesen her zum Tanzen geeignet, sie laden auf natürliche Weise zur Bewegung ein. Beim Zuhören der Musik entsteht bei den meisten Menschen das Bedürfnis sich dazu zu bewegen, was ein spannendes Licht auf die allgemeine Choreografie wirft.
Bei diesem Projekt geht es weniger darum, der Musik eine Choreografie aufzuzwingen, sondern vielmehr darum, die Musik zu einer natürlichen, organischen Bewegung inspirieren zu lassen. Dieser Ansatz entspricht meiner Überzeugung, traditionelle und zeitgenössische Kunstformen miteinander zu verbinden. Ich möchte sehen, wie verschiedene Kulturen auf diese Musik reagieren. Das macht einen Teil der Schönheit von Molam aus – es ist spontan und tief in der Natur verwurzelt.

HL: Das Goethe-Institut Thailand konnte in diesem Jahr drei Projekte unterstützen. Wie wichtig waren die Zusammenarbeit und die Unterstützung durch Institutionen, die lokale und internationale Vernetzung fördern?

JC: Das Goethe-Institut Thailand war maßgeblich daran beteiligt, mich und das Festival durch verschiedene Projekte zu unterstützen. Die Unterstützung geht dabei weit über finanzielle Förderung hinaus: Das Team des Instituts berät, hilft bei der Gestaltung von Ausstellungen und stärkt den Dialog zwischen Kulturen. Im Laufe der Jahre habe ich mit den jeweiligen LeiterInnen enge Arbeitsbeziehungen aufgebaut, die es dem Unfolding Kafka Festival ermöglicht haben, sich weiterzuentwickeln und zu gedeihen. Statt einer eigenen Agenda zu folgen, sucht das Goethe-Institut Thailand aktiv Partnerschaften mit lokalen Gemeinschaften, um gemeinsam den kulturellen Austausch zu fördern.
Es ist nicht nur das Goethe-Institut in Thailand, das mich unterstützt hat, auch die Zentrale in Deutschland hat mir zahlreiche Möglichkeiten geboten und mich eingeladen, an verschiedenen Projekten teilzunehmen. Tatsächlich wurde das Unfolding Kafka Festival durch meinen Aufenthalt 2015 in Hamburg inspiriert, als ich Der Bau von Isabelle Schad gesehen habe – ein von Kafka inspiriertes Stück, das einen bleibenden Eindruck hinterließ und die Initialidee für das Festival hervorrief.
Die Unterstützung des Goethe-Instituts Thailand ist von unschätzbarem Wert – nicht nur für das Unfolding Kafka Festival, sondern auch für zahlreiche andere Projekte hier. Es hilft dabei, eine wichtige Plattform für den künstlerischen Dialog zu schaffen und bereichert die Vielfalt in der Kunst- und Kulturszene.

HL: In der Bangkok Post hast du erwähnt, dass die Entscheidung, das Unfolding Kafka Festival zu beenden, darauf beruht, dass das Festival in seiner Fähigkeit, international zu konkurrieren, seinen Höhepunkt erreicht hat. Kannst du weiter erläutern, warum du das so siehst, und wie fühlst du dich, nach einem Jahrzehnt Abschied vom Festival zu nehmen?

JC: In den letzten zehn Jahren habe ich so viel gelernt – nicht nur über Choreografie, sondern auch über die Organisation und die Leitung eines Festivals. Ich habe gelernt, Netzwerke aufzubauen und eine Gemeinschaft zu formen. Das Festival zeigt nicht nur, was mich interessiert; es gilt, zu verstehen, was die Gemeinschaft braucht und ihr dabei zu helfen, ihr Kunstverständnis und ihr Interesse an zeitgenössischer Performance zu entwickeln. Das Festival war dank der Unterstützung von Partnern wie dem Goethe-Institut Thailand erfolgreich und hat sich über die Jahre enorm weiterentwickelt. Aber ich fürchte die Risiken, die ein unendliches Fortsetzen mit sich bringen könnte. Ich höre lieber auf, solange alles gut läuft, und gehe mit positiven Erinnerungen, anstatt ein Scheitern zu riskieren. Auch angesichts des 100. Todestages Kafkas erscheint es der ideale Zeitpunkt, sich zurückzuziehen. Das Festival könnte jedoch in anderer Form weitergeführt werden, vielleicht an neuen Orten oder in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen. Das Modell, das wir geschaffen haben, könnte als Inspiration für andere KünstlerInnen oder Festivals dienen, die mit der Finanzierung oder der Organisation kämpfen. Was wir in Thailand erreicht haben, mag unkonventionell sein, könnte aber ein wertvolles Fallbeispiel sein. Es ist ein Modell, das ich durch Erfahrung erlernt habe, nicht durch formale Ausbildung, und es zeigt, dass ein solches Festival mit Kreativität und Hingabe auch ohne externe Finanzierung erfolgreich sein kann.

HL: Der Inhalt des Festivals wird auch nach der letzten Ausgabe in einem digitalen Archiv zugänglich bleiben. Welche Rolle wird dieses digitale Archiv des Unfolding Kafka Festivals in der Zukunft für die thailändische Kunstszene spielen, insbesondere im Hinblick auf die sich verändernde Wahrnehmung von Kunst in der Gesellschaft?

JC: Nachdem ich viele Jahre ein so großes Festival geleitet habe, wird die Beteiligung der Menschen manchmal passiv, und sie sind nicht mehr bereit, die Initiative zu ergreifen, um das Festival fortzuführen oder zu reproduzieren. Die thailändische Gesellschaft kann in der Hinsicht zurückhaltend sein, Neues auszuprobieren, und es ist schwer vorherzusagen, wie der Einfluss des Festivals in Zukunft in Thailand wahrgenommen wird.
Ich habe beobachtet, wie sich das Publikum des Festivals über die Jahre verändert hat. In gewisser Weise wurde es einfacher, aber in anderen Bereichen auch herausfordernder. Die Wertschätzung für Kunst hat sich dramatisch verändert, besonders da die jüngere Generation schnelle, unmittelbare Erlebnisse den schrittweisen, intensiven Erfahrungen vorzieht. Der Wandel hin zum Konsum von Medien im kleineren Maßstab und mit schnellerem Verständnis stellt eine große Herausforderung für uns dar.
Interessanterweise kommen die meisten unserer BesucherInnen aus den bildenden Künsten statt aus dem Bereich der darstellenden Kunst, was für ein Performance-Festival ungewöhnlich ist. Besonders FotografInnen und FilmemacherInnen fühlen sich zu der Veranstaltung hingezogen. Es ist schwer zu sagen, was die Zukunft für das Festival bereithält, aber ich habe erkannt, dass es wichtig ist, sich auf stärker ausgerichtete Projekte zu konzentrieren, die der Gemeinschaft echten Mehrwert bieten.
Auch wenn ich das Festivalkonzept gerne weiterführen würde, glaube ich, dass es Chancen gibt, das Festival in andere Länder zu bringen. Ich möchte die Möglichkeit erkunden, das Festival an neue Orte zu verlegen, mit lokalen Gemeinschaften zusammenzuarbeiten und neue Elemente einzuführen. Ich bin überzeugt, dass dies neue Interpretationen hervorbringen und einen frischen kulturellen Austausch ermöglichen könnte.

HL: Wenn du auf das vergangene Jahrzehnt des Festivals zurückblickst, würdest du sagen, dass du mit dem Erreichten zufrieden bist?

JC: Wenn ich auf den Erfolg des Festivals zurückblicke, bin ich tief zufrieden mit allem, was wir erreicht haben. Das Team, die Partner und das Publikum haben alle eine entscheidende Rolle dabei gespielt, es zu dem zu machen, was es ist. Die Energie im Raum, wenn sich das Publikum versammelt, um die Aufführungen zu sehen, ist unglaublich. Ich erinnere mich an den Eröffnungsabend der diesjährigen Ausgabe vor einer Woche, als ich auf die Bühne trat und der Raum in gespannter Erwartung verstummte. Dieser kraftvolle Moment der Verbindung zwischen dem Publikum und dem Festival ist etwas, das ich immer in Erinnerung behalten werde. Über die Jahre habe ich gesehen, wie sehr das Festival die Menschen berührt hat, und genau das hat es so lohnenswert gemacht. Nach zehn Jahren habe ich das Gefühl, dass das Festival mein Leben in vielerlei Hinsicht wirklich bereichert hat, und ich könnte nicht dankbarer für den Einfluss sein, den es auf alle Beteiligten hatte.

HL: Herzlichen Dank, dass du deine Gedanken und Einblicke mit uns geteilt hast! Mit so viel Freude und Erfüllung auf ein Jahrzehnt des Festivals zurückzublicken, bildet einen wunderbaren Abschluss für unser Gespräch. Wir dürfen gespannt sein, welche neuen Projekte die Zukunft bereithält, die vielleicht aus den Erfahrungen des Festivals hervorgehen werden!

JC: Danke!

 

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