Olympische Spiele
Sylvia Schenk: „Wir brauchen eine Änderung der Kultur im Sport“

Schlechtes Image: Sportevents genießen derzeit keinen besonders guten Ruf
Schlechtes Image: Sportevents genießen derzeit keinen besonders guten Ruf | Foto (Ausschnitt) © martinfredy/Fotolia

Korruption, Doping, Missachtung der Menschenrechte: Es scheint, als seien Sportevents zunehmend von negativen Attributen überlagert. Warum das so ist und wie sich dies ändern könnte, berichtet die Anti-Korruptionsexpertin Sylvia Schenk im Interview. 

Anti-Korruptionsexpertin Sylvia Schenk Anti-Korruptionsexpertin Sylvia Schenk | Foto: © Transparency International
Frau Schenk, Sie waren 1972 in München Olympiateilnehmerin. Mit welchen Gefühlen blicken Sie heute auf Olympische Spiele?


Mit gemischten. Während der Spiele in London 2012 war Freude da. Das wird 2016 in Rio de Janeiro bei einigen Wettkämpfen auch so sein. Aber die Freude ist etwas getrübt, weil im Vorfeld so viel schief gegangen ist. Die politische und wirtschaftliche Situation in Brasilien spielt mit hinein, dann natürlich der Zustand der internationalen Verbände. Deshalb wäre es derzeit wohl überall schwierig mit Olympia. Ich glaube, wir befinden uns in einer Zwischenphase. London war ein Erfolg und hat so die grundsätzlichen Probleme der Olympischen Bewegung verdeckt – auch weil erstmals umfassend auf Nachhaltigkeit geachtet wurde. Jetzt liegen die Probleme offen auf dem Tisch. Das Herumrumreißen des Ruders mit der Agenda 2020 des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) kam sehr spät und braucht noch viel Zeit.
 
Potenzielle Bewerber für die Austragung Olympischer Spiele haben sich in der jüngeren Vergangenheit zurückgezogen. Wie kann Olympia von einer breiten Bevölkerungsmehrheit akzeptiert werden?

Man muss glaubwürdig in eine völlig andere Richtung gehen als bisher. Ich hatte mich für Hamburg stark eingesetzt in der Hoffnung, dass eine deutsche Bewerbung sowohl national als auch international signalisiert: So kann man es machen. Es ist schade, dass die Bevölkerung in einem Referendum „nein“ gesagt hat. Allerdings war das, was ich mir vorgestellt hatte, bis zum Bürgerentscheid nur in Ansätzen ausgearbeitet und kaum kommuniziert worden. Das Thema Nachhaltigkeit – und zwar nicht reduziert auf den Umweltaspekt, sondern bis hin zu den Menschenrechten – hätte mit einem pfiffigen Konzept viel in Bewegung bringen können. Olympische Spiele oder auch Fußball-Weltmeisterschaften senden eine globale Botschaft. Derzeit lautet diese: Die kleinen Leute zahlen die Zeche, Sport ist korrupt, Menschenrechte werden missachtet. Stattdessen könnte es heißen: Sportevents packen Zukunftsthemen an, sie helfen beim sozialen Wandel.
 
Wie aktiv sind die Verbände in ihren Anti-Korruptionsbemühungen?

In der Praxis hakt es an vielen Stellen. Es geht darum, langfristig eingefahrene Verhaltens- und Denkweisen zu ändern. Das braucht Zeit, übrigens auch in der Wirtschaft. Zur Korruption gehören immer zwei. Im Sport kommen diejenigen, die bestechen, oft aus der Wirtschaft oder, zum Beispiel wenn es um eine Bewerbung geht, auch aus der Politik. Medien, Sport, Wirtschaft und Politik sind ganz eng miteinander verknüpft, mit vielfachen Interessenkonflikten. Die Bereiche zu entzerren, transparente Strukturen zu schaffen und dann noch das richtige Bewusstsein zu wecken, das dauert. Ich sehe schon in Deutschland, wie schwierig es ist, unabhängige Persönlichkeiten zu finden, die zum Beispiel als Governance-Beauftragte mit Konsequenz, aber auch dem nötigen Fingerspitzengefühl auf einzelne Situationen eingehen. Zu Compliance oder Good Governance gehören eine Null-Toleranz-Haltung und das gute Beispiel von der Spitze. Das betrifft den Umgangston ebenso wie eine offene Debattenkultur. Der Deutsche Olympische Sportbund hat die Prinzipien Toleranz, Integrität, Verantwortlichkeit und Partizipation festgelegt, diskutiert die Spitzensportreform aber im absolut kleinen Kreis. Dann irgendwann ein fertiges Ergebnis zu präsentieren widerspricht dem, was proklamiert wird.
 
Wie wichtig sind in diesem Zusammenhang Gender-Fragen?

Im Fußball haben die Frauen gemerkt, welche Chancen Reformzeiten bieten. Die FIFA hat künftig mindestens sechs Frauen im neuen Council. Der Internationale Sportgerichtshof CAS ist in der Leitung inzwischen zur Hälfte mit Frauen besetzt. Das IOC hat den Gender-Aspekt 2014 in der Reform-Agenda 2020 nochmals betont. Seit 2012 hat jede Mannschaft bei Olympischen Spielen mindestens eine oder zwei Athletinnen. Das ist noch nicht befriedigend, aber ein wichtiges Signal, gerade in die Länder hinein, in denen Frauen massiv benachteiligt sind. Die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Qatar hat dort den Aufbau einer Frauen-Nationalmannschaft angestoßen. IOC und FIFA sollten in ihren Ausschreibungskriterien für Großveranstaltungen Schulsport als Pflichtfach für Mädchen und Jungen fordern.
 
Beim Thema Sport kommt beinahe automatisch Doping zur Sprache. Gibt es eine Chance, Doping in den Griff zu bekommen?

Es gibt weder dopingfreien Sport noch eine Gesellschaft ohne Verbrechen. Selbst in einem funktionierenden Rechtsstaat bleibt ein niedriger Prozentsatz Kriminalität. Man kann und muss aber das systematische und systemische Doping eindämmen. Das bisherige Kontrollsystem reicht dazu nicht aus. Es dient der Abschreckung, kann aber individuell oder – wie in Russland geschehen – von einem ganzen Land umgangen werden. Umfassende Compliance-Systeme, Kontrollen auch der Verbände, Offiziellen und Labors sowie Ermittlungskapazitäten sind nötig. Dazu kommt Prävention nicht nur für die Aktiven. Bislang geht alles zu Lasten der Sportlerinnen und Sportler, das Umfeld wird nicht ausreichend betrachtet. Wir brauchen eine grundlegende Änderung der Kultur im Sport – Integrität ist mehr als nur die Regeln einzuhalten. 

Sylvia Schenk, Jahrgang 1952, nahm als Leichtathletin an den Olympischen Spielen 1972 in München teil. Von 2001 bis 2004 war sie Präsidentin des Radsportverbandes Bund Deutscher Radfahrer. Seit 2006 arbeitet die Juristin bei Transparency International Deutschland, seit 2014 leitet sie dort die „Arbeitsgruppe Sport“. Syliva Schenk ist für ihr entschiedenes Vorgehen gegen Doping bekannt.