Bilinguale Immersionsprogramme in den USA

Von Dr. Fabrice Jaumont

Wenn in den USA bisher die Rede von bilingualen Immersionsprogrammen war, ging es oft um das Thema Einwanderung. Das lag daran, dass solche Programme in der Vergangenheit vornehmlich als Mittel betrachtet wurden, den Kindern von Einwanderern die englische Sprache im Rahmen eines Übergangsmodells näherzubringen. Verfechter dieser Programme betonen daher nur selten die Vorteile, die das Beherrschen zweier Sprachen hat. Tatsächlich wird bei dieser Art von bilingualen Programmen wenig Wert auf die Beibehaltung der Herkunftssprache gelegt und die zahlreichen Vorteile, die das Erlernen der eigenen Muttersprache zusätzlich zur englischen Sprache in der schulischen und universitären Bildung hat, werden oftmals verkannt. Doch die etablierte Sicht der Dinge ändert sich zum Glück allmählich, sowohl in der Theorie als auch in der Praxis.  
 
Für Englisch lernende Kinder
In den USA waren Programme zum Erwerb von Englisch als Zweitsprache traditionell verständlicherweise vor allem auf Kinder ausgerichtet, die zuhause eine andere Sprache als Englisch sprechen. Je mehr dieses Modell jedoch einem bilingualen Modell weicht, desto stärker entwickeln sich auch die Zielsetzungen dieser Programme weiter. Heute gibt es immer mehr bilinguale Programme, die sich nicht nur an Englisch lernende Schülerinnen und Schüler, sondern auch an solche mit englischer Muttersprache richten. Diese Entwicklung lässt sich auf den überzeugenden Nachweis zurückführen, dass die Ausbildung von Kindern in mehreren Sprachen einen Wettbewerbsvorteil in der globalen Wirtschaft darstellt, und nicht nur die Fremdsprachenkenntnisse der Kinder fördert, sondern auch dem Lese- und Hörverständnis im Englischen und sogar den Leistungen im Mathematikunterricht zuträglich ist. Diese Programme zielen darauf ab, allen teilnehmenden Schülerinnen und Schülern die Vorteile der Zweisprachigkeit zukommen zu lassen, unabhängig von der Sprachkompetenz bei Programmeintritt.

Bilinguale Immersionsprogramme werden in unterschiedlichen Sprachen angeboten, wobei Englisch stets mit dabei ist. Neben Immersionsprogrammen für Spanisch gibt es auch solche für Chinesisch, Koreanisch, Französisch, Japanisch, Deutsch, Russisch, Portugiesisch, Arabisch, Italienisch, Kantonesisch, Hmong, Bengali, Urdu, Kreolisch, Cup’ik und Ojibwe sowie für amerikanische Gebärdensprache (ASL). Welche Sprachen angeboten werden, richtet sich nach dem jeweiligen Umfeld, ob aufgrund einer hohen Konzentration bestimmter ethnischer Gruppen, wegen wirtschaftlicher Interessen oder aus dem Wunsch heraus, Kindern einen Wettbewerbsvorteil für die Zukunft mit auf den Weg zu geben. Je mehr Gemeinden in den USA solche Programme entwickeln, desto wettbewerbsfähiger wird das Land als Ganzes, sowohl akademisch als auch wirtschaftlich betrachtet.
 
Die Terminologie der bilingualen Schulbildung                                 
Die Thematik bilingualer Schulprogramme in den USA ist komplex und vielschichtig. Da es keine Gesetze auf Bundesebene gibt, die den Bildungsinhalt vorschreiben, hat jeder Schulbezirk die Entscheidungsgewalt über die Pädagogik, während Standards im Hinblick auf die Lehrplanentwicklung von den Bundesstaaten festgelegt werden. Die schiere Anzahl und die breite Vielfalt bilingualer Programme kann für Eltern und Lehrkräfte daher hochgradig verwirrend sein, wenn sie solche Programme vor Ort anregen möchten. Daher ist es hilfreich, häufig verwendete Begriffe klar zu definieren, bevor man sich über das Thema unterhält. Die Behörde für das Lernen der englischen Sprache (Office of English Language Acquisition) des amerikanischen Bildungsministeriums verwendet die folgenden Begrifflichkeiten:

  • Two-way dual-language/immersion programs: Englischlernende, die die Partnersprache fließend sprechen und Lernende englischer Muttersprache im selben Alter werden zusammen in beiden Sprachen unterrichtet .
  • One-way dual-language programs: Schülerinnen und Schüler, die primär aus einer Sprachgruppe stammen, werden sowohl auf Englisch als auch in der Partnersprache unterrichtet. Diese Programme können sich entweder primär an Englischlernende richten (developmental/ maintenance bilingual programs), vornehmlich englischsprachige Schülerinnen und Schüler ansprechen (one-way/world language immersion programs), oder hauptsächlich für Schülerinnen und Schüler vorgesehen sein, die einen familiären Hintergrund oder eine kulturelle Verbindung zur Partnersprache haben (heritage/native language programs).Darüber hinaus unterscheiden sich die bilingualen Programme z. B. im Hinblick auf die Unterrichtsfächer und der Programmdauer. Angesichts der breiten Vielzahl an Programmen und Sprachen dürften die meisten Eltern ein Modell finden, mit dem sie arbeiten können und das ihren Bedürfnissen vor Ort gerecht wird.

Andere Begriffe, die zur Beschreibung bilingualer Programme verwendet werden, finden Sie zusammen mit den entsprechenden Definitionen im Glossar der Begriffe zur bilingualen Immersion.

Der bilinguale Ansatz
Bilinguale Programme gedeihen zunehmend, wohin man blickt. Zahlreiche US-Bundesstaaten, unter anderem Georgia, Delaware und North Carolina, investieren verstärkt in bilinguale Immersionsprogramme, Minnesota hat seinen Haushalt und seine Bildungsrichtlinien auf eine Weise überarbeitet, die Schülerinnen und Schüler in Immersionsprogrammen unterstützen, New York und Oregon haben ihren strategischen Ansatz im Hinblick auf langfristige akademische Ergebnisse für bilinguale Kinder geändert, die Gesetzgeber in Kalifornien und Massachusetts haben jüngst ihr jeweiliges Verbot bilingualer Programme aufgehoben, und das ist bei weitem nicht alles. Die Tatsache, dass bilinguale Schulbildung abermals zu einem politischen Thema wird, dieses Mal mit überwältigender Unterstützung, ist ein Indikator für den Erfolg dieser Programme.

Ausgerechnet Utah – ein Staat, der geografisch fernab wichtiger Wirtschaftszentren liegt – kann sich mit der dritthöchsten Zahl bilingualer Immersionsprogramme in den USA brüsten. Dort waren im Jahr 2017 34.000 Schülerinnen und Schüler an 140 Schulen in solchen Programmen eingeschrieben. Diese Anomalie und das Florieren bilingualer Programme verdankt der Staat der Weitsicht starker politischer Figuren, die sich für die Entwicklung, Förderung und Umsetzung solcher Programme eingesetzt haben. Sie haben erkannt, wie hoch der Bedarf an Sprachkompetenz in der Wirtschaft, bei Behörden und im Bildungswesen ist. Bereits 2008 verabschiedete der Senat von Utah die International Education Initiative zur Finanzierung bilingualer Immersionsprogramme für Chinesisch, Französisch und Spanisch. Später wurde das Angebot um Deutsch und Portugiesisch erweitert, die Einführung von Arabisch und Russisch ist in nächster Zukunft geplant. 
 
Eine hoffnungsfrohe Zukunft
Dank der Globalisierung wächst die Welt immer stärker zusammen. Je mehr das jedoch der Fall ist, desto intensiver müssen wir über unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit nachdenken. Die Kenntnis mehrerer Sprachen und Kulturen eröffnet Amerikanern diese Möglichkeit sodass ganze Kohorten von High-School- und Universitätsabsolventen beim Eintritt in den Arbeitsmarkt besser für den globalen Markt gerüstet sind. Bilinguale Programme zeitigen, wie Forscher immer wieder nachgewiesen haben, erstaunliche Ergebnisse, doch in den USA wird die Entwicklung durch mangelnde Motivation auf nationaler Ebene ausgebremst, eine Tendenz, die auf längst widerlegte Mythen und Tabus zurückzuführen ist. Die bilinguale Revolution brauchen wir heute dringender als je zuvor, damit die bilinguale Schulbildung ihren gebührenden Platz einnehmen kann. Das sind wir der Nachwelt schuldig.

Wenn Sie mehr über Bilingualität, ihre Vorteile für den Einzelnen und für die Gesellschaft, den aktuellen Status bilingualer Schulbildung in den USA oder praktische Aspekte der mehrsprachigen Erziehung erfahren möchten, dann schauen Sie in die Bibliographie mit Kommentaren zu diesen und verwandten Themen rein:


Fabrice Jaumont © FJ Fabrice Jaumont FJ


Fabrice Jaumont, Ph.D. ist Autor und Forscher im Bereich internationaler Bildung. Der Artikel oben ist Auszug aus seinem Buch The Bilingual Revolution: The Future of Education is in Two Languages (TBR Books, 2017).
 

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