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Susanne Gregor
Private Politik

Drei Freundinnen in der Tschechoslowakei im Wendejahr 1989: Susanne Gregors Roman ist eine Coming-of-Age-Geschichte und zugleich Porträt einer unruhigen Zeit. Die politischen Umwälzungen im Osten Europas machen auch vor der Kleinstadt Žilina nicht halt – schon gar nicht vor dem Privatleben der Hauptfiguren.

Von Eva Fritsch

Gregor: Das letzte rote Jahr © Frankfurter Verlagsanstalt 1989 – die DDR steht vor ihrer Auflösung; am 9. November fällt die Mauer, die Ost- und Westdeutschland über 28 Jahre teilte. Ein großer Umbruch, nicht nur in Deutschland. Zeitgleich vollzieht sich im Nachbarland Tschechoslowakei eine ähnliche Entwicklung: Der Staat steht ebenfalls kurz vor dem Kollaps, und mit ihm 40 Jahre Sozialismus.

Susanne Gregor stammt selbst aus der Tschechoslowakei und erzählt in ihrem Roman Das letzte rote Jahr – zumindest in Teilen – ihre eigene Geschichte: 1990 wandert sie mit ihrer Familie nach Österreich aus; zur Zeit der Wende ist sie acht Jahre alt.

Die Ich-Erzählerin im Buch heißt Miša, eine Vierzehnjährige, die gerne liest und sich mit ihren Freundinnen Slavka und Rita trifft, die mit ihren Familien sogar im gleichen Haus wohnen. Sie alle leben in Žilina – damals gehörte die Stadt zur Tschechoslowakei, heute liegt sie in der Slowakei.

Faszination Westen

Die zunächst harmonische Freundschaft der Mädchen bekommt bald Risse, denn zunehmend beeinflussen die politischen Begebenheiten das Zusammenleben der drei Familien. Man komme nicht umhin: Irgendwann vermische sich die Politik immer mit dem Privatleben, kommentiert die Autorin in einem Interview. In ihrem Roman wolle sie dies zeigen und „Geschichte erlebbar machen“. Dass Susanne Gregor dies gelingt, ist vor allem der detailreichen Beschreibungen der Umgebung, der Stimmungen innerhalb der Familien, der sozialen Gefüge im Allgemeinen zu verdanken. Während Slavka und Miša sich der Faszination der westlichen Fernsehsender nicht entziehen können, nennt Mišas Bruder Alan den Vater einen „Fersenlecker der Sozialisten“, weil er sich vom Genossen Brzda eine Waschmaschine schenken lässt. Was ihn nicht daran hindert, mit seiner jungen Geliebten, Mišas Freundin Rita, am Ende des Romans die Flucht nach Deutschland zu wagen.

Eine mögliche Ausreise „in den Westen“ ist ohnehin ständiges Thema des Romans und betrifft die drei Freundinnen auf unterschiedliche Weise: Slavkas Vater lebt als „Dissident“ bereits seit einigen Jahren in Schweden, Rita ist leidenschaftliche Pionierin und blickt verächtlich auf die Mitbringsel, die Mišas Vater von seinen Geschäftsreisen aus Österreich mitbringt. Im Alltag jedoch werden die Mädchen mit „zwei Versionen unserer Realität“ konfrontiert: „...der einen voller Friede und Fortschritt, […], und der anderen Realität des Mangels, die man deutlich wahrnahm, wenn man westliches Fernsehen sah.“ Dass dies nicht lange gut gehen kann und schließlich in den gesellschaftlichen Umwälzungen der in der Tschechoslowakei so genannten „samtenen Revolution“ endet, macht Gregor in lebhafter Sprache deutlich.

Ein Stück Zeitgeschichte

Die Autorin entwirft mit ihrem Roman nicht nur eine Geschichte über Freundschaft und das Heranwachsen in unsicheren politischen Zeiten, sondern auch ein Stück Zeitgeschichte: Ostdeutsche in der Prager Botschaft, der Rücktritt Honeckers, schließlich die Ausrufung Ungarns zur demokratischen Republik werden ebenso thematisiert wie der Umgang mit den Medien. Radek, Mišas erster Freund, informiert sich über einen Piratensender über die Umbrüche im Nachbarland: „Freies Europa sendet aus Deutschland, wenn sie es sagen, dann ist es wahr, Ostdeutschland ist frei.“ Als Leser*in „riecht“ man so gewissermaßen den Geist von 1989, fiebert mit den Geschehnissen mit, den privaten und den politischen – egal, ob man selbst Zeitzeuge war oder nicht.
 
Rosinenpicker © Goethe-Institut / Illustration: Tobias Schrank Gregor, Susanne: Das letzte rote Jahr
Frankfurt: Frankfurter Verlagsanstalt, 2019. 224 S.
ISBN: 978-3-627-00263-3

Diesen Titel finden Sie auch in unserer Onleihe

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