Manuel Negwer: Hommage an Koellreutter

Wer sich wie Manuel Negwer in Brasilien mit Heitor Villa-Lobos und dessen Werk beschäftigt, der stellt nicht nur fest, dass sich darin die Geschichte und Kultur des Landes im 20. Jahrhundert spiegelt. Sondern für den ist auch Hans-Joachim Koellreutter, der aus dem Dritten Reich geflohen war und das Goethe-Institut Rio de Janeiro leitete, ein Bezugspunkt. Koellreutter brachte die Zwölftonmusik und andere Tendenzen der neuen Musik nach Brasilien, prägte brasilianische Komponistinnen und Komponisten, gründete Musikabteilungen an Universitäten. Negwer, der stellvertretender Leiter des Goethe-Instituts Belo Horizonte war und das Buch “Villa-Lobos: der Aufbruch der brasilianischen Musik” geschrieben hat, leitet heute das Goethe-Institut Luanda.
 

Herr Negwer, Angola und Brasilien haben viele Gemeinsamkeiten. Worin bestehen diese zwischen Rio de Janeiro und Luanda?

Sie bestehen über den Sklavenhandel und die gemeinsamen afrikanischen Wurzeln. Viele Wörter der brasilianischen Umgangssprache stammen aus Angola: cafuné, capanga, quilombo, missanga, quimbanda, muamba, candonga, catinga. Sie kommen alle aus dem Kimbundu, einer von mehreren Bantu-Sprachen in Angola. 

Den meisten Brasilianerinnen ist das gar nicht bewusst. 

Nein. Ich war ja lange in Brasilien und die Kenntnisse über Angola sind in Brasilien eher dünn gesät. Teilweise liegt es auch an dem sehr langen Bürgerkrieg in Angola, der das Land aus der normalen Wahrnehmung verdrängt hat. Ein stärkeres Bewusstsein über die afrikanische Kultur gibt es am ehesten noch in Bahia in Salvador. In Salvador gibt es aufgrund des Bevölkerungsanteils am stärksten so etwas wie “black pride”.

Die Ausstellung des Goethe-Instituts über Kunst Afrikas aus dem Ethnologischen Museum Berlin in Rio de Janeiro war ein großer Erfolg. Sie schien den Nerv der Zeit zu treffen, als gerade Interesse an der afrikanischen Vergangenheit des Landes bestand.

Ja, die Ausstellung kenne ich, und natürlich auch den Kollegen Alfons Hug, der Institutsleiter in Rio war. Ich war von 1990 bis 1996 durchgehend am Goethe-Institut Belo Horizonte und danach immer wieder zu Besuch in Rio de Janeiro. Alfons Hug hat regelmäßig sehr bemerkenswerte Ausstellungsprojekte organisiert.

Ihr Spezialgebiet ist eher die Musik. Wie ist Ihre Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Rio de Janeiro zustande gekommen?

Ich war über das Goethe-Institut längere Zeit in Brasilien und konnte dort Material für mein Buch über Villa-Lobos sammeln. Den ersten Kontakt hatte ich mit 17 als Schüler in Rom, das war 1970. Ich bin in verschiedenen Ländern lebend aufgewachsen - Argentinien, Angola, Italien –, weil mein Vater Diplomat war. 

Was hat in Ihr Interesse am Goethe-Institut geweckt, erinnern Sie sich noch an den ersten Kontakt?

Ja, das waren Filmvorführungen Fassbinder. Und Lesungen mit Friedrich Christian Delius, Peter O. Chotjewitz, Rolf-Dieter Brinkmann. Das hat mich sehr fasziniert. Und da mein Vater auch für die “Villa Massimo” zuständig war, hatte ich das ganze Panorama in Reichweite. Damals wohnten ja großartige Leute in Rom und Umgebung. Ingeborg Bachmann, Hermann Kesten, Hans Werner Henze, Marie Luise Kaschnitz, auch Luise Rinser.

Rom / Italien ist ja ähnlich wie Rio de Janeiro / Brasilien ein Sehnsuchtsort der Deutschen.

Ja, aber Italien schon seit Jahrhunderten. Rio kam ja vor allem durch Stefan Zweig in den Blick.

Ähnlich wie das Goethe-Institut Rom hat das Goethe-Institut Rio de Janeiro zu einer Zeit auch Avantgarde nach Rio geholt, vor allem in der Musik.

Ein Bezugspunkt für mein Villa-Lobos-Buch war auch Hans-Joachim Koellreutter, der ja Institutsleiter in Rio war. Ich bin ihm einmal bei einem Kongress in São Paulo begegnet. Als ich das Buch dann schrieb, war er leider schon tot. Koellreutter war ja gewissermaßen der Gegenspieler von Villa-Lobos. Villa-Lobos war der Vertreter eines Nationalstils und hatte sich auch stark von Getúlio Vargas instrumentalisieren lassen. Koellreutter war als Zwölftonmusiker und Flüchtling aus dem Dritten Reich natürlich ganz anders gepolt. Und so war die Musikszene in Rio de Janeiro nach Ankunft Koellreutters gespalten. Eine direkte Konfrontation zwischen den beiden gab es nicht. Aber der Komponist Camargo Guarnieri hat Koellreutter stellvertretend für Villa-Lobos in einer berühmt gewordenen "Carta aberta" angegriffen. Im Verlauf der Auseinandersetzung liefen einige Koellreutter-Schüler zur Villa-Lobos-Seite über. Da ging’s hoch her.

Was hat Sie denn dann dazu gebracht, über Villa-Lobos zu schreiben und nicht über Koellreutter?

Villa-Lobos war – egal, was man sonst von ihm hält – als Komponist weitaus bedeutender und ist auch weltweit bekannt. Aber es gab kaum deutschsprachige Literatur über ihn. Koellreutter ist als Organisator, Mittler und Pädagoge ganz großartig. Und als NS-Gegner. Aber er ist auch von den deutschen Medien und der deutschen Öffentlichkeit sträflich vernachlässigt worden. Man sollte ihn viel mehr würdigen. Er hat mindestens zwei Generationen von brasilianischen Komponistinnen und Komponisten unterrichtet und geprägt, Musikabteilungen an Universitäten gegründet und Ähnliches.

Welche Rolle spielte das Goethe-Institut bei Ihrer Arbeit über Villa-Lobos?

Ich habe mich 1990 nach Brasilien beworben und kam als stellvertretender Institutsleiter des Goethe-Instituts nach Belo Horizonte. Die Bibliothekarin in Rio hat mir bei der Suche nach Material über Koellreuter geholfen. In Rio de Janeiro war ich ja damals oft, sowohl dienstlich wie privat. Für meine Recherchen war auch das Villa-Lobos-Museum in Rio wichtig.

Das heißt, Sie sind schon mit der Idee zu dem Buch nach Brasilien gekommen? 

Nein, die entstand im Lauf der Jahre. Villa-Lobos war damals ja in Deutschland eigentlich nur als Gitarrenkomponist bekannt. Als ich in Brasilien lebte, wurde mir klar, dass sich in Villa-Lobos’ Werk die ganze Geschichte und Kultur Brasiliens des 20. Jahrhunderts spiegelt. Die gesamte brasilianische Musik sowie die vorherrschenden Außeneinflüsse sind in Villa-Lobos’ Werk präsent.