Frauen an der Spitze
Sechs Kurzporträts von Chileninnen in Führungspositionen

Wer bei Google die Namen der 2014 wiedergewählten chilenischen Präsidentin Michelle Bachelet oder der jungen PC (Partido Comunista – Kommunistische Partei)-Abgeordneten Camila Vallejo eingibt, wird auf eine Unmenge von Einträgen stoßen. Beide stehen beispielhaft für die politischen Führungskräfte Chiles. Trotzdem sind sie Ausnahmeerscheinungen – was Frauen in Spitzenpositionen von Unternehmen oder Verwaltung angeht, gibt es in Chile noch reichlich Nachholbedarf.

Wie etwa eine im März 2015 von der Organisation Comunidad Mujer (Frau und Gesellschaft) veröffentlichte Untersuchung belegt, sind von den 331 Leitungskräften der 40 größten börsennotierten Unternehmen des Landes nur 18 – also 5,4 % – Frauen. 

Alejandra Wood – wo das kulturelle Herz der Hauptstadt schlägt

Auf ihren Schultern ruht eine für das heutige Chile höchst symbolträchtige Verantwortung. Die studierte Historikerin Alejandra Wood (1967), eine unermüdliche Arbeiterin und Perfektionistin, leitet seit fünf Jahren das Centro Gabriela Mistral (GAM). Zuvor war sie in der Bergbaubranche tätig – sie war zuständig für Öffentlichkeitsarbeit bei dem Unternehmen Escondida –, und hat jetzt eines der wichtigsten Kulturzentren des Landes auf den Weg gebracht. Das GAM arbeitet als bislang einziges grenzüberschreitend, hat sämtliche Kunstsparten im Programm und zieht jährlich zwei Millionen Besucher an. Seine Leiterin stand vor einer doppelten Herausforderung: Ihre Aufgabe war es nicht nur, den Betrieb auf dem Gelände in Gang zu bringen, sondern auch das Publikum und ihre Mitarbeiter dafür zu begeistern. Errichtet wurde das GAM bekanntlich auf den Fundamenten des Edificio Unctad II, das 1972 als künftiges Kulturzentrum erbaut worden war, nach dem Putsch von 1973 jedoch in das Einsatzzentrum der Pinochet-Diktatur umgewandelt wurde. „An dieser Stelle mussten wir unseren Bau errichten und ihm einen angemessenen Inhalt verschaffen. Dafür brauchten wir ein Team, das höchsten menschlichen und professionellen Ansprüchen genügte. Vor allem aber mussten alle sich wirklich der Sache verpflichtet fühlen. Ich habe dabei auf flache Hierarchien gesetzt, ich vertraue meinen Untergebenen und delegiere viel“, erklärt die GAM-Leiterin.

Patricia Matte – Magierin der Schulförderung

Immer schon gehörte sie zu einem besonders begünstigten Teil der chilenischen Bevölkerung. Die Soziologin Patricia Matte (1943) und ihre Geschwister haben mit unterschiedlichen Unternehmen ein Vermögen von siebeneinhalb Milliarden US Dollar angesammelt. Trotzdem hat Matte sich stets öffentlichen Aufgaben gewidmet – und dabei insbesondere der Erziehung. Sie hat für die Oficina de Planificación Nacional (Odeplan - Nationales Planungsbüro) gearbeitet, später für die Institution Libertad y Desarrollo (Freiheit und Entwicklung), und leitet heute die Sociedad de Instrucción Primaria (SIP - Primarschulgesellschaft), die sich seit hundertsechzig Jahren um die schulische Förderung von Kindern aus Familien mit niedrigem Einkommen kümmert – in achtzehn Schulen im Großraum Santiago mit zwanzigtausend Schülern. Matte übernahm vor dreißig Jahren zum ersten Mal die Leitung der SIP. Seitdem war sie abwechselnd deren Präsidentin und Vizepräsidentin. „Ich setze auf eher flache Hierarchien. Ich hatte das Glück, mit einem Team arbeiten zu können, das genauso von der großen Bedeutung unserer Aufgabe überzeugt ist wie ich selbst, weshalb wir Entscheidungen so weit wie möglich im Konsens treffen und unseren einzelnen Arbeitsgruppen alle erdenkliche Unterstützung zukommen lassen“, erklärt Matte, die ihre Arbeit künftig verstärkt auf die Gebiete außerhalb der Hauptstadt ausdehnen und der Oberstufe eine technisch-berufliche Ausrichtung geben möchte.

Anita Holuigue - die Herrin der Radiosender

1995 ließ sie sich von dem Radiosender Galaxia verführen. Nachdem sie zunächst verschiedene Firmen geleitet und später ihr eigenes Unternehmen gegründet hatte – die Finanzberatung Scan –, ließ die Ökonomin Anita Holuigue (1955) sich schließlich auf die Herausforderung ein, den Radiosender zu übernehmen, den sie mit ihrem Mann Felipe Lamarca gekauft hatte. Unter dem Namen Duna ließ sie ihn neu in Betrieb gehen. „Ausschlaggebend war die Magie, die für mich vom Radio ausgeht. Das hat mit der Art der Kommunikation zwischen diesem Medium und den Hörern zu tun. Sie ist direkt, unmittelbar, spontan“, erklärt die heutige Leiterin der Dial-Gruppe. Als solche ist sie Herrin über sechs Radiosender: Duna, Zero, Carolina, Beethoven, Paula und Disney. Und auch sie bevorzugt flache Hierarchien. „Die Entscheidungen“, erzählt Holuigue, „werden bei uns gemeinsam getroffen. Wir wissen alle, was jeder von uns besonders gut kann, weshalb immer derjenige um Rat gefragt wird, der ein Experte auf dem infragestehenden Gebiet ist. Das letzte Wort habe nicht ich. Da die Herausforderung darin besteht, unsere Arbeit stets zu verbessern, lasse ich viel Platz für Diskussionen.“

Bárbara Figueroa – oberste Gewerkschaftsführerin Chiles

„Ich habe eine neuartige Herangehensweise eingeführt, die für manche langgediente Gewerkschaftsführer nicht so einfach anzunehmen war“, erklärt Bárbara Figueroa (1976). „Verunsichernd wirkte auch, dass ich jung und weiblich bin.“ 2012 übernahm die Psychologin und Philosophielehrerin, die seit ihrem 15. Lebensjahr in der PC (Kommunistische Partei) aktiv ist, die Leitung der Central Unitaria de Trabajadores (CUT – Zentraler Arbeiterverband). Sie war die erste Frau in Lateinamerika, die an die Spitze einer Mehrspartengewerkschaft (wie der CUT) gelangte. Und mit ihr brach dort eine neue Zeit an: Ihr respektvoller und zurückhaltender Führungsstil gesteht den einzelnen Gewerkschaftsführern größere Freiheit zu. Hielt zuvor bei wichtigen Zusammenkünften nur der Vorsitzende eine Rede, kommen heute alle zu Wort. Figueroa fiel außerdem die Aufgabe zu, einen Vorgang von historischer Bedeutung mitzugestalten: Die ehrgeizigste Arbeitsreform, die bislang in Chile angegangen worden ist, und die einzige, die unter der Leitung eines weiblichen Führungstrios diskutiert wurde – neben Figueroa Präsidentin Michelle Bachelet und Arbeitsministerin Javiera Blanco. „Ich glaube, es tut dem Land gut, wenn es verstehen lernt, dass bestimmte Strukturen nicht für immer und ewig festgelegt sind und dass Führung nicht nur auf eine einzige, meist männliche Art und Weise ausgeübt werden sollte. Wir Frauen haben viel beizutragen, nicht nur weil wir fast 50% der Arbeitskräfte stellen, sondern auch, weil für jedes Land, das an seiner Entwicklung interessiert ist, die unterschiedlichsten Führungspersönlichkeiten denkbar sein sollten“, verkündet die Gewerkschaftsvorsitzende.

Verónica Moreno – an der Spitze einer Traditionszeitung

Sie ist der Überzeugung, dass es beim Arbeiten um Aufgaben und Ziele geht, nicht um geleistete Arbeitsstunden und Zwänge. Wichtig ist ihr, dass die Mitglieder ihres Teams sich wohlfühlen und sich bemühen, in harmonischem Zusammenwirken ihr Bestes zu geben. Dies setzt sie bei der Aufgabenverteilung voraus und gibt mit ihrem maximalen Einsatz selbst ein Beispiel. So beschreibt die Journalistin Verónica Moreno ihre Art, zu führen. Sie ist die erste Frau an der Spitze einer chilenischen Regionalzeitung: Seit mittlerweile elf Jahren leitet sie den Austral de Valdivia, die wichtigste Tageszeitung der Región de Los Ríos, die siebzig Prozent aller dort verkauften Zeitungen ausmacht. Neben der Zusammenarbeit mit Fotografen und Gestaltern ist Moreno die Chefin von zehn Journalisten, die ihrerseits nicht nur Beiträge für die gedruckte und die Internet-Ausgabe der Zeitung verfassen, sondern auch eigene Programme des Radiosenders Positiva gestalten. „Anfangs stellte diese Arbeit eine ziemlich komplexe Herausforderung dar. Es gab Widerstände, weil ich die gewohnten Arbeitsabläufe veränderte. Vielleicht, weil die Veränderungen von einer Frau ausgingen, was bis dahin noch nie vorgekommen war. Es war nicht einfach, zu beweisen, dass es auch anders geht. Als klar wurde, dass ich meine Sache gut machte, lief es aber besser“, erzählt Moreno.

Carolina Echenique - die Chips-Revolutionärin

Ihr Traum war klar und eindeutig – sie briet bunte Kartoffelchips, und als sie aufwachte, wusste sie: Das ist es. Woraufhin die studierte Agrarwirtschaftlerin Carolina Echenique (1975) sich auf die Suche nach passenden einheimischen Kartoffelsorten machte und anfing, in ihrer Garage mit verschiedenen Rezepten und Bratölen zu experimentieren, bis sie ihre Tika Natural Chips geschaffen hatte, aus Kartoffeln, Roten Beten und Süßkartoffeln. Ein Produkt mit niedrigem Natriumgehalt und wenig Kalorien, dazu frei von Gluten und Cholesterin, das im Sturmlauf den chilenischen Markt eroberte: Heute gibt es nicht nur viertausend Verkaufsstellen im ganzen Land (von Arica bis Punta Arenas), sondern Tika Natural Chips werden auch in die USA und nach Europa exportiert. Allein auf dem einheimischen Markt wachsen die Verkäufe der Marke jährlich um 40%. „Wie ganz normale Chips sollen unsere Erzeugnisse an jeder Ecke erhältlich sein. Wir suchen weiterhin nach der Formel, mit der wir in Konkurrenz zu den Großunternehmen treten können, und das nicht bloß in Supermärkten“, erklärt Echenique, die sich 2015 auch Zugang zu den Märkten der arabischen Emirate und Chinas verschaffen möchte. Auf unsere Frage nach einem möglichen Schlüssel zum unternehmerischen Erfolg sagt sie: „Am Anfang ist es immer schwierig, die größte Herausforderung ist aber, niemals ein Nein als Antwort zu akzeptieren.“