Bürgerschaftliche Stadtentwicklung
Neue Perspektiven der Stadterneuerung in Dänemark

GivRum
© Franziska Holz

Bürger mischen sich zunehmend in die Erneuerung unserer Städte ein. Sie fordern Mitspracherecht, zeigen großes Engagement und scheuen keine Mühe. Das führt nicht nur zu abwechslungsreichen Städten, sondern auch zu mehr Zusammenhalt und Mitbestimmungsrecht auf lokaler Ebene.

Bürgerbeteiligung und kollektive Entwicklungsprozesse sind innerhalb der letzten Jahre zu Schlagwörtern der lokalen und regionalen Stadtplanung avanciert. Bei Bürgertreffen und Workshops werden Anwohner angehört und tragen dazu dabei, sachgemäße Lösungen für städtische Herausforderungen zu finden und einen gestärkten Gemeinsinn zu schaffen. Damit sind die Bürger direkt an der Stadtentwicklung beteiligt, die eigentlichen Planungsprozesse und Entscheidungskompetenzen obliegen jedoch weiterhin den zuständigen Kommunen.

Dabei entstehen ganz neue Potentiale, wenn die Gemeinden Entscheidungsmacht und Verantwortung abgeben. Unzählige Bürger in den Lokalgesellschaften haben sowohl Lust, Zeit und Energie dazu, soziale und kulturelle Projekte zugunsten der Lokalgesellschaft eigenverantwortlich auf die Beine zu stellen. Die Kommunen stehen vor der Herausforderung, in höherem Maße auf die bürgerschaftliche Stadtentwicklung zu vertrauen und eine Partizipationskultur zu schaffen, die den Gemeinsinn durch eigene Projekte stärkt. Hierin liegen weitreichende Möglichkeiten, die es nutzbar zu machen gilt. Eine gemeinschaftliche Stadtentwicklung geht noch einen Schritt weiter als die reine Bürgerpartizipation: die Bewohnerschaft wird hierbei nicht nur angehört, sondern nimmt aktiv am Entscheidungsprozess teil. Das schont nicht nur das Gemeindebudget, sondern stärkt auch den sozialen Zusammenhalt vor Ort.  

In der Gemeinde Årslev-Søndre Nærå auf der Insel Fyn ist Bewegung in eine kleine Lokalgesellschaft gekommen: Seit Oktober 2015 haben die Bürger der Kleinstadt eine ehemalige Schaumstofffabrik, in der einst Schuhsohlen produziert wurden, zu einem selbstorganisierten Kulturzentrum umgewandelt. Auf dem Fabrikgelände werden nun Freizeitaktivitäten und Kulturveranstaltungen organisiert. Das Zentrum dient als Sammelpunkt für die Bewohner und spielt eine große Rolle in der kollektiven, lokal verankerten Entwicklung des neuen Stadtkerns.

Mit dem Konkurs der Schaumstofffabrik verschwand ein zentraler Bestandteil von Årslev-Søndre Nærås Tradition, und es hätte sich um das letzte Kapitel in der über 130 Jahre alten Geschichte der Fabrikhallen handeln können, in der zu Hochzeiten in den 1970er und 80er Jahren um die 200 Angestellte beschäftigt waren. Wohlbemerkt in einer Stadt mit nur 3.500 Einwohnern.

Die zuständige Gemeinde Faaborg-Midtfyn hatte ursprünglich andere Pläne für die leerstehenden Fabrikhallen, die im Sommer 2014 der Gemeinde zufielen. Im Herbst 2015 gab die Gemeinde die Gebäude frei zur Zwischennutzung bis hin zur endgültigen Realisierung der Gemeindestrategie für eine neue, kulminierende Stadtmitte auf dem Gelände rund um die Fabrik, die im Volksmund nur „Polymeren“ genannt wird.

Nach einem Monat organisierten örtliche Bürger und Vereine ein Eröffnungsfest, das über 1.000 Teilnehmer anlockte. Über zwei Tage lang konnte man in der Fabrik auf Entdeckung gehen sich einen Eindruck davon verschaffen, welche Nutzungsmöglichkeiten – von Konzerte über Ausstellungen bis hin zu sportlichen Aktivitäten – in den heruntergekommenen Hallen steckten.

Nach einem halben Jahr mit bürgerbetriebenen Aktivitäten hat die örtliche Gemeinschaft vorzeigen können, welch umfangreiches Potenzial einer sozialen, kulturellen und ökonomisch nachhaltigen Entwicklung in ihr steckt. Zahlreiche Freizeitaktivitäten wurden etabliert, es werden Talkshows und Konzerte veranstaltet, und der für die organisatorische Entwicklung zuständigen Gruppe ist es gelungen, 350.000 DKK (entspricht etwa 47.000 Euro) für ein Indoor-Beachvolleyball-Feld und die urbane Umwidmung der Schaumstofffabrik zu sammeln.

  • Eröffnung der ehemaligen Schaumstofffabrik Polymeren Foto: GivRum
  • Eröffnung der ehemaligen Schaumstofffabrik Polymeren Foto: GivRum
  • Eröffnung der ehemaligen Schaumstofffabrik Polymeren Foto: GivRum
  • Eröffnung der ehemaligen Schaumstofffabrik Polymeren Foto: GivRum
  • Eröffnung der ehemaligen Schaumstofffabrik Polymeren Foto: GivRum
  • Eröffnung der ehemaligen Schaumstofffabrik Polymeren Foto: GivRum
  • Åbningen af Polymeren Foto: GivRum

Das Verlangen nach Nähe steigt

Die Schaumstofffabrik ist nur eins von vielen Narrativen der gemeinschaftlichen Stadtentwicklung. Überall in Dänemark konnten wir im letzten Jahrzehnt mehr und mehr Gemeinschaften beobachten, die leerstehende Gebäude und öffentliche Plätze übernehmen und sich den Raum aneignen. Diesen Projekten gelingt es nicht nur, den lokalen Zusammenhalt und Gemeinsinn zu stärken, sondern sie bieten auch interessante Lösungsansätze angesichts der finanziellen Probleme des Wohlfahrtsstaates.

Die öffentlichen Leistungen in Dänemark stehen in den letzten Jahren unter starkem Druck, das Budget der öffentlichen Kassen schwindet und jede Krone wird zweimal umgedreht, bevor sie investiert wird. Gleichzeitig gibt es eine Reihe von Ressourcen, die in der kommunalen Arbeit bis jetzt nur ansatzweise zur Anwendung kommen.

GivRum arbeitet seit 2010 daran, diese Ressourcen zu aktivieren und in lokalen, tragfähigen Gemeinschaften zu kanalisieren, so dass sie sich schnell etablieren und sowohl finanziell als auch sozial nachhaltig arbeiten können. Unsere Erfahrung zeigt, dass der finanzielle und zeitliche Aufwand für die Kommunen, bürgerschaftliche Entwicklungsprozesse anzustoßen, sehr gering ist.

Im Gegenteil dazu erfordert es Mut, die Entscheidungsmacht und die Verantwortung für den täglichen Betrieb, die Verwaltung und Entwicklung den Bürgern zu überlassen. Es setzt voraus, dass bürgerschaftliche Teilhabe und kollektive Entwicklungsprozesse ernst genommen, und nicht auf öffentliche Ausgaben und ein lästiges, vom Staat vorgegebenes Procedere in Form einer Anhörung reduziert werden. Stattdessen sollten sie als ein Werkzeug begriffen werden, das zu besseren, inkludierenden und lebendigeren Städten und Lokalgesellschaften führen kann. Die Einbindung von Bürgern wirkt vor allem beziehungsstiftend, man übernimmt Verantwortung für seine direkte Umgebung und fühlt sich zugehörig. 
 
Im Falle der Schaumstofffabrik in Årslev hat der kollektive Entwicklungsprozess dazu geführt, dass die alten Fabrikgebäude nicht länger mitten in Stadt stehen und verkommen. Die Schaumstofffabrik ist zu einem Kapital geworden, einer Ressource zur Stärkung des städtischen Zusammenhalts. Ein Treffpunkt für die unterschiedlichen Akteure der Stadt, der jetzt renoviert und saniert wird, weil die Kommune daran geglaubt hat, dass die örtliche Gemeinschaft die Aufgabe bewältigen kann, und weil die Bürger die Verantwortung dafür übernommen haben.