Henriikka Tavi
Hin zu einer breiteren Bürgerdiskussion

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Bild: John Cameron/ Unsplash

Jahrelang habe ich voller Entsetzen die Nachrichten verfolgt und von Zeit zu Zeit gedacht, dass ich vielleicht etwas tun sollte. Erst die eindeutige Zeitgrenze im 1,5-Grad-Bericht des IPCC wurde für mich zum Wendepunkt. Wenn ich irgendwann in meinem Leben politisch aktiv sein will, dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt dafür.

In den letzten sechs Monaten habe ich einen großen Teil meiner Arbeitszeit für verschiedene Arten von Klima-Aktivismus verwendet. Ich habe auch allerhand gelernt.
 

Gute und schlechte Nachrichten

      Die guten Nachrichten zuerst:
  1. Es steht außer Zweifel, dass ein einzelner aktiver Bürger viel tun könnte. Um möglichst wirksam zu handeln, ist es wichtig, zuerst zu überlegen, welches die eigenen Stärken sind, welche speziellen Fähigkeiten oder Kräfte man besitzt (wie zum Beispiel Schreiben, Bekanntschaft mit anderen Menschen, Eigensinn). Außerdem ist es wichtig, mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten.
  2. Die entstehende und sich entwickelnde Klimabewegung scheint die politische Kultur in Finnland zu verändern. Die Bürger sind aktiver und mutiger. Wir stellen auch fest, dass viele Politiker nicht unsere Feinde, sondern unsere Verbündeten sind. Es scheint, dass wir auf die politische Debatte in Finnland Einfluss nehmen können und gleichzeitig auch darauf, in welche Richtung unser Land sich entwickelt.

    Und dann die weniger guten:
  3. Ich hatte nicht geahnt, wieviel Hass und Verärgerung der Klima-Aktivismus oder, wie die Rechtspopulisten sagen, die „Klimapanik” ausgelöst hat. Es ist verblüffend, wieviele Finnen Bürgeraktivitäten als negativ empfinden „Die meisten Menschen wollen in aller Ruhe ihr Leben führen, sie wollen nicht, dass ständig Leute demonstrieren und herumlabern”, stellte ein Teilnehmer bei einer Diskussion fest, bei der es um die Hassreaktionen gegen Klima-Aktivisten ging. Die auch von den Medien geschürte Verärgerung über die Klimapanik war einer der Faktoren, die dazu beitrugen, dass die rechtspopulistische Partei Perussuomalaiset (Basisfinnen) bei der Parlamentswahl beinahe zur größten Partei Finnlands aufgestiegen wäre. Wenn sie vom Klimawandel sprechen, wiederholen die Populisten immer wieder dieselben Behauptungen: „Finnland ist ein kleines Land, und Finnlands Emissionen sind im globalen Maßstab belanglos.” „Weil der Klimawandel eine globale Angelegenheit ist, kann man ihn nicht mit lokalen Mitteln lösen.” „Die Bevölkerungsexplosion ist das größte Klimaproblem.” Oder: „Halte deine Predigten in China oder Indien, wir haben unseren Teil schon getan.”
    Trotz der Globalität des Problems wirken die Populisten jedoch nicht besonders willig, globale Lösungen zu fördern: Die Einstellung zur Entwicklungshilfe ist extrem kritisch, und zum Beispiel auf EU-Ebene haben die Gruppierungen der äußersten Rechten die Klimapolitik eher gebremst als beschleunigt.
     

Könnte die Diskussion Grenzen überschreiten?

Das populistische Mantra von der Globalität der Klimaprobleme entspricht natürlich der Wahrheit. Wenn wir ausschließlich im nationalen Rahmen über Klimaprobleme reden, fühlen wir uns bald machtlos.

Mir fallen mindestens zwei Mittel gegen eine solche Machtlosigkeit ein: Wissen und Diskussion. Das Wissen, was anderswo auf der Welt getan wird. Und eine Diskussion, an der Menschen aus mehreren Nationen teilnehmen.

In unserer heutigen Blütezeit des Reisens ist es eher die Regel als die Ausnahme, dass die sozialen Netzwerke der Menschen international, oft weltumspannend sind. Wir teilen uns die Atmosphäre – warum sollten wir also nicht auch mit unseren Freunden vom anderen Ende der Welt über Klimafragen sprechen? Warum nicht nach Wegen suchen, mehr darüber zu erfahren, welche lokalen Herausforderungen, Hindernisse und Versprechungen sich in verschiedenen Teilen der Welt mit dem Klimaschutz verbinden?

Wir sollten erzählen, was in unserem Land getan wird, was unsere größten Herausforderungen sind und welche Trends und Kräfte in unserem Land den Wandel verhindern. Wir sollten fragen, was die Bekämpfung des Klimawandels in anderen Ländern bedeutet, welche Kräfte die Veränderung vorantreiben und welche Interessengruppen und Forderungen ihr im Wege stehen.
Ich träume von langen „internationalen” Gesprächen, bei denen Fachleute und Experten verschiedener Bereiche ihre Gedanken austauschen könnten. Diskussionen dieser Art könnten als übersetzte Artikel oder Podcasts veröffentlicht oder zum Beispiel als Podiumsgespräche geführt werden.

Andererseits denke ich auch über wege nach, die ganz normale Diskussion in den sozialen Medien zu internationalisieren. Wie könnte ich zum Beispiel meine Kollegen aus den USA, China, Russland oder Indien dazu bewegen, sich an den alltäglichen Klimadebatten in meinem sozialen Medium zu beteiligen?
Die Erweiterung des Gesprächskreises würde natürlich das Verständnis und die Empathie für unterschiedliche lokale Herausforderungen vergrößern, vor allem aber würde sie uns helfen, zu verstehen, dass wir diesen Problemen nicht allein gegenüberstehen. In manchen Fällen könnten diese Gespräche innovative Lösungen und Ideen vermitteln, was ebenfalls stärkend und ermutigend sein dürfte.

In Finnland tut sich im Moment viel: Politiker, große Unternehmen, Vertreter der Industrie ebenso wie einflussreiche Einzelne ergreifen in Klimafragen die Initiative. Die neue Regierung hat sich das Ziel gesetzt, dass Finnland bis 2035 der erste klimaneutrale Wohlfahrtsstaat der Welt wird. Dennoch meine ich, dass die Klimakrise zu akut und ernst ist, um sich in dem Glauben zu wiegen, dass die Sache erledigt wird. Wir normalen Bürger müssen weiter diskutieren und demonstrieren. Je mehr Menschen auf dieser Welt bereit sind, vorzutreten und eine Veränderung zu fordern desto mehr Hoffnung hat die Welt.
 

Durch Öl garantierte Macht

 
Der Klimawandel ist natürlich nur eines der großen Umweltprobleme, die uns zwingen, unseren untragbaren Lebensstil aufzugeben und einen neuen zu entwickeln. Die ökologischen Probleme sind eng damit verbunden, wie wir uns gegenseitig behandeln.
Die Konsumgesellschaft betrachtet auch den Menschen als Kostenfaktor. Es liegt auf der Hand, dass in unserer auf dem Öl basierenden Welt die Anhäufung von Wohlstand und Macht und die Zerstörung der Natur Hand in Hand gegangen sind.
 
Wir beginnen allmählich zu verstehen, dass Öl und Kohle unsere Welt nicht mehr lange in Gang halten können.

Wenn ich mir den Übergang in eine öllose Zukunft ausmale, gehen mir zwei alternative Bilder durch den Kopf: Auf der einen Seite das Machtvakuum, das der Rückzug der Ölmacht mit sich bringt, und das daraus entstehende Chaos. Auf der Kehrseite findet sich ein weitaus schöneres Bild, auf dem zumindest ein Teil der mit Öl beschafften Macht an das Volk zurückfällt.

Die erste Version dieser Kolumne wurde als Referat für die Diskussion “Democracy – Culture – EU” geschrieben, die am 28. 4. 2019 in der Bibliothek Oodi in Helsinki stattfand.