Riina Hannuksela
Inklusion nutzt allen
Ich arbeite seit Jahren in vielen Bereichen der Tanzkunst, meist in Kontexten, in denen die Menschen zum ersten Mal mit der modernen Kunst und dem modernen Tanz Bekanntschaft schließen. Deshalb sind Fragen der Inklusivität und Barrierefreiheit zu Eckpfeilern meiner Tätigkeit geworden. Die bedeutsamsten Momente für mich persönlich waren jene magischen Momente des gemeinsamen Tuns und Erlebens, in denen es trotz Sprachbarrieren und anderen Hindernissen möglich war, sich zu versammeln und ein tiefes und freudiges, körperliches Zusammengehörigkeitsgefühl zu erleben. Häufig handelte es sich um Situationen, die ganz und gar nicht so verliefen, wie ich geplant hatte.
In diesen Momenten hat das geteilte Agieren etwas nie zuvor Erlebtes und Überraschendes hervorgebracht. Es bestand der aufrichtige Wunsch, dem Anderen zuzuhören, selbst wenn die verbale Kommunikation schwierig oder sogar unmöglich war. Diese Erfahrungen weckten sowohl mein Vertrauen in die Kraft der Körperlichkeit, Verbindungen zwischen Menschen zu schaffen, als auch mein Interesse an der Entwicklung einbeziehender, inklusiver Praktiken.
Was ist Inklusion eigentlich?
Gespräche über Inklusion beginnen häufig mit einem Zitat von Verna Myers: "Diversity is being invited to the party. Inclusion is being asked to dance.” Das ist ein guter Ausgangspunkt, genügt aber für sich allein nicht. Auf Inklusion abzielende Maßnahmen dürfen sich nicht darauf beschränken, dass man den Tanzboden für alle offen hält und mal diesen, mal jenen einlädt.Gelungene Inklusion bedeutet, dass jeder die Initiative ergreifen kann. Eine echte, Inklusion anstrebende Tätigkeit bedeutet nicht nur normenkritische Festreden, sondern Dialog, konkrete Taten und Gewinnen von Kenntnissen. Wenn man Inklusivität anstrebt, muss man bereit sein, sich Mühe zu geben und Unbequemlichkeit zu ertragen, und man darf nicht von Annahmen ausgehen, sondern muss fragen, wenn man etwas nicht weiß.
Für mich besteht das Ziel der inklusiven Praktik darin, verschiedenartige Menschen als gleichwertige Personen zusammenzubringen. Inklusion bedeutet also, dass alle Teilnehmenden als fähig angesehen werden. Deshalb sind sie nicht nur dabei, sondern nehmen Einfluss und entscheiden über gemeinsame Angelegenheiten. In der inklusiven Praktik hängt das Agieren nicht von den Eigenschaften des Individuums ab, sondern die Tätigkeit wird so gestaltet, dass alle teilnehmen können. Verwirklichte Inklusion ermöglicht ein sicheres Umfeld für Verhandlungen über unterschiedliche und untereinander auch konträre Bedürfnisse. Nach diesem Verständnis ist Inklusion ein kontinuierlicher, zyklischer Prozess, der nie zum Abschluss kommt. Es ist jederzeit möglich, anstelle der alten Praktiken bessere zu erlernen.
Barrierefreiheit wird in der Praxis verwirklicht
Inklusion und Barrierefreiheit sind miteinander verknüpft, aber sie sind nicht ein und dasselbe. Wenn die Inklusion die Welt umarmt, bedeutet Barrierefreiheit praktische Maßnahmen, die Hindernisse für die Teilnahme beseitigen und für die immer der Organisator der Veranstaltung verantwortlich ist. Inklusive Orte für das Zusammenkommen entstehen nicht, wenn die physischen und geistigen Räume nicht barrierefrei sind. Solange man nur in nicht-barrierefreien Räumen arbeitet oder der Kunst begegnet, entsteht weder Zusammengehörigkeitsgefühl noch das Gefühl, dass die Existenz und Beteiligung eines und einer jeden bedeutsam ist.Barrierefreie Tätigkeit und Kommunikation streben danach, die unterschiedlichen und speziellen Bedürfnisse der Teilnehmenden zu berücksichtigen. Fragen der Barrierefreiheit sind zum Beispiel, ob der Ort leicht zu erreichen ist, ob sich die Türen leicht öffnen lassen, ob es in den Räumen Unisex-Toiletten gibt oder wie hoch die Schwellen sind. Barrierefreiheit entsteht, wenn man bei der Planung der Veranstaltung auf hallende Räume achtet, den Lärm von außen minimiert und dafür sorgt, dass die Beleuchtung ausreicht, die Sinne aber nicht zu sehr belastet. Wenn diese Dinge in Ordnung sind, erklärt man sie als nächstes verständlich, detailliert und mithilfe von Symbolen. Man informiert auch über eventuelle Mängel.
Investitionen in die Inklusion sind Investitionen in das, was kommt
Die Barrierefreiheit betreffende Versprechen müssen gehalten werden. Bei meiner Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, die besondere Unterstützung benötigen, habe ich bemerkt, wie große Anstrengungen und Mühe das künstlerische Hobby oder das Kunsterlebnis des eigenen Kindes erfordern kann. Die Enttäuschung, die vage, sich als falsch erweisende Versprechungen zu Barrierefreiheit und Inklusion verursacht, kann dem Kamel den Rücken brechen. Was für manche mit ein paar Klicks zu erreichen ist, kann bei anderen zahllose Telefonate, Formulare und Sonderregelungen erfordern. Dann reicht eine gutgemeinte Geste nicht unbedingt aus.Zum Glück wird man mit Fragen der Barrierefreiheit nicht allein gelassen. Es gibt zahlreiche verschiedene Einrichtungen und Organisationen, die sich auf die Förderung der Barrierefreiheit oder auf die Interessenwahrung von Sondergruppen konzentrieren und gern sachkundige Hilfe und Beratung leisten. In der digitalen Epoche kommt man schon mit dem im Internet verfügbaren Material weit.
Ich habe oben absichtlich auf besondere Unterstützung angewiesene Kinder und Jugendliche hervorgehoben, denn wenn sie es möchten, sind sie Tanzkünstler der Zukunft. Deshalb muss Inklusion bereits in der frühen Kindheit beginnen und mit der jeweils notwendigen Unterstützung in verschiedenen Lebensabschnitten fortgesetzt werden. Inklusivität erfordert einen umfassenden gesellschaftlichen Einsatz (s. z.B. das Interview mit Claire Cunningham, UK). Andernfalls sind die Inklusionsbestrebungen möglicherweise nur Kosmetik, Pflaster auf nässenden Wunden.
Im Bereich des Tanzes haben viele Akteure schon seit Jahrzehnten engagiert für eine inklusivere Tanzkunst und entsprechende Wege für Tänzer gearbeitet, doch diese Anstrengungen haben nicht die notwendige Unterstützung erhalten. Deshalb ermüden und kapitulieren viele verdiente Akteure und Wegbereiter angesichts der sich nur langsam verändernden Strukturen und Einstellungen.
Meiner Meinung nach ist dies ein Thema, über das im Bereich der Kunst noch nicht genug gesprochen wird. Da die Investitionen in die inklusive (Kunst)erziehung oder Berufsausbildung nicht systematisch und ausreichend waren, reduziert sich das Gespräch über Inklusion häufig darauf, von vielfältigen Publikumsgruppen zu sprechen. Das ist natürlich verständlich, denn Inklusivität bei der Publikumsarbeit erbringt schneller Resultate. Dagegen werden Investitionen in Erziehung und Ausbildung erst nach Jahrzehnten sichtbar.
Inklusion als kontinuierlicher, allen nützender Prozess
Inklusion ist ein ganzheitlicher dialogischer Prozess. Wenn man zum Beispiel die Barrierefreiheit der Räume verbessert oder für die Kommunikation einfachere Sprache verwendet, bietet es sich an, im selben Zusammenhang über die Inhalte und Repräsentationen der Tätigkeit zu sprechen. Das Gespräch tangiert Privilegien und vorgefasste Meinungen: Im besten – und im schmerzhaftesten – Fall enthüllt die Planung barrierefreier Räume und in einfacher Sprache abgefasster Kommunikation eine vorab bestehende Vorstellung von der an der Tätigkeit teilnehmenden Person und führt zu der Überlegung, wer über wessen Angelegenheiten entscheidet.Im nächsten Zyklus ist es dann bereits möglich, nach Lösungen zu suchen, durch die auch auf der Bühne Diversität verwirklicht wird, und zwar nicht als Kuriosität. Allen Interessierten wird ein kontinuierlicher Weg zum Professionalismus gesichert. Diese Prozesse zu durchlaufen, sollte nicht allein den Betroffenen überlassen sein, sondern alle können sich auf die eine oder andere Art daran beteiligen, denn es handelt sich um etwas, das das Leben aller bereichert.
Weitere Informationen
www.kulttuuriakaikille.fiwww.selkokeskus.fi
www.saavutettavuusdirektiivi.fi
www.kehitysvammaliitto.fi
www.autismiliitto.fi
www.cp-liitto.fi
Näkövammaisten liitto - www.nkl.fi
www.kuurojenliitto.fi
www.lastenkulttuuri.fi/sata2/