Chemnitz 2025
In Chemnitz bleiben
Heimat Ensemble I, Skulptur von Jan Kummer in der Nähe vom Garagen-Campus | Foto: Roberto Sassi © Goethe-Institut Italien
Unser Autor Roberto Sassi hat das Künstlerpaar Jan Kummer und Beater Düber getroffen und mit ihnen über die kulturelle Entwicklung von Chemnitz von den Achtzigern bis heute gesprochen.
Von Roberto Sassi
Aus Karl-Marx-Stadt wird Chemnitz
Als Jan Kummer und Beate Düber ihre ersten Erfahrungen in der Welt der Kunst sammelten, hieß Chemnitz noch Karl-Marx-Stadt. Das war Ende der achtziger Jahre, die beiden waren damals Anfang zwanzig und konnten nicht ahnen, dass es das Land, in dem sie geboren und aufgewachsen waren, bald nicht mehr geben würde. Kummer war im Alter von vier Jahren mit seiner Familie in die Stadt gekommen, Düber war 1987 im Rahmen ihres Schauspielstudiums hierhergezogen. Beide kamen ursprünglich aus Weimar und lernten sich Anfang der neunziger Jahre am Theater kennen. Seither sind sie ein Paar. „Die Stadt war rau, unfertig, nicht schick“, erzählt Düber an einem Nachmittag Anfang Mai bei einer Tasse Tee in ihrem großen gemütlichen Wohnzimmer. Ihr Zuhause ist ein vier Stockwerke hohes Gebäude aus roten Ziegeln, das zugleich als Atelier dient. Sie fährt fort: „Aber wer wie wir künstlerisch tätig war, für den war diese Umgebung eine Quelle der Inspiration. Dadurch dass es hier keine Kunstakademie gab, konnten wir frei experimentieren.“Und auch wenn diese Freiheit durch die Regeln der DDR beschränkt war, wurde sie von vielen jungen Kreativen genutzt, um eine lebendige Underground-Szene aufzubauen. Kummer, der neben seiner Frau auf der anderen Seite eines langen Holztisches sitzt, gehörte damals zu denjenigen, die jede sich bietende Gelegenheit beim Schopf packten – sowohl in der alternativen Musikszene als auch in den bildenden Künsten. „Chemnitz hat sich in den vergangenen dreißig Jahren stark verändert,“ meint er. „Ursprünglich war das hier eine sozialistische Arbeiterstadt, die eine Musterstadt werden sollte. Doch nach dem Fall der Mauer sind etwa 80.000 Menschen weggegangen und die Stadt musste sich neu erfinden. Es ist, als hätte man – ohne je weggehen zu müssen – in verschiedenen Städten gelebt. Das war aus künstlerischer Sicht sehr spannend.“ Düber, die heute als Schauspielerin und Theaterpädagogin tätig ist, nickt, möchte die Aussage aber nicht einfach so stehen lassen: „Das stimmt, aber auch wir waren Teil dieses Veränderungsprozesses und auch wir waren eine Zeit lang arbeitslos …“
Kummer und Düber erzählen von den Umwälzungen der neunziger Jahre, von den Fabriken, die schließen mussten, den alten Industrieanlagen, die in Kulturzentren umgewandelt wurden, und von einer Stadt, in der es viel urbanen Leerstand gab, den es zu füllen galt. Anders als Kummer und Düber haben viele Kreative derselben Generation diese Zeit der Veränderungen nicht erlebt, sondern zogen es vor, nach Berlin, Leipzig, Dresden oder in den Westen zu gehen. Diejenigen aber, die blieben, nutzten die Möglichkeiten, die Chemnitz bot, angefangen bei der großen Zahl freier Räume bis hin zu den relativ niedrigen Lebenshaltungskosten.
Chemnitz 2025
Es gibt ein Lied der bekannten deutschen Indie-Band Kraftklub mit dem Titel „Ich will nicht nach Berlin“. Der Song ist eine ironische Kritik am Mythos der Berliner Kulturszene und an jenen, die die Provinz verlassen, um im Kreativmilieu der Hauptstadt ihren Weg zu machen. Die Band stammt aus Chemnitz und zwei ihrer Mitglieder sind Felix und Till Kummer. Ersterer ist der Sohn von Jan und seiner Exfrau, zweiterer ist der Sohn von Kummer und Düber. Nina und Lotta Kummer, die Töchter von Kummer und Düber, sind hingegen Mitglieder der Indie-Pop-Band Blond.
Das Thema Weggehen oder Bleiben ist hier und im ganzen ehemaligen Ostdeutschland überaus präsent. Doch dieses Jahr hat die Ernennung zur Kulturhauptstadt Europas den Trend in gewisser Hinsicht umgekehrt. Tourist*innen aus ganz Europa zieht es in die Stadt und viele der Organisator*innen kommen aus anderen deutschen Bundesländern. „Es wird Englisch gesprochen, europäisch gedacht. Und es besteht die Hoffnung, dass nach Chemnitz 2025 eine offenere, weniger provinzielle Haltung zurückbleibt“, meint Kummer, der an mehreren Projekten beteiligt ist. Eines davon ist Purple Path, ein Kunst- und Skulpturenweg im öffentlichen Raum, der die Kommunen der Region miteinander verbindet und für den Kummer eine Skulptur geschaffen hat. „Für viele Menschen hier war es undenkbar, dass Chemnitz Kulturhauptstadt Europas wird“, fährt Düber fort. „Aber auch sie haben die Bedeutung des Kulturhauptstadtjahrs erkannt und bringen sich in die Organisation mit ein. Es ist zu hoffen, dass dieses Netzwerk, diese Kontakte und Volunteering-Initiativen für die Zukunft bestehen bleiben.“ Auch Düber wirkt bei zahlreichen Projekten mit, unter anderem etwa beim Beton-Festival, das im September/Oktober stattfinden wird und zu dem auch die Chemnitzer Platte gehört. Der Keks in Form eines typischen DDR-Plattenbaus wurde eigens für das Kulturhauptstadtjahr kreiert.
Ich höre den beiden zu, wie sie über Chemnitz sprechen – mit der besonnenen Begeisterung von Menschen, die sich der Licht- und Schattenseiten des Orts, an dem sie leben, stets bewusst sind. Und bezüglich Schatten kann ich nicht umhin, den Rechtsextremismus anzusprechen, der zur Verstärkung gewisser Klischees über die Stadt beigetragen hat. „Das Wertvolle an Chemnitz 2025 ist neben den kulturellen Projekten auch die positive Stimmung, die vermittelt wird“, schließt Kummer. „Und auch das ist ein Weg, um dem Rechtspopulismus entgegenzuwirken, der seinerseits zweifellos keine gute Laune verbreitet.“
Das Thema Weggehen oder Bleiben ist hier und im ganzen ehemaligen Ostdeutschland überaus präsent. Doch dieses Jahr hat die Ernennung zur Kulturhauptstadt Europas den Trend in gewisser Hinsicht umgekehrt. Tourist*innen aus ganz Europa zieht es in die Stadt und viele der Organisator*innen kommen aus anderen deutschen Bundesländern. „Es wird Englisch gesprochen, europäisch gedacht. Und es besteht die Hoffnung, dass nach Chemnitz 2025 eine offenere, weniger provinzielle Haltung zurückbleibt“, meint Kummer, der an mehreren Projekten beteiligt ist. Eines davon ist Purple Path, ein Kunst- und Skulpturenweg im öffentlichen Raum, der die Kommunen der Region miteinander verbindet und für den Kummer eine Skulptur geschaffen hat. „Für viele Menschen hier war es undenkbar, dass Chemnitz Kulturhauptstadt Europas wird“, fährt Düber fort. „Aber auch sie haben die Bedeutung des Kulturhauptstadtjahrs erkannt und bringen sich in die Organisation mit ein. Es ist zu hoffen, dass dieses Netzwerk, diese Kontakte und Volunteering-Initiativen für die Zukunft bestehen bleiben.“ Auch Düber wirkt bei zahlreichen Projekten mit, unter anderem etwa beim Beton-Festival, das im September/Oktober stattfinden wird und zu dem auch die Chemnitzer Platte gehört. Der Keks in Form eines typischen DDR-Plattenbaus wurde eigens für das Kulturhauptstadtjahr kreiert.
Ich höre den beiden zu, wie sie über Chemnitz sprechen – mit der besonnenen Begeisterung von Menschen, die sich der Licht- und Schattenseiten des Orts, an dem sie leben, stets bewusst sind. Und bezüglich Schatten kann ich nicht umhin, den Rechtsextremismus anzusprechen, der zur Verstärkung gewisser Klischees über die Stadt beigetragen hat. „Das Wertvolle an Chemnitz 2025 ist neben den kulturellen Projekten auch die positive Stimmung, die vermittelt wird“, schließt Kummer. „Und auch das ist ein Weg, um dem Rechtspopulismus entgegenzuwirken, der seinerseits zweifellos keine gute Laune verbreitet.“
[Fortsetzung folgt …]
Eine Zusammenarbeit mit CHEMNITZ. ZWICKAU. REGION.
Die Kulturhauptstadt Europas Chemnitz 2025 ist das Herz der Region Chemnitz Zwickau. Ein reiches gemeinsames Kultur- und Industrieerbe verbindet Menschen und Orte. Das Kulturhauptstadtjahr ist eine Einladung zu einer vielfältigen Entdeckungsreise in den Osten Deutschlands: „C the Unseen“.
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