ZDF-Serie „Uncivilized“
Leben mit Alltagsrassismus
Die Serie „Uncivilized“ zeigt, wie Alltagsrassismus den Alltag betroffener Communitys prägt – und verbindet dabei große Ereignisse wie 9/11 und den Ukraine-Krieg mit dem Leben postmigrantischer Menschen.
Von Bianca Jasmina Rauch
Fünf folgenschwere Ereignisse – von 9/11 bis zum Ukraine-Krieg – bilden die Ausgangspunkte der Episoden von Uncivilized. Die von Bilal Bahadır konzipierte Serie orientiert sich an Zäsuren, die nicht nur die Politik nachhaltig geprägt haben, sondern auch das gesellschaftliche Miteinander. Und dass sich ein zunehmend rassistisches Klima auf den Alltag vieler Menschen auswirkt, lässt sich in Uncivilized anhand von Einzelschicksalen beispielhaft erfahren. Ausgezeichnet wurde die Produktion mit dem renommierten Grimme-Preis.
Headautor Bahadır stützte sich für sein Drehbuch auf autobiografische Erlebnisse und Interviews mit über 150 Betroffenen von rassistischer Gewalt. Die einzelnen Episoden, die jeweils nur wenige Stunden im Leben der Figuren umfassen, erzählen von diesen Erfahrungen auf einfühlsame Weise und eröffnen den Blick auf ein breites gesellschaftliches Spektrum.
Anschlag in Hanau
In der ersten Folge tauchen wir mit einer Gruppe junger Männer in die Kölner Nacht ein. Kurz nach dem rassistisch motivierten Anschlag in Hanau möchten Can und seine Freunde feiern gehen. Doch sie werden von Clubs, Shisha-Bars und Kneipen abgewiesen, erfahren feindliche Reaktionen und werden schließlich selbst unangenehm laut – die Situation droht zu eskalieren. Die Stadt wird für die migrantisch gelesene Gruppe zu einem Ort der Ablehnung und Anspannung.Stuttgarter Krawallnacht
Ähnlich bedrückend verläuft die Folge „Stuttgarter Krawallnacht“: Ein unglücklicher Zufall bringt Leyla und ihren Bruder ins Visier einer Polizeistreife. Die Beamten lassen nicht von ihnen ab, obwohl sie dringend zu einem Bewerbungsgespräch muss. Leyla wird schikaniert und ihre Wut wächst, zum wiederholten Male racial profiling zu erfahren.Charlie Hebdo
Wütend wird auch Kunststudent Kenan in „Charlie Hebdo“ auf einer Vernissage seiner Akademie. Das Navigieren zwischen den Meinungen und Ansichten seiner islamkritischen Unibubble und denen seiner beiden muslimischen Freunde setzt Kenan unter Druck. Erstere initiieren eine „Je suis Charlie“-Protestaktion, letztere beäugen die Karikatur des Propheten und die Geschichte westlicher Kriegspolitik kritisch. Als schließlich ein Besucher Kenan beiseitedrängt und behauptet, dass er hier, an der Kunsthochschule fehl am Platz sei, platzt ihm der Kragen. Der Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo im Jahr 2015, der im Hintergrund dieser Episode steht, markierte wie die anderen Ereignisse in Uncivilized eine tiefgreifende gesellschaftliche Spaltung.Ukraine-Krieg
In „Ukraine“ wird diese Spaltung rund sieben Jahre später erneut sichtbar. Karla möchte Geflüchtete aus der Ukraine aufnehmen und erwartet eine Frau mit Kind. Stattdessen wird ihr ein junger Syrer zugeteilt. Sie versucht sich herauszureden und einen Rückzieher zu machen, doch ihre Doppelstandards kann sie nicht mehr verbergen. Hier zeigt sich das Othering, das auch der Serie ihren Titel verleiht: Der Hashtag #uncivilized ging nach dem 24. Februar 2022 viral, als Journalist:innen von der Ukraine als „zivilisiertes“ Land sprachen – und auf diese Weise implizit von vermeintlich „unzivilisierten“ Ländern in Kriegsregionen abgrenzten. Damit verbunden war eine unterschiedliche Gewichtung von Mitgefühl gegenüber Geflüchteten und ein Gefühl der Überlegenheit westlicher, von weißer Vormacht geprägter Länder.Nine Eleven
Ein Sprung ins Jahr 2001: Ständiges Othering erfährt auch Lehrerin Sahra aufgrund ihres Kopftuches. Als es darum geht, mit Schüler*innen über die Anschläge vom 11. September zu sprechen, nehmen ihre Kolleginnen an, dass Sahra als Muslimin eine Schweigeminute nicht ernst nehmen würde. Es sind genau jene voreiligen Erwartungshaltungen und Schlussfolgerungen, die dem Alltagsrassismus seine Grundlage bieten und sich in der Gesellschaft wie ein Lauffeuer auszuweiten drohen. Die Serie setzt genau dort an, wo es weh tut, und macht sichtbar, wie weltpolitische Ereignisse und Krisen unser tägliches Miteinander beeinflussen.Ihre Story, meine Realität
Uncivilized wühlt auf – und das zurecht! Gleichzeitig bieten die Geschichten Hoffnung auf Begegnungen auf Augenhöhe. Im besten Falle schärfen sie die Wahrnehmung im Alltag oder spenden Trost für eigene Erfahrungen. Die letzte, dokumentarische Episode „Ihre Story, meine Realität“ ermöglicht es dem Publikum durch Interviews, an den Schilderungen persönlicher Erlebnisse teilzuhaben und somit noch einmal die Brücke zwischen Realität, medialer Berichterstattung und Fiktion zu schlagen. Ob im echten Leben oder auf unseren Bildschirmen, so viel müsste am Ende jedenfalls klar sein: Unzivilisiert sind diejenigen, die Menschen mit Vorurteilen begegnen.6 Episoden, 15-30 Minuten
Regie: Bilal Bahadır
Drehbuch: Bilal Bahadır, Dolunay Gördüm, Judith Angerbauer & Alina Graff
Besetzung: Mücahit Altun, Franziska Machens, Sahin Eryilmaz, Rasmi Nasrallah, Seyneb Saleh, Sabine Urban, Aram Arami, Fatih Hatipoğlu, Yasemin Çetinkaya, Zejhun Demirov
Produktion: Cocktailfilms GmbH und Kollektiv Zwo GmbH in Koproduktion mit ZDF/Das Kleine Fernsehspiel
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