Der Himmel über Berlin
Foto: © Wim Wenders Stiftung
Unberührbar und zunächst auch nur selten gerührt beobachten die Engel von oben herab das Leben zu ihren Füßen in der geteilten Stadt Berlin. Wirklich eingreifen können sie nicht, wahrgenommen werden sie nur von Kindern. Aber Damiel verliebt sich in Marion, die als Artistin am Trapez der irdischen Schwerkraft mitunter enthoben zu sein scheint – und außerdem manchmal mit Engelsflügeln auftritt. Um ihr wirklich nahezukommen, auch physisch, muss der Mann seine himmlische Existenz aufgeben. Die Erfüllung der Liebe beginnt mit der Menschwerdung.
Wenders erzählt dieses Märchen für Erwachsene mit einer wunderbaren Selbstverständlichkeit und Sicherheit, als hätte diese Geschichte und die lyrischen Texte von Peter Handkes „Lied vom Kindsein“ nicht unzählige Gefahren des Abgleitens in den bloßen Gefühlskitsch geborgen. Auch Wenders’ Kameramann, der große alte Franzose Henri Alekan, hat an der Poesie der Bilder enormen Anteil – vor allem in den dominierenden Schwarzweiß-Sequenzen.
Wenders hat diesen Film chronologisch gedreht, ohne wirkliches Drehbuch; er bezeichnete seine Dreharbeiten als „Weitertasten von Szene zu Szene“. Auch dies erklärt, weshalb Der Himmel über Berlin weit eher lyrisch als narrativ strukturiert ist: die Sequenzen folgen eher einem poetischen als einem dramaturgischen Prinzip. Vor allem Gedichte von Rilke, so Wenders, haben ihn dabei beeinflusst. Die Kamera, oft im Helikopter, ist mit den rastlosen Engeln ständig in Bewegung, stets unterwegs in Berlin, manchmal scheint sie sogar durch Wände zu gehen.
Trotz aller Poesie: Der Himmel über Berlin wirft auch einen genauen Blick auf die damals noch geteilte Stadt. Wenders hätte die Mauer gerne filmisch überwunden und auch im DDR-Teil gedreht, aber ihm wurde jedwede Drehgenehmigung verweigert; so bleiben aus dem Osten nur einige wenige illegal gedrehte und in den Westen geschmuggelte Bilder. Für einige Sequenzen hat Wenders sogar rund 200 Meter der Berliner Mauer nachbauen lassen müssen. Ein Vergleich mit Wenders’ Berlin-Film In weiter Ferne, so nah! zeigt, wie rasend sich die Stadt in nur sechs Jahren verändert hat; wie schnell zum Beispiel das Brachland am Potsdamer Platz, einem wichtigen Schauplatz von Der Himmel über Berlin, verschwunden ist – und so radikal, dass der Film aus heutiger Sicht geradezu eine archäologische Fundgrube ist. Genau diese sehr konkrete, realistische Dimension – neben der poetischen – verhindert letztlich jeglichen Hauch von Kitsch.
Am Ende erkennt der aus dem Jenseits ins Diesseits gekommene Engel: „Es gibt keine größere Geschichte als die zwischen Mann und Frau. (...) Ich habe heimgefunden (...) Das Staunen über den Mann und die Frau hat mich zum Menschen gemacht. Ich weiß jetzt, was kein Engel weiß!“ In den Metaphern von Wenders bedeutet dies auch, dass Odysseus endlich die verlorene Heimat gefunden hat, in der Liebe zu einer Frau. Der wunderbare greise Schauspieler Curt Bois, der sich als „ewiger Erzähler“ wie ein personifiziertes Leitmotiv durch den Film bewegt, heißt laut Abspann „Homer“.
Der Himmel über Berlin wurde 1987 in Cannes mit dem Preis für die beste Regie ausgezeichnet. Wenige Jahre später kaufte ein US-Produzent die Rechte an dem Stoff. Das Hollywood-Remake Stadt der Engel (1998) wurde ein vergleichsweise hastiger, trivialer, und auch ein weit weniger poetischer Film.
H.G. Pflaum