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Berlinale-Blogger*innen 2021
Unterschiedliche Erfahrungen in Südkorea

„Bis ans Ende der Welt“, Section Generation, Berlinale 2021
„Bis ans Ende der Welt“ von Kwon Min-pyo, Seo Hansol, Section Generation, Berlinale 2021 | Foto (Detail): © Tiger Cinema & DGC

Lebensverändernde Erfahrungen von Protagonistinnen in den südkoreanischen Filmen aus dem Programm „Generationen“.

Von Ieva Šukytė

Das kinder- und jugendorientierte Berlinale-Programm Generation bietet stets einen Dialog zwischen dem Publikum und den Erzählungen auf der Leinwand. Jedes Jahr lädt das Festivalprogramm, das durch die Fülle an Filmen und Programmen der Berlinale von den Filmkritikern möglicherweise übersehen wird, Filmschaffende aus unterschiedlichsten Ländern der Welt für den Austausch zu aktuellen und sensiblen Themen für Jugendliche ein. Dieses Jahr wurden zwei südkoreanische Filme aufgeführt – „Fighter“ von Jéro Yun (2020) und „Bis ans Ende der Welt“ („Jong chak yeok“) von Kwon Min-pyo und Seo Hansol (2020), die von zwei unterschiedlichen, in beiden Fällen jedoch lebensverändernden Erfahrungen erzählen.

Wie ist das Ende der Welt mit der Kamera zu erfassen?

Die dreizehnjährige Si-yeon (Seol Si-yeon) kommt vor den Sommerferien in eine neue Schule. Im neuen Umfeld angekommen, meldet sie sich im Fotoclub „Shine“ an, benannt, wie es sich später herausstellt, nach dem glatzköpfigen Clubleiters. Si-yeon und die anderen drei Teilnehmerinnen Yeon-woo (Bae Yeon-woo), So-jung (Park So-jung) und Song-hee (Han Song-hee) erhalten die Aufgabe, mit analogen Kameras das Ende der Welt in den Sommerferien zu erkunden. Zunächst wollen sie sich vor der Aufgabe drücken und machen sich auf Vorschlag von Siyeon auf den Weg zu einem Tagesausflug an die Endstation der U-Bahnlinie 1 Sinchang in Seoul. Nach der Ankunft stellt es sich jedoch heraus, dass die Bahngleise durchaus weiter führen. Wie also sieht das Ende der Welt aus und existiert es überhaupt?

Die Regisseure Kwon Min-pyoo und Seo Hansol hatten für ihrem Debütfilm kein fertiges Drehbuch sondern nur einen Entwurf und ließen die Mädchen, deren Namen im Film unverändert blieben, frei miteinander sprechen und einen natürlichen Dialog führen. Damit werden künstliche und gestellte Gespräche vermieden, die von Vertretern einer anderen Generation geschrieben sind und Emotionen, Persönlichkeiten oder Beziehungen junger Menschen nicht wiedergeben können. Vor dem Hintergrund der Mobbing-Skandale in Südkorea, wo heutzutage bekannten SportlerInnen, SchauspielerInnen und SängerInnen körperliche und psychologische Gewalt gegen MitschülerInnen zu Schulzeiten vorgeworfen wird, verwundert es, dass die Filmautoren keine diesbezüglichen Konflikte zu generieren etwa indem sie den Ausschluss zum Thema machen.

Zwischen den Sommerhitze-Bildern des Kameramanns Park Jae-man sieht man Fotos von den Jugendlichen mittels analoger Einwegkameras bei ihrem Ausflug. Die manchmal zu dunklen oder unscharfen Bilder zeigen, wie die Welt der vier Protagonistinnen wahrgenommen wird. Auch wenn sie möglicherweise kein Ende der Welt erfasst haben, haben sie etwas viel Wichtigeres entdeckt, und zwar die Freundschaft.

Wie ist es, wenn die Welt gegen dich ist

Jina (Lim Seong-mi), eine junge Geflüchtete aus Nordkorea, lässt sich nach dem Aufenthalt in einer Einrichtung für soziale Eingliederung in einer kleinen Wohnung in Seoul nieder. Sie beginnt, sofort in einem kleinen Lokal zu arbeiten, um möglichst schnell Geld für den in China festsitzenden Vater aufzubringen. Dazu nimmt sie einen zweiten Job an und kommt in einen Sportstudio, wo der Box-Trainer Tae-soo (Baek Seo-bin) ihr Interesse entdeckt, als Frau zu boxen. Der junge Trainer sieht ihr Talent und bietet Jina an, ihr das Boxen beizubringen, damit sie zunächst Hobbyboxerin, später möglicherweise auch professionelle Boxerin werden kann. Sie lehnt das Angebot jedoch mehrmals ab und antwortet rau, dass sie doch nicht nach Südkorea gekommen sei, um eine „Schlägerin“ zu werden.
Fighter, Section Generation, Berlinale 2021 „Fighter“ von Jéro Yun, Section Generation, Berlinale 2021 | Foto (Detail): © Haegrimm Pictures
Die Darstellerin Lim Seong-mi spielt ihre Rolle hervorragend, indem sie mit ihrem Körper und Bewegungen das Porträt einer jungen Frau wiedergibt, die äußerlich stark, innerlich aber empfindlich ist und ihren Körper als Schutzschild benutzt. Jinas Leben ist nicht einfach: ihre Mutter ist nach Südkorea geflüchtet und ließ sie als kleines Kind mit ihrem Vater zurück, der Immobilienmakler fordert von ihr Geld für medizinische Leistungen, obwohl sie sexuellen Missbrauch ausgesetzt ist, und auf der Arbeit betrachten andere Frauen sie als Geflüchtete. Auch wenn der Regisseur die Ereignisse nicht dramatisiert, merken wir, dass auch die Flucht vor dem totalitären Regime Jina weder vor den Vorurteilen in der Gesellschaft, noch vor einer Selbstisolation, vor „inneren“ Gefängnis schützt. Wenn Tae-soo ihr Talent lobt, entgegnet sie schroff, ob er denke, dass alle Nordkoreaner für den Mord prädestinierte Soldaten seien. Der eigentlich neutrale Kommentar des jungen Mannes wird im Kopf der Frau gleich als Angriff gegen sie erlebt.

Die Themen der ersten Filmhälfte geraten später in den Hintergrund und in der übrigen halben Stunde steht das Familiendrama im Fokus, und zwar die Beziehungen zwischen Jina und der in einer zweiten Familie in Seoul lebenden Mutter, die eine natürliche Entwicklung des Lebensweges der Protagonistin durcheinander bringt. Der Streit zwischen ihr und ihrer Mutter nach einem Boxwettkampf wirkt übertrieben. Vor dem Hintergrund  kommerziell erfolgreicher Projekte, wie die Serie „Crash Landing on You“, welche das Leben nordkoreanischer Soldaten darstellt, gelingt es dem Regisseur trotzdem, ein realistisches Porträt einer Frau zu schaffen, die ihre Beziehungen zu ihrer Heimat abgebrochen hat und langsam ein neues Leben in einer noch nicht ganz bekannten Welt aufbaut.

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