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„Dann haben wir unsere Arbeit gut gemacht!“ – Andreas Dresen im Interview

Berlin 1989

Der zweite Teil des Interviews – Andreas Dresen über einen Ausflug nach Paris im Jahr 1989, seinen neuen Film Als wir träumten und Authentizität im Film.

Herr Dresen, Ihr Vater hat in den 1970er-Jahren die DDR verlassen. Ihr  Film „Stilles Land“ wirft die Frage auf: gehen oder bleiben? Sie selbst waren 1989/90 ein junger Filmstudent aus Ost-Berlin. Haben Sie je daran gedacht, die DDR zu verlassen?

Im Mai 1989 reisten wir mit 30 Studierenden nach Paris – mit Lothar Bisky, dem damaligen Leiter der Filmakademie und späterem Mitglied des Europäischen Parlaments für die Linkspartei. Das muss man sich mal vorstellen! Und ich war einer von ihnen, obwohl mein Vater nach Westdeutschland gegangen war. Bisky wollte, dass seine Studierenden etwas von der Welt sehen. Wie er das geschafft hat, ist mir ein Rätsel. Und Paris im Mai war schon eine verlockende Sache – ich habe damals ernsthaft daran gedacht, dort zu bleiben.

Zurück nach Ostberlin

Und dann kamen wir zurück nach Berlin und standen am Hot-Dog-Stand am Tränenpalast (so nannte man in Berlin den Grenzübergang Friedrichstraße, wo Ostdeutsche sich unter Tränen von ihrem Besuch aus Westdeutschland verabschiedeten) – nicht gerade ein erhebender Moment. Ich weiß noch, wie ich damals dachte: Jetzt habe ich einen entscheidenden Fehler gemacht. Es wäre einfacher gewesen, im Westen zu bleiben, aber keiner von uns Studenten hat das gemacht. Das sagt ja schon einiges.

Ich glaube, dass man letztendlich nicht vor sich selbst und der Welt wegrennen, aber sehr wohl sein eigenes Umfeld verändern kann. Wenn ich gehe, habe ich vielleicht nicht mehr die Probleme, die ich vorher hatte, aber es kommen neue dazu. Und was dann? Gehe ich dann schon wieder woanders hin? Darum geht es auch am Ende von meinem Film Stilles Land: Der Protagonist will eigentlich weg, dreht sich aber doch um und geht zurück in sein trostloses Dorf. Er denkt sich: Wenn ich es hier an diesem Theater nicht schaffe, werde ich es woanders auch nicht schaffen.

Natürlich muss jeder die für sich richtige Entscheidung treffen. Damals hatte ich das Gefühl, dass mir die Ausreise nicht gut tun würde. Einige sind aus gutem Grund gegangen, sie hatten in der DDR so viele Probleme, dass es für sie einfach keinen Sinn mehr machte, dort zu bleiben.

Im Wertevakuum

Inwieweit ist Ihr neuer Film „Als wir träumten“ mit „Stilles Land“ vergleichbar? Es geht ja auch um die DDR, und die Chronologie der Ereignisse ist ähnlich.

Die Haupthandlung des Films ist in der Tat direkt nach Stilles Land angesetzt. Man könnte Stilles Land quasi in den Film einfügen, zwischen die Kindheits- und Teenagerjahre. Es geht um eine Zeit, mit der man sich bislang noch nicht viel auseinandergesetzt hat. Um die Generation der Jugendlichen, die in dieser Zeit nach der Wende, also Anfang bis Mitte der 1990er-Jahre 13, 14 Jahre alt waren. Diese Jugendlichen haben sich damals in einem politischen Vakuum befunden. Die alten Werte galten nicht mehr, und neue gab es noch nicht, so dass sie sich fragen mussten: Wer oder was gibt mir in diesen Zeiten totaler Anarchie und inmitten eines unglaublichen Wandels überhaupt Orientierung?

Es geht in dem Film nicht um Ideologien, sondern um eine Gruppe von Menschen, die ihr Land als Königreich ihres eigenen Friedens sehen, dann aber merken, dass die neuen wirtschaftlichen Gegebenheiten ihre Freundschaft auf die Probe stellen. Am Ende erreichen sie dennoch ihre Ziele. Man könnte am Schluss Brecht zitieren, der in Im Dickicht der Städte sagt: „Das Chaos ist aufgebraucht. Aber es war die beste Zeit.“

Sie sagen, dass dieser Film eine Neuauflage Ihrer Überlegungen zur DDR und ihren Folgen ist, keine Schlussbetrachtung. Werden Sie nach vielen anderen Filmen, die nicht von der Teilung Deutschlands handelten, noch einmal  zu diesem Thema zurückkehren?

Ich werde das Thema sicherlich noch ein oder zwei Mal angehen. Ich arbeite gerade noch an einem Projekt, das sich auch mit der DDR befasst, genauer gesagt mit dem Leben des Singer-Songwriters, Rockpoeten und Baggerfahrers Gerhard Gundermann, einer sehr interessanten, aber auch umstrittenen DDR-Persönlichkeit. Das Drehbuch dazu wird Laila Stieler schreiben.

Keine Authentizität im Film

Der Schauspieler Joel Basman hat über Sie gesagt: „Andreas Dresen will authentisch sein. Er ist ein großer Realist. Er sorgt dafür, dass man bodenständig bleibt und zeigt, dass weniger auch mehr sein kann.“ Was sagen Sie dazu?

So etwas zu hören, freut mich natürlich. Ich versuche immer, mit Schauspielern so normal wie es geht umzugehen und einen Ton zu finden, der sich einfach echt anhört, wie im wirklichen Leben. Alles, was ein Schauspieler sagt, sollte immer so klingen, als hätte er es sich in dem Moment gerade ausgedacht, auch wenn es sich um einen ausgefeilten Text von Wolfgang Kohlhaase (Dresens Drehbuchautor) handelt – wie in Als wir träumten.

Mit dem Begriff „Authentizität“ habe ich allerdings so meine Probleme. Es gibt im Film keine Authentizität. Wer Authentizität will, der soll aus dem Fenster gucken. Filme sind immer die subjektive Wahrheit jener Leute, die ihn gemacht haben. Auf der Leinwand sieht man nie das wahre Leben, sondern nur eine Spiegelung desselben. Und wenn das sich dann anfühlt wie das echte Leben von nebenan, ist es doch toll. Dann haben wir unsere Arbeit gut gemacht!