„Parasiten“ von Marius von Mayenburg

Parasiten
© Foto: Dmitrijus Matvejevas

Der alte Multscher ist am Steuer seines Wagens eingeschlafen und hat Ringo überfahren. Seitdem sitzt Ringo im Rollstuhl, verlässt seine Wohnung nicht mehr und ist auf die Fürsorge seiner Freundin Betsi angewiesen. Es gefällt ihm nicht, dass Betsi vorübergehend auch ihre Schwester Friderike aufnimmt, die ohnmächtig am Rande einer Autobahn gefunden wurde. Friderike ist schwanger und droht mit Selbstmord. Petrik, ihr Mann, hat sich zuvor wenig um sie gekümmert, jetzt kommt er jedoch mit zweifelhaften Versöhnungsangeboten in Betsis Hochhauswohnung. Dort hat sich auch Multscher eingefunden, der es nicht verkraftet, mit seiner Schuld zu leben. An einem heißen Sommertag verstricken sich alle fünf in einen verbissenen Kampf um- und gegeneinander. Ansprüche auf Rettung werden erhoben, Fürsorge verkrampft sich zu Umklammerung. Friderike schluckt Tabletten und überlebt. Der gelähmte Ringo versucht zu entkommen. Sie alle machen sich kaputt und brauchen sich zum Weiterleben.

Stimmen zur Inszenierung in Litauen

Tatsächlich kommt in „Parasiten“ das Skalpell nur minimal zum Einsatz. Es ist bereits genug Blut geflossen. Die Zeit für die Konfrontation des Patienten mit dem Schmerz ist gekommen. Wer sich bisher obsessiv mit der perfekten chirurgischen Technik Koršunovas' synchron geschaltet hat, wird wahrscheinlich enttäuscht werden. Hier fehlt die Schärfe des Effekts oder der Form, jeder Kick ist verschwunden. Stattdessen ahnt man, was die ganze Zeit in der Ferne zu flimmern schien, als fühlbares, aber nicht real verfügbares Ziel, das man nicht erobern, besitzen oder erwerben kann. Man spürt den verkümmerten, säuerlichen, nostalgischen und schmerzhaften Atem des im Rollstuhl sitzenden Invaliden. Dazu die Schwingungen der Realität, die versuchen, ihn zu durchdringen. Die Körperliche Deformation ist hier der einzige Spezialeffekt. Ein Behinderter und eine schwangere Frau ergänzen ganz wunderbar die Vielfalt dieser körperlichen Deformationen. Eine lebende Schlange kommt auch vor, deren Anwesenheit die Zuschauer in einer unangenehmen Spannung hält. Ein bisschen echte, nicht gespielte Angst (was passiert, wenn sie entkommt und zubeißt?). Hier sind alle präpariert und behindert.
(Kristupas Sabolius „Chirurgie und Stachel“, Šiaurės Atėnai, 27.10.2001)

Die „Parasiten“ (nach Marius von Mayenburg) von Oskaras Koršunovas haben sich scheinbar nicht allzuweit von der Ästhetik seiner früheren Inszenierungen entfernt (zumindest nicht visuell und räumlich). Doch im Entwurf der Aufführung wurde auch eine etwas andere Tendenz sichtbar: Sowohl bei „Shopping and Fucking“ (Mark Ravenhill) als auch bei „Feuergesicht“ (Marius von Mayenburg) verzichtete die Inszenierung auf jegliche Wertung und versuchte mit der Leidenschaftslosigkeit eines Medienberichts einen Sachverhalt darzustellen, um mit diesem Sachverhalt die Loslösung des Theaters von der Realität zu verneinen. In den „Parasiten“ findet man meiner Meinung nach bedeutend mehr Subjektivität und eine besondere Art von Wärme. Die inneren und äußeren Höllen werden so kreiert, dass das Stück zwar keine soziologische Studie über das Phänomen des allgemeinen Parasitierens ergibt, aber doch von wirklich existentieller Tragik erfüllt ist (wenn auch die letzte These banal klingt, und die erste in dieser Saison immer noch Mode ist). Wer weiß, worin der größere Wert liegt, und was in der endgültigen Fassung erhalten bleibt...
(Vlada Kalpokaitė „Beschwörungen des neuen Dramas“, Kultūros barai, 07.2001)

Inszenierung in Litauen

Premiere 27.04.2000
Regie Oskaras Koršunovas
Bühne Jūratė Paulėkaitė
Musik Gintaras Sodeika
Mit Rasa Samuolytė, Airida Gintautaitė, Laimonas Noreika, Rytis Saladžius, Darius Gumauskas, Dainius Gavenonis
Übersetzung Ervinas Koršunovas