Projekte und Perspektiven der Inselkolonie
„Wir sind wie eine kleine NGO“

Am 19. März 2013 feiert die Kunstkolonie Nidden der Kunstakademie Vilnius ihren zweiten Geburtstag. Die Abgeschiedenheit und die spezifischen Landschaften der Kurischen Nehrung zogen bereits während des 19. und 20. Jahrhunderts zahlreiche Künstler und Intellektuelle auf der Suche nach Ruhe und Inspiration an. Die Kunstakademie Vilnius initiierte mit der Eröffnung der „Nida Art Colony“ die Wiederbelebung dieser Tradition, um Kunststudenten, professionell arbeitende Künstler und Kunstinteressierte – sowohl aus Litauen als auch aus anderen Ländern – auch heute noch an jenen besonderen Ort zusammen zu bringen und sie dort zum Denken und Schaffen anzuregen. Die heutige Geschäftsführerin Rasa Antanavičiūtė berichtet im Interview vom Heranwachsen der Kolonie.
Was war die Initialzündung für die Kunstkolonie Nidden, wie sie heute besteht?
Der ehemalige Direktor der Kunstakademie, Professor Arvydas Šaltenis, selbst der Malerei verschrieben, hatte die Idee, dass die Akademie eine Basis in Nidden haben sollte. Diese Idee entstand natürlich auch aufgrund von Niddens Geschichte als Schaffensort für namhafte Künstler. Die konkrete Ortswahl fiel schließlich auf ein altes Lagergebäude, das die Akademie dann 1998 kaufte.
Aber die Anlage sieht sehr neu aus.
Also bestand die ursprüngliche Idee vor allem darin, einen Ort des Lernens, Experimentierens und Schaffens für die Studierenden der Kunstakademie in Vilnius zu schaffen. Dies hat sich dann erst später ausgeweitet, weil der Wunsch nach internationaler Aufmerksamkeit und Austausch aufkam.
Ja genau, es gab vorher schon eine Kollaboration vom Institut für Fotografie und Medien mit einer Deutschen Einrichtung, der Kunsthochschule für Medien in Köln. Diese Hochschule beteiligte sich 2008 als erster internationaler Partner.
Was machte Nidden damals zum idealen Ort für euer Vorhaben?
Sind die Programme der Kunstkolonie inhaltlich vor allem auf die praktische künstlerische Arbeit fokussiert oder spielt die Theorie auch eine Rolle?
Kommt auf das Projekt an. Im Falle der Residenzprogramme: Letztes Jahr wurde eine Kuratoren-Residenz ins Leben gerufen, die verhältnismäßig theoretisch angelegt ist. Die Ausschreibung steht unter einem Thema, das bedeutet, dass sich die Künstler für dieses Thema bewerben und sich darin einarbeiten möchten. Sie werden von den Kuratoren begleitet, die Diskussionen anleiten, und den Abschluss bildet eine Ausstellung.
Also geschieht die Forschung auch hier auf künstlerische Art und Weise.
Ja sicher, es soll Kunst entstehen. Es handelt sich um künstlerische Forschung. Natürlich sind wir auch offen für rein wissenschaftliche Forschung, aber das passiert normalerweise nicht in einem der Residenzprogramme. Manchmal reisen Kuratoren an, um beispielsweise ein Buch vorzustellen, oder Studierende der Kunstgeschichte nutzen den Ort und die Räumlichkeiten, um mit ihren Abschlussarbeiten voran zu kommen, um Abstand von der alltäglichen Routine zu gewinnen und sich fokussieren zu können. Grundsätzlich haben wir uns für die Erforschung der Prozesse künstlerischer Produktion und deren Entwicklung von Bildender Kunst sowie für künstlerische Forschung aufgestellt. Ich würde mir wünschen, dass es bald eine jährliche Veranstaltung gäbe, die der rein wissenschaftlichen Forschung zu Fragen der Kunst und Kultur gewidmet ist. Für uns ist es allerdings schwer, so viele Dinge selbst zu organisieren. Wir freuen uns immer über Leute, die Ideen haben, die etwas aufbauen möchten, und sind gerne dabei behilflich, diese Visionen umzusetzen.
Verfolgt ihr außerdem die Umsetzung von Projekten, die sich der kulturellen Bildung widmen, die also für Menschen konzipiert sind, die bis dahin nicht mit der Produktion von oder der Forschung über Kunst und Kultur in Kontakt waren?
Und wie sprecht ihr das Publikum außerhalb von Nidden an?
Es gibt eine Kunstschule, die wir letzten Sommer bereits durchgeführt haben und auch diesen Sommer gerne wiederholen möchten. Hier bieten wir Kurse in Fotografie und Drucktechnik an, für die man sich anmelden kann. Es muss eine Gebühr für das Honorar der Lehrenden gezahlt werden, und wir laden professionelle Künstler und Dozenten der Kunstakademie in Vilnius ein, in Nidden zu unterrichten. Normalerweise ist man als Teilnehmer zwischen drei und vier Tage lang anwesend und reist mit eigenen künstlerischen Produkten in den Händen wieder ab.
Was sind deine Aufgaben als Geschäftsführerin?
Das ist eine schwierige Frage. Wir sind ein sehr kleines Team, bestehend aus Geschäftsführung, künstlerischer Leitung und dem Projektkoordinator, der in Nidden lebt, während Vytautas Michelkevičius, der künstlerische Leiter, und ich hin und her pendeln. Grundsätzlich teilen wir uns also die Verantwortlichkeiten, abhängig davon, wer gerade wo ist. Wer in Nidden ist, macht mehr oder weniger alles. Das beginnt damit, die Leute mit Handtüchern und Schlüssel zu versorgen. Wenn ich aber in Vilnius bin, stehe ich mehr mit der Akademie in Kontakt, treffe Menschen, erstelle Jahresbilanzen, schreibe Anträge und so weiter. Vytautas ist in der Regel mehr in der Kolonie, steht also mehr in Kontakt mit den Besuchern und Künstlern. Aber es gibt auch einige Projekte, die wir jeweils eigenständig durchführen. Ein sogenanntes Erasmus-Intensiv-Programm ist zum Beispiel mein Projekt, und Vytautas hat auch so seine Projekte. Insgesamt ist Vytautas eher für das künstlerische Programm zuständig, wie die Bezeichnung schon sagt, und ich bin für alles zuständig: für das Programm als auch für den finanziellen Teil, für Personal, Gehälter und all diese Dinge.
Finanziert ihr euch unter anderem über die Akademie?
Die Akademie möchte, dass die Kunstkolonie nachhaltig arbeitet und unabhängig ist, was uns zu einer kleinen NGO macht – zumindest in der Theorie. Wir müssen die Gelder, um das Gebäude instand zu halten, und um alle weiteren anfallenden Kosten auszugleichen, beispielsweise auch unsere eigenen Gehälter, selbst aufbringen. Das war bisher nicht möglich. Also hat die Akademie Teilbeträge zugesteuert, um die Kolonie am Leben zu erhalten. Letztes Jahr war es ein Drittel des benötigten Budgets, dieses Jahr ist es schon viel weniger, etwa ein Fünftel. Wir machen also Fortschritte und können hoffentlich schon bald ohne die Hilfe der Akademie überleben. Das ist das Ziel – finanziell unabhängig zu sein.
Rasa Antanavičiūtė, Mitinitiatorin und derzeitige Geschäftsführerin der Kunstkolonie Nidden; Doktorandin der Kunstgeschichte; forscht vor allem zum Themengebiet der Kunst im öffentlichen Raum zu nicht-künstlerischen Zwecken, dazu gehören Diskurs über Macht, (Re-)Konstruktion der Erinnerung und Darstellungsbildung etc; Zuvor arbeitete sie im International Office, dann im Projektmanagement-Büro der Kunstakademie Vilnius.