„Das Kalte Kind“ von Marius von Mayenburg

Das Kalte Kind
© Foto: Dmitrijus Matvejevas

„Nina heißt das kalte Kind des Paars Silke und Werner, die für alle Sex- und Herzensangelegenheiten ihrer Freunde Interesse bekunden, ohne selber irgendein teilnehmendes Gefühl äußern zu können. Die beiden sind der Inbegriff von anständigen Leuten, weil ihre unzertrennliche Partnerschaft auf gegenseitigem Hass gegründet ist. Ihr Kind friert im Wagen, es ist eine durch Kälte erstarrte Totgeburt oder auch nur eine Puppe, der man Arme und Beine brechen und die man wegwerfen kann.
Für beider Freund Johann sind alle Frauen Kotzfrauen, die ihn immer nur an wen erinnern, an Melanie vor allem, die ihn abblitzen ließ; jetzt aber hält er sich dank seiner Freunde an Lena fest, einer studierten Ägyptologin mit Vergewaltigungsphantasien. Da ihm zuweilen der Faden reißt, entschließt sich Johann, zum unerbittlichen Retter und Ehemann Lenas zu werden. Zur Freude von Vati und Mutti, die Lena hasst, wird Hochzeit gefeiert, und ihre kleine Schwester Tine angelt sich in ihrer Not, nun allein der elterlichen Manie, nichts zu verpassen, ausgeliefert zu sein, den Exhibitionisten Henning. … Mayenburgs drei Paare - Silke und Werner, Johann und Lena, Tine und Henning sowie Vati und Mutti - bilden eine libertine Familienbande, die sich in einer ersten Runde in einer Art Szeneclub tummelt, dem Café Polygam, dann schaukelt sich dieser Bund der Acht in die passenden perversen Begleitumstände der Hochzeit von Johann und Lena hoch, um sich schließlich bei der Urnenbeisetzung von Vati, der sich von seiner Reise nach Singapur den ultimativen Kick erhoffte, aber dort nur den Herztod erlitt, zu einem Fest der langen Messer aufzuheizen.“
(Klaus Völker, Programmheft der Mülheimer Theatertage 2003)

Stimmen zur Inszenierung in Litauen

Die gesamte Phantasmagorie findet in einer schmerzhaft sterilen und weißen Umgebung statt. Das Bühnenbild, geschaffen vom Regisseur Oskaras Koršunovas selbst, zeigt die Toilette eines Cafés. Weiße Fliesen, Plastiktüten mit allen notwendigen Requisiten: Gläser, ein Kinderwagen, ein Riesenmesser... Der Regisseur beruft sich auf die immer steriler und fremder werdende Gesellschaft, wo sich unter der Maske der Normalität Perverse verbergen, die ihr eigenes Leben bereits ruiniert haben und nun darangehen, das Schicksal anderer zu zerstören.
(Rima Čeliauskaitė „Das kalte Kind lässt das Publikum frieren“, Vakarų ekspresas, 08.03.2004)

Keine der Inszenierungen von Oskaras Koršunovas war bisher so physiologisch, so „fleischlich“: man spricht über Fleisch, ein gebratenes Schwein wird zerlegt, und man kann das Fleisch riechen. Ein blutiges Messer und ein blutiger Penis in Plastikbeuteln. Man riecht Blut. Ehre, Blut und Erbrochenes werden in die Toiletten gespült. Trotzdem wirkt es nicht beklemmend. Überall ist wie bei einem Campari ein Mix aus starker Regie, ausgereifter Schauspielerei und gut erfasstem Text spürbar, der die Tragödie bis zum Alltag erhebt. „Über dem Becken weht ein kühler Wind“, sagt Lena. Vielleicht ist es meine Vision, aber ich rieche ihn auch.
(Vaidas Jauniškis „Tragödien des Alltags mit Campari", Verslo žinios, 12.03.2004)

Inszenierung in Litauen

Premiere 05.03.2004
Regie Oskaras Koršunovas
Bühne Oskaras Koršunovas
Musik Gintaras Sodeika
Mit Vytautas Anužis, Eglė Barauskaitė, Eglė Jackaitė, Valentina Leonavičiūtė, Darius Meškauskas, Vytautas Paukštė, Igoris Reklaitis, Nelė Savičenko, Regina Šaltenytė, Kazimieras Žvinklys
Übersetzung Jūratė Pieslytė

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