Postsozialistische Gedenkmuseen
Vor einer scheinbar paradoxen Aufgabe

Jasenovac-Gedenkmuseum in Kroatien.
Jasenovac-Gedenkmuseum in Kroatien. | Foto (Ausschnitt): Pino, flickr.com, CC BY-SA 2.0

Mit den Ereignissen von 1989 wurden in den postsozialistischen Ländern Ostmittel- und Südosteuropas eine Reihe von Gedenkmuseen errichtet und wiedereröffnet, Ausstellungen neu konzipiert und die Erinnerungspraxis verändert. Mit den neuen Mitgliedsstaaten der EU rückte neben die Holocaust-Erinnerung auch die Erfahrung kommunistischer Diktatur in das Gedächtnis Europas. Ljiljana Radonić untersucht am Beispiel von zehn staatlich finanzierten post-sozialistischen Museen, wie der Zweite Weltkrieg repräsentiert wird.
 

Wie sieht der Umgang mit der Rolle der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg in den von Ihnen untersuchten postsozialistischen Ländern aus?

Allen post-sozialistischen Ländern ist die Delegitimierung des sozialistischen Vergangenheitsnarrativs und die Suche nach einer ‚goldenen‘ vorsozialistischen Ära nationaler Unabhängigkeit gemein. Aber auf welche Periode sich dann die neue nationale Identität positiv beruft, hängt von der Geschichte des jeweiligen Landes ab. Während sich dafür in Tschechien etwa die Demokratie der Zwischenkriegszeit anbietet, wurde in Kroatien vor allem in den 1990ern die NDH, der „Unabhängige Staat Kroatien“, als Meilenstein auf dem Weg zur kroatischen Unabhängigkeit verstanden.

Welche Aufgabe kommt dabei den Gedenkstätten und zeithistorischen Museen zu?

Gedenkmuseen haben eine scheinbar paradoxe Aufgabe zu erfüllen: Sie sollen einerseits objektiv historische Fakten präsentieren und andererseits Raum für ein notwendig subjektives Erinnern und Gedenken bieten. Doch wenn man bedenkt, dass der Umgang mit der Vergangenheit niemals ‚authentisch‘, sondern immer nur vor dem Hintergrund der Bedürfnisse der Gegenwart geschieht, dann kann man Gedenkmuseen als Ausdruck des in der jeweiligen Gesellschaft gerade dominanten Geschichtsnarrativs verstehen. In manchen, vor allem den baltischen, Ländern liegt der Fokus dabei auf der Klarstellung, dass der Kommunismus im Vergleich zum Nationalsozialismus das größere Übel gewesen sei. In anderen wird mehr Wert darauf gelegt, die Geschichte des Zweiten Weltkrieges so zu erzählen, wie es im Sozialismus nicht möglich war, also etwa die Rolle des nicht-kommunistischen, bürgerlichen Widerstandes beim Slowakischen Nationalaufstand 1944 und den Holocaust zu thematisieren – was beides nur kurz 1968 möglich schien und danach wieder tabuisiert war.

Sie legen mit ihrer Studie eine erste Typologie von Museen des Zweiten Weltkrieges in postsozialistischen EU-Mitgliedsstaaten vor. Inwieweit beziehen sich die Museen auf „Europäische Standards“?

Im Zuge der EU-Osterweiterung hat sich gezeigt, dass die Beitrittskandidaten von sich aus oder auf informelle Aufforderung hin Aktivitäten entwickelt haben, die ihre Zugehörigkeit zu so etwas wie ‚europäischen Werten‘ unter Beweis stellen sollten. Dazu gehört seit den 1990ern in zunehmendem Maße eine selbstkritische Aufarbeitung des Holocaust. Also wurde in Budapest wenige Wochen vor dem EU-Beitritt das Holocaust Memorial Center eröffnet, obwohl die ständige Ausstellung erst zwei Jahre später fertiggestellt werden konnte. Das Holocaust Memorial Center und das Jasenovac-Gedenkmuseum sehen sich nun auffällig ähnlich: dunkle Räume, Besitztümer von Opfern hinter Schauglas, Namen der Opfer oder weiße Linien als Leitelement der Ausstellung usw. Das ist ein eindeutiger Hinweis darauf, dass sich beide Museen an ‚westlichen‘ Vorbildern, vor allem dem US Holocaust Memorial Museum in Washington, orientieren. Und lange Jahre war die Startseite der ungarischen Museums-Webseite auf Englisch, was auf einen anderen Adressaten als die einheimischen Museumsbesucher-Innen hindeutet. Doch der Inhalt der 2006 eröffneten Ausstellung beweist eindeutig, dass trotz aller ambivalenten Bewertung dieser ‚europäischen Standards‘ das Ergebnis auch eine überzeugende Ausstellung sein kann, die sich schonungslos mit der Verantwortung weiter Teile der ungarischen Gesellschaft für den Holocaust auseinandersetzt – und dieses Wissen auch SchülerInnengruppen und anderen vermitteln kann, obwohl in Ungarn heute eine Verharmlosung des Horthy-Regimes (1920-1944) immer weiter um sich greift.

Wie schätzen Sie die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte am Beispiel der Gedenkmuseen in Budapest und dem Jasenovac-Gedenkmuseum in Kroatien ein?

Budapest ist insofern eine Ausnahme in meinem Projekt, als Ungarn damit das einzige Land ist, das in seiner Hauptstadt zwei völlig gegensätzliche Gedenkmuseen unterhält – und beide auf staatlichen Auftrag hin und auf Staatskosten errichtet. Das „Haus des Terrors“ wurde 2002 im Wahlkampf von dem heutigen ungarischen Premier, Viktor Orbán, als Wahlgeschenk eröffnet und erzählt die heute in Ungarn dominante Geschichtsversion: Der Kommunismus war das ‚größere‘ Übel und die Deportation der ungarischen Jüdinnen und Juden kann nicht Horthy, sondern nur der ‚deutschen Besatzung‘ und den faschistischen Pfeilkreuzlern angelastet werden. Im Holocaust Memorial Center wird hingegen unmissverständlich klargestellt, dass das Horthy-Regime antisemitisch war, dass ‚Judengesetze‘ und militärischer Zwangsarbeitsdienst für jüdische Männer lange vor der Besatzung 1944 zum Alltag gehörten.

Das Holocaust Memorial Center in Budapest und das Jasenovac-Gedenkmuseum sehen nicht nur ähnlich aus (obwohl Jasenovac keinesfalls ausschließlich ein Holocaust-Gedenkmuseum ist, da die meisten Opfer SerbInnen waren), sondern beide stellen in ihren Ausstellungen das individuelle Opfer und seine Geschichte, auch vor der Verfolgung, in den Vordergrund. Das ermöglicht Empathie mit dem Opfer statt der früher üblichen „Leichenbergepädagogik“, wie die Direktorin der Gedenkstätte Jasenovac oft zu Recht ausgeführt hat. Doch der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Museen ist, dass in Budapest die Täter mindestens ebenso ausführlich behandelt werden, bis hin zu Fotos, die die ungarische Bevölkerung beim Plündern von Ghettos zeigen. In Jasenovac läuft man hingegen Gefahr, sich mit den Opfern zu identifizieren, ohne sich darüber klar zu werden, wer aus welchen Gründen von wem ermordet wurde, und damit der schwierigen Auseinandersetzung mit den vom eigenen Kollektiv begangenen Verbrechen zu entgehen. Hingegen thematisiert das Jasenovac-Gedenkmuseum die Manipulation der Opferzahlen zu jugoslawischen Zeiten, aber auch unter Präsident Franjo Tuđman in den 1990ern, während die Budapester Ausstellung 1945 aufhört und somit etwa die pogromartigen Ausschreitungen im folgenden Jahr unerwähnt lässt.

Aus der Perspektive der Gedenkstättenpädagogik, welche Ansätze sehen Sie hier, die ein selbstkritisches Erinnern unterstützen könnten?

Ich bin keine Pädagogin, aber ich werde immer vorsichtig, wenn ich merke, dass der Massenmord im Zweiten Weltkrieg als eine Lehre für heutigen Umgang mit Menschenrechten herangezogen wird – als ob er dadurch irgendwie doch ‚Sinn‘ hatte. Wenn man im nächsten Schritt heute alle möglichen Opfergruppen auch nur implizit als Juden von heute begreift oder – wie dies der ehemalige kroatische Premier Ivo Sanader getan hat – ‚die Serben‘ als die neuen Nazis und Faschisten im Jugoslawienkrieg dämonisiert, setzt man sich nicht kritisch mit der Vergangenheit auseinander. Diese weit verbreitete Selbst-Stilisierung als Opfer könnte man thematisieren. Man braucht andererseits auch keine Fotos von anonymen Leichenbergen, um sich mit den vom eigenen Kollektiv begangenen Verbrechen auseinanderzusetzen. Der Weg von den individuellen Opfergeschichten zu der Frage, was die TäterInnen zu ihren Verbrechen motiviert hat, scheint mir ein gangbarer Weg zu sein. Selbstreflexion und Empathie machen mündige Individuen aus, aber der Besuch einer Gedenkstätte alleine kann das nicht leisten.

Ljiljana Radonić, Jahrgang 1981, studierte Politikwissenschaft, Philosophie und Übersetzen. Ihre Dissertation zu vergangenheitspolitischen Diskursen in Kroatien zwischen historischem Revisionismus und europäischen Standards wurde 2012 mit dem Michael Mitterauer-Preis für Gesellschafts-, Kultur- und Wirtschaftsgeschichte in Wien ausgezeichnet. Seit 2004 ist sie Lehrbeauftragte am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien und seit März 2013 APART-Stipendiatin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, mit dem Habilitationsprojekt am Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte: "Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen".