Mehrsprachigkeitsdidaktik
Der Blick über den Tellerrand

Interkulturelles Lernen macht die Schüler neugierig
Interkulturelles Lernen macht die Schüler neugierig | Foto (Ausschnitt) © Andrey Popov - Fotolia.com

Der Referenzrahmen für plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen dient als Grundlage für Lehr- und Lernverfahren zur Förderung mehrsprachiger und interkultureller Kompetenzen. Wie lässt sich der DaF-Unterricht damit gestalten? 

Ob Deutsch oder Englisch, Chinesisch oder Latein – Kinder und Jugendliche in ganz Europa werden in modernen oder klassischen Fremdsprachen unterrichtet. Vertreter einer modernen Mehrsprachigkeitsdidaktik richten den Blick bei der Vermittlung einer neuen Sprache verstärkt auf sprachen- und kulturübergreifende Kompetenzen. Diese wurden auch im Referenzrahmen für plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (REPA) beschrieben, den das Europäische Fremdsprachenzentrum des Europarats in Graz erstmals 2007 veröffentlichte und der seither mehrfach überarbeitet und ergänzt wurde. Der REPA beinhaltet Kriterien zur Beschreibung mehrsprachiger und interkultureller Kompetenzen, die im Sinne einer Mehrsprachigkeitsdidaktik durch Ansätze wie das integrierte Sprachenlernen, die Begegnung mit Sprachen (Awakening to languages), die Interkomprehension oder das interkulturelle Lernen aufgebaut werden können.
 
Mit dem REPA arbeitet auch Anna Maria Curci. Sie lehrt Deutsch als Fremdsprache (DaF) an einem neusprachlichen Gymnasium in Rom: „Wenn die Jugendlichen an unsere Schule kommen, haben sie bereits acht Jahre lang Englisch sowie drei Jahre Spanisch oder Französisch gelernt. Im Alter von 14 Jahren beginnen sie dann nicht nur mit dem Erlernen der deutschen, sondern auch der lateinischen Sprache. Da liegt es nahe, auf den vorhandenen Kenntnissen und Kompetenzen aufzubauen“. Die Deutschlehrerin hat in den vergangenen zwanzig Jahren zahlreiche Unterrichts- sowie Fortbildungsmaterialien für eine integrierte Sprachendidaktik entwickelt. Viele ihrer Ideen sind in die Datenbank des REPA eingeflossen.

Sprachenvergleich: Laute, Wörter, Strukturen

Anna Maria Curci unterstützt die Jugendlichen bereits, bevor der Deutschunterricht an ihrer Schule beginnt: In jedem Jahr lädt sie Schüler und Eltern ein, in Schnupperstunden einen ersten Eindruck von der deutschen Sprache zu bekommen. Zu ihrer Arbeit mit dem REPA gehört es etwa in den allerersten Stunden zu zeigen, dass die Zahlen im Deutschen und im Englischen sehr ähnlich sind, und dass die deutschen Laute „ö“ und „ü“ auch im Französischen existieren. In einem nächsten Schritt macht sie etwa darauf aufmerksam, dass die Gattungsbezeichnungen vieler Bäume auf Deutsch wie Latein feminin sind. Sie weist darauf hin, dass der Unterschied zwischen „fragen“ und „bitten“ auch in Latein und im Spanischen relevant ist und dass für italienische Schüler das Zukunftstempus Futur in der englischen Sprache schwieriger zu erlernen ist als im Deutschen.

Außerdem erstellen die Schüler auf den Niveaus A1 und A2 des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GeR) mehrsprachige Plakate zu Wortfeldern wie „sich in einer Stadt orientieren“, „Verkehrsmittel benutzen“ oder „Hobbys und Freizeitaktivitäten“, die im Klassenzimmer aufgehängt werden. Später greifen ihre Schüler auch im sogenannten CLIL-Unterricht – Fachunterricht in den modernen Fremdsprachen des Curriculums ist an italienischen Oberschulen obligatorisch – auf Ressourcen und Kompetenzen zurück, die im Rahmen der Arbeit mit dem REPA entwickelt worden sind.

Strukturelle Gemeinsamkeiten von Sprachen kennenlernen

„Das Wissen darüber, wie Sprachen funktionieren und welche strukturellen Gemeinsamkeiten sie haben, ist ein zentraler Bereich der REPA-Deskriptoren. Wir richten unseren Blick systematisch auf den Vergleich, so dass die Schüler ihrer eigenen Sprachlernbiografie begegnen“, erklärt Anna Maria Curci. Das mache die Schüler neugierig und motiviere sie, selbst auf Entdeckungsreisen zu gehen. „Ich betrachte das Geschehen im Klassenzimmer als permanente Lernwerkstatt. Die Schüler fühlen sich dadurch ernst genommen, sind stolz darauf und haben viele Aha-Erlebnisse. Außerdem macht die Mehrsprachigkeitsdidaktik Lust auf mehr – viele meiner Schüler möchten jetzt beispielsweise auch Schwedisch, Dänisch oder Portugiesisch lernen“.

Voneinander lernen – im mehrsprachigen Klassenzimmer

Natürlich beherrscht Anna Maria Curci nicht alle Sprachen, die sie im Unterricht thematisiert. Deshalb nutzt sie das offene Gespräch mit den Kindern als Grundlage für ihre Arbeit. Auf diese Art und Weise können beispielsweise auch Schüler ihre Potenziale entfalten, deren Muttersprache nicht Italienisch ist: So haben etwa rumänischsprachige Schüler im Unterricht ein Referat darüber gehalten, wie das Futur in ihrer Muttersprache gebildet wird: „Unsere Schüler leben in einem mehrsprachigen Umfeld, deshalb sind solche Einblicke in eine andere Sprache für alle ein Gewinn. Für die Referenten ist das ein großes Erfolgserlebnis und eine Gelegenheit, systematisch über die eigene Muttersprache zu reflektieren“, erklärt die Lehrerin.

Mehrsprachigkeit erweitert den Horizont

Die Entwicklung von Strategien zum reflexiven Umgang mit Sprachen und Kulturen, sprachliche und kulturelle Bewusstheit sind wichtige Elemente einer Didaktik, die den REPA zugrunde legt. Aus ihrer Unterrichtspraxis weiß Anna Maria Curci, dass die Mehrsprachigkeitsdidaktik die metasprachlichen und metakognitiven Kompetenzen der Schüler sowie die Fähigkeiten in den Einzelsprachen fördert. Letztlich erziehe sie ihre Schüler durch den bewussten Umgang mit verschiedenen Sprachen zu bewussten Weltbürgern: „Es mag utopisch klingen, doch ich bin überzeugt: Wenn das Sprachenlernen im mehrsprachigen Konzert erfolgt, eröffnet dies nicht nur neue Horizonte, sondern erzeugt auch ein Bewusstsein dafür, dass die Mehrsprachigkeit ein wichtiger Schritt zum friedlichen Zusammenleben ist.“