Schülerwettbewerb
Deutsche Debattenkultur lernen

Die Jugendlichen entscheiden meist selbst, worüber sie debattieren wollen.
Die Jugendlichen entscheiden meist selbst, worüber sie debattieren wollen. | Foto (Ausschnitt): © Jugend debattiert/Hertie-Stiftung

Der Schülerwettbewerb „Jugend debattiert“ kann nicht nur für deutsche Jugendliche ein Gewinn sein, sondern gerade auch für DaF- und DaZ-Lerner. Ein Berliner Pilotprojekt soll jetzt auf Vorbereitungs- und Willkommensklassen in ganz Deutschland übertragen werden. 

Sollte jeder Schultag mit einer Stunde Deutsch beginnen? Sollte die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel in Berlin kostenlos sein? Um solche Fragen geht es im Wettbewerb Jugend debattiert, der seit 2001 unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten stattfindet, und sich an Jugendliche weiterführender Schulen richtet. Bei entsprechenden Fortbildungen bekommen die Lehrkräfte Materialien an die Hand, damit die Schülerinnen und Schüler lernen, in sachlichen Debatten argumentativ zu überzeugen. Die besten Debattierenden einer Schule haben dann die Möglichkeit, an Regional-, Landes- und Bundeswettbewerben teilzunehmen.

Deutschlerner debattieren im In- und Ausland

Dass das Format nicht nur bei Muttersprachlern funktioniert, zeigen Erfahrungen aus dem Ausland und ein Pilotprojekt in Berliner Willkommensklassen. Unter dem Namen Jugend debattiert international findet der Wettbewerb seit dem Schuljahr 2004/2005 in zehn Ländern Mittel- und Osteuropas statt. Darüber hinaus organisieren auch China, Spanien und Portugal sowie sechs Länder in Südamerika Debattierwettbewerbe für Deutschlerner. Im Frühjahr 2016 hatten rund 150 Schülerinnen und Schüler aus zwölf Sprachlerngruppen an neun Berliner Schulen die Gelegenheit, das Format auszuprobieren und in einem Stadtwettbewerb gegeneinander anzutreten.

Anders als muttersprachliche Teilnehmende erfahren die Zweit- und Fremdsprachenlerner im vorbereitenden Unterricht nicht nur, wie sie Argumente finden und ihre Redebeiträge strukturieren, sondern auch, wie sie sich in einer deutschsprachigen Debatte angemessen ausdrücken. „Wortschatzübungen helfen Lernenden, sich Themenkomplexe zu erarbeiten. Anhand der indirekten Rede können sie sich auf Beiträge anderer beziehen. Und Redemittelkarten, die an den Stufen des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens orientiert sind, vermitteln typische Formulierungen, die helfen, Sätze einzuleiten oder Absätze abzuschließen“, erklärt Ansgar Kemmann, Projektleiter von Jugend debattiert bei der Hertie-Stiftung.

Schulübergreifende Trainings und Wettbewerbe

Jetzt soll das Projekt auf DaZ-Gruppen in ganz Deutschland ausgeweitet werden. Acht Bundesländer haben sich laut Ansgar Kemmann bereits für die Einführung entschieden: „Beliebt ist Jugend debattiert vor allem bei den Stadtstaaten, weil sie einen höheren Anteil zugewanderter Schüler haben und sich dort aufgrund der kürzeren Wege auch leichter gemeinsame Trainingsnachmittage oder Wettbewerbsveranstaltungen organisieren lassen.“ Flächenländer wie Nordrhein-Westfalen, Bayern oder Baden-Württemberg, die im Umgang mit geflüchteten Jugendlichen eher Probleme mit aufenthaltsrechtlichen Beschränkungen bekämen, wollten sich dagegen anfangs zunächst auf jeweils eine Großstadt konzentrieren. In Mecklenburg-Vorpommern seien regionale Fortbildungen geplant.

Claudia Häberlein ist eine der Lehrerinnen, die das Projekt vorantreibt. Von 2011 bis 2014 war sie als DaF-Lehrkraft in China am Wettbewerb beteiligt. Jetzt hat sie in einer Stuttgarter Vorbereitungsklasse eine Modell-Unterrichtseinheit zur Einführung der Debatte entwickelt, die sie demnächst in Lehrerfortbildungen vorstellen wird. Natürlich sei es für alle Jugendlichen eine Herausforderung, Themen von unterschiedlichen Seiten zu beleuchten und andere Meinungen zu akzeptieren, sagt sie. Aber nicht überall spiele die Debattenkultur eine so große Rolle wie in Deutschland: „Meine Schüler in China haben mich anfangs bei der Suche nach Argumenten immer wieder gefragt, was die richtige Lösung ist. Erst mit der Zeit haben sie erkannt, dass es die gar nicht gibt. Diesen gedanklichen Prozess zu begleiten, war für mich eine tolle Erfahrung.“

Teilnahme am Wettbewerb eröffnet neue Perspektiven

Über welche Themen sie debattieren wollen, entscheiden die Jugendlichen meist selbst. Bei sozialer oder politischer Brisanz bietet die stärker reglementierte Debatte bessere Möglichkeiten als etwa eine offene Diskussion. „Viele der geflüchteten Schüler kommen aus Ländern, in denen Frauen und Männer nicht gleichgestellt sind. Durch den spielerisch-sportlichen Rahmen ist es für sie leichter akzeptierbar, dass Mädchen das Wort ergreifen und Jungen ihnen zuhören“, meint Ansgar Kemmann.

Jugend debattiert biete zudem eine gute Vorbereitung auf die argumentativ orientierte Sprachprüfung des Deutschen Sprachdiploms. Doch auch unabhängig von der Prüfung könne der Wettbewerb die Schullaufbahn der Teilnehmenden entscheidend prägen, sagt Claudia Häberlein: „Oft sind Willkommens- oder Vorbereitungsklassen an Realschulen angedockt und anschließend ist man froh, wenn sie irgendwie beschult sind. Jugendliche, die im Wettbewerb besondere sprachliche und intellektuelle Fähigkeiten unter Beweis stellen, finden möglicherweise leichter den Weg zum Gymnasium, was ihren weiteren Lebensweg entscheiden prägen kann.“
 

Silva Alsuliman Foto (Ausschnitt): © Privat „Wir müssen im Unterricht häufig Argumente für und gegen bestimmte Themen sammeln. Aus der Schule in Syrien kenne ich das kaum. Es hilft mir also, dass ich das in der Willkommensklasse schon gelernt habe.“
Silva Alsuliman ist mit 16 Jahren aus Syrien nach Deutschland geflohen, hat in einer Willkommensklasse an Jugend debattiert teilgenommen und ist dann Siegerin des Berliner Pilotwettbewerbs geworden. Inzwischen besucht sie eine Regelklasse der Jahrgangsstufe 11 an einer Berliner Schule, wo sie täglich vom Debattentraining profitiert.


Ivan Michna Foto (Ausschnitt): © Privat „Durch Jugend debattiert hatte ich die Möglichkeit, Osteuropa zu bereisen und viele neue Freunde zu finden. Im Studium profitiere ich von dem Gelernten und auch im Beruf wird es ein Riesenvorteil für mich sein. Die Fähigkeit, sachlich zu argumentieren, ist unbezahlbar.“
Ivan Michna hat in der zweiten Klasse angefangen, Deutsch zu lernen und im Gymnasium dann eine Jugend debattiert-AG besucht. 2014 gewann er dann den Landeswettbewerb Tschechien, so dass er das internationale Finale erreichte. Inzwischen studiert er Rechtswissenschaft in Prag und möchte Anwalt werden.

Jugend debattiert ist eine Initiative des Bundespräsidenten und steht unter seiner Schirmherrschaft. Partner sind die Hertie-Stiftung, die Robert-Bosch-Stiftung, die Stiftung Mercator und die Heinz-Nixdorf-Stiftung sowie die Kultusministerkonferenz, die Kultusministerien und die Parlamente der Länder. Jugend debattiert international – Länderwettbewerbe in Mittel- und Osteuropa – ist ein Projekt des Goethe-Instituts, der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung und der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen.