Olivia Vieweg
Aus Versehen Literatur

Die Comiczeichnerin Olivia Vieweg will unterhalten, und lässt ihre Figuren dafür auch mal gegen Zombies kämpfen. Sie setzt auf starke Frauen, ostdeutsche Kulissen und auf den hohen Wert der Freundschaft. Und sie zeigt: Unterhaltung muss nicht unpolitisch sein.
Von Viola Kiel
Hinter der barock geschwungenen Sofalehne in Olivia Viewegs Wohnzimmer hängen Fotografien an einer orange gestrichenen Wand. Eine zeigt Spock, den Ersten Offizier an Bord des Raumschiffs Enterprise: Vieweg ist ein passionierter Star-Trek-Fan. In dieser TV-Serie hat sie das Kernsujet ihrer eigenen Arbeit gefunden: Freundschaft. Wie die Besatzung der Enterprise auch, müssen sich ihre Figuren den Widrigkeiten der Umgebung – dort im Weltraum, hier im Osten Deutschlands – stellen. Dies könne nur gemeinsam gelingen, meint sie. Vor allem aber solle es Spaß machen.
Viewegs Leidenschaft für Comics beginnt mit den Lustigen Taschenbüchern, später fasziniert sie der Stil japanischer Mangas. Schon früh kreiert sie eigene Geschichten, die sie noch als Schülerin in Sammelbänden – unter anderem vom Schwarzer Turm Verlag – veröffentlicht. Weil man Comiczeichnen in Deutschland – anders als etwa in Frankreich – aber nicht studieren kann, entscheidet sie sich nach der Schule für den Studiengang Visuelle Kommunikation an der Bauhaus-Universität in Weimar. Ihr Stil sei dadurch wieder westlicher geworden, die Bewunderung für die erzählerische Dynamik der Mangas aber geblieben. Als akademische Abschlussarbeit reicht sie 2012 den Comicband Endzeit ein: die Geschichte zweier junger Frauen, die es mit sehr speziellen Gegnern zu tun bekommen.
Horror und Unterhaltung
Ein Jahr später erzählt Vieweg mit Antoinette kehrt zurück die Geschichte einer Frau, die als Mädchen unter Mobbing gelitten hat. Nach vielen Jahren reist sie zurück in ihre Heimat im Harz, um Rache an ihren Peinigern zu nehmen. Erneut beweist Vieweg, dass sie sich nicht scheut, düstere Themen für ein junges Publikum aufzubereiten: Mit einer nonchalanten Selbstverständlichkeit streifen ihre Bücher Mobbing, Depression, Suizid, Alkoholismus, Prostitution und Gewalt. Dann wieder darf es aber auch lustig werden: Der Comicroman Bin ich blöd oder was?!, der die selbstwusste Mari auf Klassenfahrt begleitet, ist immer noch eines ihrer Lieblingsbücher, sagt Vieweg.
Endzeit ist eine apokalyptische Zombie-Saga: Zwei Jahre ist es her, dass die Erde von Zombies überrannt wurde; das Wie und Warum bleibt Vieweg der Leserschaft schuldig. Nur die Städte Weimar und Jena sind durch einen Schutzzaun vor der mordenden Horde geschützt. Die beiden jungen Frauen Vivi und Eva, die sich durch Pech und Zufall außerhalb der Sicherheitszonen befinden, müssen sich den Weg durch farbgewaltige Dschungellandschaften der ostdeutschen Prärie kämpfen – und sich den Ängsten ihrer Vergangenheit stellen. Es geht um Mut, innere Stärke und – natürlich – um Freundschaft.
„Es besteht immer noch die Option, dass alles gut wird“
Bei der Lektüre von Endzeit liegt es nahe, Parallelen zur globalen Klimakatastrophe zu ziehen. Auch wenn Vieweg sagt, sie halte sich mit „krassen Ökobotschaften“ zurück, ist diese Mahnung beabsichtigt: „Ich finde es wichtig, dass noch viel mehr Leute kapieren, dass es Fünf vor Zwölf ist. Ich wollte aber auch, dass etwas Positives mitschwingt: Es besteht immer noch die Option, dass alles gut wird. Es liegt in unseren Händen.“
Kann es gelingen, mit einem Zombie-Comic-Roman als anspruchsvolle Autorin ernstgenommen zu werden? Darum geht es ihr nicht, stellt Vieweg klar: „Das ist vielleicht auch eine sehr deutsche Sache, sich immer messen zu müssen, wer der Intellektuellste ist und wer die Leute am besten langweilt. Wenn ich die Leute gut unterhalten kann, ziehe ich das ernsthafter Kunst vor. Ich brauche keine Statue, die 300 Jahre nach meinem Tod an mich erinnert. Ich will, dass die Leute meine Geschichten jetzt lesen. Und wenn es aus Versehen doch Literatur wird, dann ist das auch schön.“