Co-Parenting
Die Familie, die zu dir passt

Christine, Gianni und Milla
Christine, Gianni und Milla | Foto (Ausschnitt) © Wolfgang Stahr

„Andere Menschen haben Kinder aus Liebe, wir aus Freundschaft“ – das Co-Parenting-Konzept kann man mit einer Patchwork-Familie vergleichen: die biologischen Eltern sind nicht zusammen. Der Unterschied liegt darin, dass sich beim ersteren das Trauma der Scheidung und die negativen Emotionen der gescheiterten Beziehung vermeiden lassen.

Von Katarzyna Brejwo

Christine + Gianni = Milla

Christine Wagner ist 36 Jahre alt, sie trägt ein Trägerkleid und hat ein mädchenhaftes Lächeln im Gesicht. Sie führt mich in die Küche, die von einem langen Esstisch und mehreren Stühlen – jeder aus einer anderen Garnitur – beherrscht wird. „Gianni liebt es, für seine Freunde zu kochen“, sagt sie. „Als wir uns kennenlernten, warnte er mich: Ich habe eine Menge Bekannte, wenn dich das stört, such dir lieber einen anderen Vater für dein Kind.“

Die Küche ist hell und geräumig, vom Balkon blickt man auf Bäume und die Dächer der benachbarten Gebäude. Hier frühstücken sie und empfangen Gäste, und hier verbringt ihre viereinhalb Jahre alte Tochter Milla am liebsten ihre Zeit.  Die Tür rechts führt in die Wohnung von Gianni, die Tür links zu Christine. Tagsüber lassen sie die Türen geöffnet, damit Milla ungehindert zwischen ihren Wohnungen hin- und herlaufen kann. Sie schließen sie erst, wenn ihre Tochter ins Bett geht.

Anfangs lebten sie getrennt, doch Christine wollte nicht, dass Milla wie ein Scheidungskind aufwächst und jede Woche von einem Elternteil zum anderen umziehen muss. Aber wie lebt man zusammen, ohne ein Paar zu sein? Eine befreunde Architektin breitete ratlos die Arme aus: Für Familien wie euch bietet der Wohnungsmarkt keine passenden Lösungen. Schließlich half der Zufall: In Berlin-Neukölln fanden sie zwei benachbarte, voneinander getrennte Wohnungen.

„Wir beschlossen, dass Giannis Küche das Herz unseres Zuhauses und das Verbindungsglied zwischen unseren beiden Wohnungen werden sollte – wir mussten nur eine zusätzliche Tür einbauen. Und meine Küche haben wir zum Kinderzimmer umgebaut“, erzählt Christine. „Unser Leben wurde schlagartig einfacher. Ich muss Gianni nicht mehr jedes Mal anrufen, wenn ich für eine halbe Stunde weg muss. Und wenn ich Lust habe, im Park zu laufen, ziehe ich meine Trainingssachen an und laufe los.“

Noch vor zehn Jahren lebten in dieser Gegend überwiegend türkische Einwanderer, mittlerweile sind zwischen den Dönerläden viele angesagte Clubs und Cafés entstanden. Dazu gibt es Grünanlagen, Spielplätze und nette Nachbarn. Gianni arbeitet als Manager einer Theatergruppe, Christine ist Ärztin. Nach der Arbeit gehen sie gerne aus und treffen sich mit Freunden.

„Gibt es auch manchmal Streit?“, frage ich.
„Einmal hatten wir eine Auseinandersetzung“, gibt Christine zu. „Es ging um Millas Betreuung nach der Elternzeit. Die Fahrten zur Kita nahmen viel Zeit in Anspruch, also wollte Gianni sich nach einer Tagesmutter umsehen. Ich war dagegen. Ansonsten gibt es eigentlich nichts, worüber wir uns streiten könnten. Es ist wesentlich leichter, ein Kind gemeinsam mit einem Freund zu erziehen“, fügt sie hinzu. „Es gibt nicht die ganzen Erwartungen, die in einer Liebesbeziehung automatisch entstehen. Oder vielleicht passen wir auch einfach gut zusammen?“

Gianni, ein gebürtiger Italiener, ist laut und temperamentvoll, Christine ist ruhig und gelassen. „Du machst die Autoritätsperson, und ich den Clown“, sagte er scherzhaft, als sie sich entschieden, ein Kind zu bekommen. Als sie sich kennenlernten, machte sie gerade ihre Facharztausbildung zur Chirurgin. Nachdem sie schwanger wurde, wechselte sie in die Abteilung für innere Medizin, weil sie dort keine Nachtschichten schieben und nicht sechzig Stunden die Woche arbeiten musste.
„Woher wusstest du, dass Gianni der Richtige ist?“
„Das ist wie mit dem Sich-Verlieben“, sagt Christine schmunzelnd. „Die Chemie muss stimmen. Ich war eigentlich schon nach unserem ersten Treffen sicher, dass es mit Gianni klappen würde.“
Zu ihrem ersten Treffen erschien sie mit ihrer Partnerin Miriam, denn der ursprüngliche Plan sah vor, dass die beiden Frauen das Kind gemeinsam erziehen würden. Sie erzählten in ihrem Bekanntenkreis, dass sie auf der Suche nach einem Mann seien, am besten einem Schwulen, der gerne Vater werden würde. Als sich niemand meldete, nahmen sie die Sache selbst in die Hand. „Wenn sich heutzutage so viele Paare per Internet kennenlernen, dachte sich Christine, „warum dann nicht auch Menschen, die gemeinsam Eltern werden möchten?“ Entsprechende Internetportale existierten damals bereits in den USA. Familyship – so nannten Christine und Miriam ihr Projekt – sollte die Lücke auf dem deutschsprachigen Markt schließen. Die erste Suchanzeige gaben die Gründerinnen selbst auf. Und einer der ersten Männer, der sich bei ihnen meldete, war Gianni.

Ein Jahr lang trafen sie sich so wie jedes andere Paar, das sich näher kennenlernen will, bevor es sich für ein Kind entscheidet. Sie gingen gemeinsam ins Theater oder zu Ausstellungen und überprüften, ob ihre Weltanschauungen kompatibel genug waren, dass sie sich in Zukunft nicht um jede Kleinigkeit streiten würden. „Ein rechter Konservativer wird nur schwer mit jemandem zurechtkommen, der die Grünen wählt“, sagt Christine.

Erste Zweifel kamen in Christine auf, als Miriam unerwartet aus dem Arrangement ausstieg. „Nach unserer Trennung stand ich vor der Frage, ob man Elternschaft und romantische Liebe vollständig voneinander trennen kann.“

Einige Monate später beantwortete sie diese Frage mit Ja, strich sich im Kalender ihre fruchtbaren Tage an und flog nach Moskau, wo Giannis Theatergruppe damals gerade ein Engagement hatte. Milla wurde zwei Monate vor dem errechneten Termin geboren. Christine und Gianni wachten abwechselnd neben dem Brutkasten. Als die Pflegerin ihre Krankenhausbetten zusammenstellen wollte, antworteten sie fast gleichzeitig: Danke, nicht nötig.

„Weiß Milla, dass ihr …“, ich suche nach den richtigen Worten, „eine nicht ganz typische Familie seid?“
„Wir sprechen über alles sehr offen mit ihr“, antwortet Christine, ohne zu zögern. „Natürlich so, dass sie es versteht.“
Vor Kurzem bat eine Erzieherin in Millas Kindergruppe Christine und Gianni zu einem Gespräch: Milla habe erzählt, dass ihr Vater einen neuen Freund habe. „Das war kurz nachdem Jan in unser Leben trat. Ich erklärte der Erzieherin, dass Millas Vater schwul sei und gerade einen neuen Partner gefunden habe. Jan verbringt viel Zeit bei uns, und Milla hat ihn sehr gern, sie betrachtet ihn als Familienmitglied.“
„Und du?“
Christine muss einen Moment überlegen.
„Ich bin eher introvertiert. Ich betrachte Jan in erster Linie als Giannis Partner. Aber Milla hat es am liebsten, wenn wir alle zusammen sind. Deshalb wollen wir in diesem Jahr auch für einen Monat nach Südamerika fahren: Gianni, Jan, Milla und ich.“

Die Erzieherin in der Kindergruppe habe sich bei Christine bedankt, dass sie ihr die Situation erklärt habe, sie schien auch nicht besonders verwundert.
„Und Milla?“, frage ich nach.
„Wir haben so unterschiedliche Bekannte, dass ihr, glaube ich, gar nicht groß bewusst wird, dass wir uns von anderen unterscheiden.  Ein mit uns befreundetes lesbisches Paar bekam vor Kurzem eine Tochter“, erinnert sich Christine. „Und Milla erzählte mir vor dem Schlafengehen: »Sie hat zwei Mamas, und ich habe eine normale Familie!« »Naja, nicht so ganz«, begann ich, »Denn, weißt du, Babbo und ich sind nicht verheiratet.« Milla nennt Gianni Babbo, das ist das italienische Wort für Papa. »Und warum heiratet ihr nicht?« Ich habe ihr erklärt, dass Babbo lieber Jan heiraten würde, und ich eine andere Frau.“
„Und was hat Milla dazu gesagt?“
„»Aha, okay«. Kinder nehmen die Welt so, wie sie ist.“

Vater mit Onkelfunktion 

„Du hast einen Kinderwunsch? Bist womöglich Single, lesbisch oder schwul? Hier lernst du Menschen kennen, die auf freundschaftlicher Basis eine Familie gründen möchten. Ob Co-Elternschaft, Regenbogenfamilie, Mehrelternschaft oder alleinerziehend: Gründe die Familie, die zu dir passt!“, lese ich auf der Startseite des Portals Familyship.org. Beim Co-Parenting tun sich Menschen zusammen, die gemeinsam ein Kind zeugen und erziehen wollen, ohne eine Liebesbeziehung zu führen. Manchmal werden für diese Form der Familiengründung auch die Begriffe Partnered Parenting oder Platonic Parenting verwendet. Die Idee, dass man auch ohne Ehe Kinder haben kann, kam bereits während der kulturellen Revolution der Sechzigerjahre auf. Als Pionierin des Co-Parenting gilt die Amerikanerin Rachel Hope, die sich vor fünfundzwanzig Jahren dazu entschied, ein Kind mit einem Mann zu zeugen, mit dem sie keine Liebesbeziehung führte – und auch nicht führen wollten. Beide stammten aus Scheidungsfamilien und vertraten die Ansicht, dass eine freundschaftliche Beziehung eine bessere Basis zur Gründung einer Familie bildet als der Hormoncocktail, der gemeinhin als Liebe bezeichnet wird. Heute hat Rachel Hope neben ihrem bereits volljährigen Sohn eine vierjährige Tochter von einem anderen Co-Partner. Sie hat einen Ratgeber für Menschen geschrieben, die ihrem Beispiel folgen wollen. Seit es das Internet gibt, ist dies viel einfacher geworden.

„Ich suche nach einem Samenspender, der auch Vater sein möchte. Ich habe bereits zwei ältere Kinder. Ich erwarte einen herzlichen und freundschaftlichen Kontakt und eine faire Verteilung der Aufgaben“, schreibt Esra2018 aus Thur in Deutschland auf Familyship (als Rolle hat sie „Mutter“ angegeben).
„Ich bin eine heterosexuelle, alleinstehende Frau, voller Wärme und Liebe. Beziehungen mit Männern enden irgendwann, aber der Wunsch nach einem Kind bleibt“, schreibt Wittke aus Köln (Rolle: Mutter).
„Wir sind ein lesbisches Paar (37 und 40 Jahre) und haben bereits zwei Kinder. Die beiden sind 2 und 6 Jahre alt, und wir haben viel Freude an den Höhen und Tiefen des Familienlebens und am ganz alltäglichen Chaos“, schreiben die Nutzerinnen ErlangerFamilie aus Erlangen (Rolle: Mutter), die ihre Familie gerne vergrößern würden.
„Das traditionelle Familienmodell scheint mir zu überfrachtet. Es soll zu viele Bedürfnisse erfüllen: Freundschaft, materielle Sicherheit, Nachkommenschaft, Sex und gemeinsame Interessen“, erklärt s_glisse aus Zürich seine Motivation (Rolle: Samenspender, Vater mit Onkelfunktion, aktiver Vater).
Wer sich als Nutzer auf Familyship registrieren möchte, muss eine Gebühr entrichten (19 Euro für einen Monat, 29 Euro für sechs Monate und 79 Euro für eine Lifetime-Mitgliedschaft) und seine gewünschte Rolle festlegen. Zur Auswahl stehen: aktiver Vater, Vater mit Onkelfunktion (der einen weniger engen Kontakt zu seinem Kind hat als ein aktiver Vater), Samenspender, aktive Mutter und Mutter mit Tantenfunktion. Und wer über die Familienplanung hinaus auch nach einem potenziellen Partner sucht, kann dies ebenfalls in seinem Profil angeben.
Eigentlich wollte Christine das Portal schließen, sobald sie einen Vater für ihr Kind gefunden hatte. Doch innerhalb von wenigen Monaten hatten sich bereits mehrere Hundert Menschen auf Familyship registriert. Heute hat das Portal viertausend registrierte Nutzer. „Ich hätte nicht erwartet, dass so viele Menschen ein ähnliches Problem haben wie ich“, sagt sie. „Und schon gar nicht, dass darunter so viele heterosexuelle Frauen sind. Ich dachte immer, die bräuchten kein Co-Parenting, um Kinder zu bekommen. Heute sind sie unsere wichtigste Zielgruppe und machen mit etwa sechzig Prozent den größten Anteil unserer Nutzerinnen und Nutzer aus.“

Jennifer + Mathildas Vater = Mathilda 

Jennifer und Mathilda
Jennifer und Mathilda | © Jennifer Sutholt, Privatsammlung
Jennifer Sutholt winkt mir von ihrem Tisch in der japanischen Bar aus zu, und ich denke mir, dass sie eine große Ähnlichkeit mit Claudia Schiffer hat. Und, dass ich ihr das besser nicht sage, denn als Flugbegleiterin hat sie bestimmt genug von solchen Komplimenten. Wir unterhalten uns über Kinder: Wie man sie zum Schlafen bringt, wann man abstillen sollte. Auch um uns herum sind noch viele Kinder unterwegs, obwohl es bereits nach acht ist. Ein Paar, das gerade Sushi bestellt hat, nimmt ein Baby aus dem Kinderwagen („Fünf Wochen alt“, erklären sie lächelnd). Einige Tische weiter stillt eine Frau ihr etwas älteres Baby, ihr Freund nippt an seinem Bier. Der Berliner Stadtteil, in dem Jennifer lebt, ist sehr beliebt bei Eltern, die nicht darauf verzichten wollen, abends auszugehen, nur weil sie ein Kind bekommen haben.

Ihre Tochter schläft heute bei ihrem Vater. Jennifer wirkt gelassen, obwohl sie morgen den ersten Flug nach ihrer Elternzeit hat.

Ich würde sie gerne fragen, warum sie sich als junge, heterosexuelle Frau für eine Co-Elternschaft entschieden hat, also führen wir den Rest des Gesprächs in Jennifers Wohnung im Nachbarhaus. Die Wohnung liegt im Erdgeschoss, durch eine Glastür im Wohnzimmer gelangt man direkt in einen kleinen Garten. In den Bäumen hängen Lampen, die auf einen Sandkasten und ein Spielhaus herabscheinen: das kleine Königreich der eineinhalbjährigen Mathilda.
„Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich lieber eine traditionelle Familie gehabt: die große Liebe, Hochzeit und Kinder“, erklärt Jennifer, während sie mir ein Glas Wasser mit Zitrone einschenkt.
Ihre letzte Beziehung ging nach zwei Jahren zu Ende. Ihr Freund war nicht sicher, ob er überhaupt Kinder wollte. Sie hatte das Gefühl, dies sei ihre letzte Chance.
„Und du wolltest nicht nach einem neuen Partner suchen?“
„Ich habe nachgerechnet: Ich bin vierunddreißig Jahre alt. Wie groß ist die Chance, dass ich gerade jetzt jemanden kennenlerne? Und dass diese Beziehung so gut funktioniert, dass wir uns für Kinder entscheiden? Wie viel Zeit vergeht, bevor ich schwanger werde? Klar, viele Frauen bekommen heute auch mit über vierzig noch Kinder. Aber meine Mutter kam bereits mit zweiundvierzig in die Wechseljahre.“

Vom Co-Parenting hatte ihr eine Arbeitskollegin erzählt: „Falls du dich dazu entscheiden solltest, habe ich jemanden für dich.“
„Ich war schon so weit, einen Samenspender zu nehmen“, sagt Jennifer. „Aber die Arbeit als Flugbegleiterin lässt sich schwer mit einem Leben als alleinerziehende Mutter vereinbaren. Wenn ich einen Flug habe, bin ich oft drei oder vier Tage nacheinander nicht zu Hause.“

Der potenzielle Vater gefiel ihr auf Anhieb. Ein Schwuler, etwas über vierzig, der genau wie sie als Flugbegleiter arbeitete, dazu noch mit persönlicher Empfehlung, sie konnte also sicher sein, dass er ihr keine Märchen über sich erzählte. „Es war mir auch wichtig, dass die Chemie stimmte. Ich wusste, dass es ein Mann sein sollte, mit dem ich auch unter normalen Umständen ins Bett gehen könnte“, sagt sie. „Auch wenn wir uns selbstverständlich für die Bechermethode entschieden haben.“

Über die Bechermethode habe ich bereits auf Jennifers Blog zum Thema Co-Parenting (planningmathilda.com) gelesen. „Die Kunst der Heiminsemination: Wie entsteht ein Kind ohne Sex?“ ist der meistgelesene Post ihres Blogs. Die Bechermethode ist sehr beliebt, weil sie im Gegensatz zu einer künstlichen Befruchtung in einer Klinik nichts kostet und mehr Intimität bietet. Der Mann ejakuliert in einen Becher, und die Frau führt sich die Spermien mithilfe einer Spritze in die Vagina ein. Man kann auch eine stimmungsvolle Atmosphäre schaffen: ein gemeinsames Abendessen, Kerzen, Musik … Den ersten Versuch unternahmen Jennifer und ihr Co-Partner während eines gemeinsamen Urlaubs. „Den Schwangerschaftstest habe ich schließlich in einem Hotel in Seattle gemacht, zwischen zwei Flügen“, erzählt sie. „Als ich die zweite Linie sah, war es in Berlin gerade mitten in der Nacht. Dabei wollte ich doch so gern zum Telefon greifen und allen davon erzählen.“

Die wichtigsten Eckpunkte ihres zukünftigen Lebens standen damals bereits fest: Während des ersten Jahres sollte Mathilda bei Jennifer wohnen, damit sie die Kleine stillen konnte. Ins Krankenhaus würden sie gemeinsam fahren, doch Jennifer würde allein entscheiden, ob ihr Co-Partner im Kreißsaal anwesend sein sollte. Schließlich sei eine Geburt die intimste aller Erfahrungen – und sie seien ja kein Paar.

Jennifer und Mathilda
Jennifer und Mathilda | © Jennifer Sutholt, Privatsammlung
Schließlich kam Mathilda durch Kaiserschnitt auf die Welt. „Das war nicht so geplant,“ betont Jennifer. „Irgenwann hörte sie auf, zu wachsen, und die Ärzte entschieden sich für einen Eingriff.“

Während der Operation war nur ihre Mutter mit im Raum, Mathildas Vater kam erst hinzu, als das Kind bereits auf der Welt war. Schließlich blieben sie zu dritt zurück: Erst drückte Jennifer den kleinen Körper an sich, dann er. Wie sie sich dabei fühlte? Ganz normal, jeder war an seinem Platz.

In den ersten vier Wochen nach der Geburt wohnte ihre Mutter bei ihr. „Sie hat eher traditionelle Ansichten, außerdem hat sie selbst drei Kinder in einer funktionierenden Ehe großgezogen. Als sie zum ersten Mal hörte, dass ich ein Kind von einem Mann bekommen wollte, mit dem ich nicht einmal zusammen bin, fasste sie sich an den Kopf“, lacht Jennifer. „Erst als ich schwanger wurde, freundete sie sich allmählich mit dem Gedanken an, denn ich wurde augenblicklich entspannter und fröhlicher.“

Mit den übrigen Familienmitgliedern gab es keine Probleme. „Die andere Oma, die Mutter von Mathildas Vater, hatte ihn bereits zuvor zu diesem Schritt ermutigt. Ihre Enkelin liebt sie über alles.“
Als ihre Mutter nach Frankfurt zurückkehrte, blieb Jennifer mit Mathilda allein. Diese Zeit erscheint ihr im Rückblick geradezu magisch: Ein Säugling hat seinen eigenen Rhythmus, man muss ihm nur folgen. Mathilda bekommt nachts Hunger? Jennifer legt sich zwei Kissen unter die Ellbogen, schläft in halbsitzender Position und legt die Kleine von einer Brust zur anderen. Mathilda beruhigt sich nur, wenn sie auf dem Arm getragen wird? Jennifer spaziert mit ihr im Babytuch durch die Wohnung. „Ich kam kurz ins Zweifeln, als Mathilda irgendwann anfing, um halb drei Uhr nachts aufzuwachen“, gibt sie zu. „Aber dann dachte ich mir: Na gut, dann beginnt unser Tag jetzt eben etwas früher. Ein kurzes Frühstück, zwei Tassen Kaffee, ein bisschen Spielen und um sieben Uhr ein kleines Schläfchen. Und um sechs Uhr abends legten wir uns eben wieder hin. Das ging nur, weil ich keinen Partner hatte, der um diese Zeit von der Arbeit kommt und von mir erwartet, dass ich ihm meine Aufmerksamkeit schenke.“

Der Mann einer Bekannten, die ebenfalls ein Kind bekommen hatte, hatte sich beschwert, sie hätten überhaupt keine Zeit mehr für sich selbst. Ein anderer sei zunächst aus dem Schlafzimmer und schließlich aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen.

Bei Jennifer und ihrem Co-Partner war die Rollenverteilung von Beginn an abgesprochen: Wenn Mathildas Vater nicht arbeiten musste, kam er gegen Mittag und verbrachte drei bis vier Stunden mit seiner Tochter. In dieser Zeit konnte Jennifer kochen, putzen oder in Ruhe ein Bad nehmen. Nach und nach verbrachten sie mehr Zeit in seiner Wohnung, damit Mathilda sich an ihr zweites Zuhause gewöhnen konnte. Im Augenblick versuchen sie ihre Flugpläne so zu koordinieren, dass einer von ihnen immer zu Hause ist. Mathildas Geburtstag haben sie alle gemeinsam gefeiert – mit den Eltern und Geschwistern von Jennifer und ihrem Co-Partner.

„Als Paar würden wir überhaupt nicht funktionieren, aber als Eltern ergänzen wir uns sehr gut. Ich analysiere ständig, muss immer alles durchgeplant haben. Er lässt sich gerne treiben. Zu unserem ersten Treffen hatte ich eine Liste mit Sachen mitgebracht, die mir wichtig waren. Er hatte nur eine einzige Bedingung: das geteilte Sorgerecht“, sagt Jennifer. „Wir haben uns nur einmal richtig gestritten, und das im Grunde völlig sinnlos. Über Politik. Schon im nächsten Moment wurde uns bewusst: Warum streiten wir uns eigentlich? Wir sind schließlich kein Paar, das in allem die gleiche Meinung haben muss.“ 

Jochen + Fritzis Mama = Fritzi 

Jochen König
Jochen König | © Jochen König, Privatsammlung
„Ich wollte immer eine große Familie haben“, lacht Jochen König. „Ich habe mir vorgestellt, wie ich im Alter vor dem Kamin sitze, inmitten einer ganzen Schar von Kindern und Enkeln.“
Jochen ist sechsunddreißig Jahre alt und hat zwei Töchter mit drei verschiedenen Frauen. Er lebt mit keiner von ihnen in einer Beziehung, trotzdem ist Jochen der Ansicht, dass sie alle zusammen eine glückliche Familie bilden.

Zunächst kam Fritzi zur Welt. Auf die – nennen wir es einmal – traditionelle Art und Weise. Eine unerwartete Schwangerschaft. Jochen und seine Freundin wollten zwar Kinder haben, aber jetzt schon? Sie waren seit gerade einmal einem Jahr ein Paar und hatten noch nicht einmal zusammengewohnt. Er war siebenundzwanzig und arbeitete als Sozialpädagoge, sie beendete gerade ihr Studium. Im nächsten Jahr wollten sie für einen Monat durch die USA reisen, und in einigen Tagen zum Zelten nach Frankreich. Sie fanden gerade noch Zeit für die für einen Schwangerschaftsabbruch gesetzlich vorgeschriebene Pflichtberatung (in Deutschland kann man bis zur zwölften Schwangerschaftswoche einen Schwangerschaftsabbruch ohne Angabe von Gründen durchführen lassen). Nur für alle Fälle. Nach längeren Diskussionen darüber, wie ihre Familie möglicherweise aussehen könnte, einigten sie sich schließlich in den wichtigsten Punkten: Jochens Freundin würde das Kind austragen und zur Welt bringen. Jochen würde nach der Geburt ein Jahr Elternzeit nehmen und das Kind zu sich nehmen. Sie würden weiterhin getrennt leben. Und sich nicht darum kümmern, was andere von ihnen denken.

Ihre Entscheidung feierten sie mit einer Flasche alkoholfreiem Sekt an einem Strand in Frankreich.
„Warum hast du dich für dieses Modell entschieden?“, frage ich.
„Fritzis Mutter war sich nicht sicher, ob sie überhaupt Kinder haben wollte. Sie startete gerade ins Berufsleben und konnte es kaum erwarten, ihren ersten Job anzutreten. Ich war älter als sie und konnte mir ein Jahr Pause leisten“, sagt Jochen. „Außerdem war es schließlich unser gemeinsames Kind. Warum sollen immer nur Frauen die größeren Opfer bringen?“

Fritzi kommt pünktlich zum errechneten Termin zur Welt. Aus dem Krankenhaus fahren sie zu dritt direkt in Jochens WG. Während der ersten beiden Monate, in denen Fritzi gestillt wird, teilen sie sich Jochens WG-Zimmer. Dann bleibt Jochen allein mit Fritzi zurück, und Fritzis Mutter sucht sich eine Wohnung in der Nähe.
„Wie wunderbar, dass es solche Männer noch gibt!“, schwärmt die Frau von der Hausverwaltung, als Jochen sich bei ihr wegen einer Wohnung für sich und seine vier Monate alte Tochter erkundigt. Ihr eigener Sohn war ungefähr im selben Alter, als der Vater ins Ausland zog und den Kontakt abbrach.
Die Sachbearbeiterin im Wohnungsamt ist überfordert. Jochen will einen Wohnberechtigungsschein beantragen, doch der Fall, dass ein Kind beim Vater lebt, ist im Antrag nicht vorgesehen.

Jochen ist sich selbst nicht sicher, wie er seine Rolle beschreiben soll. Alleinstehender Vater? Das klingt so verzweifelt, dabei hat Jochen sich doch ganz bewusst für diesen Weg entschieden. Alleinerziehender Vater? Oder ein Vater, der gleichzeitig Mutter ist? Das stimmt so auch nicht, denn schließlich nimmt Fritzis Mama die Kleine einmal in der Woche zu sich. Andererseits ist es Jochen, der Fritzi füttert, ihr die Winden wechselt, nachts aufsteht und Ausschau nach den ersten Zähnen hält. Er bringt es nur nicht über sich, ihr die kleinen Fingernägel zu schneiden. Das Buch, das er über seine Erfahrungen geschrieben hat und das den Titel „Fritzi und ich: Von der Angst eines Vaters, keine gute Mutter zu sein“ trägt, ist inzwischen auch in polnischer Übersetzung beim Warschauer Verlag Feminoteka erschienen.

„Ich habe in Deutschland nur drei Väter wie Sie gefunden“, erzählt ihm eine Soziologiestudentin aus Mainz, die ihre Diplomarbeit über Väter in Elternzeit schreibt. Wobei einer im Grunde gar nicht zähle, denn er habe zwar ein Jahr Elternzeit genommen, aber seine Frau sei ebenfalls zu Hause. Und der andere? Jochen denkt oft an ihn: Wie er wohl zurechtkommt?

In einem Eltern-Kind-Café – in Jochens Kiez haben in letzter Zeit mehrere davon aufgemacht – lauscht er neidvoll den Gesprächen der jungen Mütter. Er würde sich auch gerne mit anderen über schlaflose Nächte und über das ständige Windelwechseln unterhalten, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, dass es sicherlich interessantere Themen gibt. Seine Kumpel haben keine Kinder. Und wenn doch, dann nicht in Vollzeit.

Seine Tochter fasziniert ihn und rührt ihn zu Tränen: Er hätte nie gedacht, dass man jemanden so sehr lieben kann. Andererseits machen sich der ständige Stress und der Mangel an Schlaf bemerkbar. „Burnout-Syndrom“, diagnostiziert der Arzt und empfiehlt ihm einen Besuch beim Psychologen.

Außerdem streitet sich Jochen immer öfter mit Fritzis Mama. „Wenn ein Kind auf der Bildfläche erscheint, bleibt kaum noch Zeit für die Beziehung. Uns hat das überfordert“, gibt Jochen zu. „Wir haben versucht, unsere Beziehung zu retten, eine Pause einzulegen, um die negativen Emotionen in den Griff zu bekommen.  Aber wie soll man eine Pause einlegen, wenn man zusammen ein Kind hat? Damals kam mir zum ersten Mal der Gedanke, dass man diese beiden Dinge – Kinder und Beziehung – voneinander trennen kann.“
Als Jochen und Fritzis Mama ihre Beziehung beendeten, war Fritzi eineinhalb Jahre alt. Vier Jahre später kam Lynn auf die Welt.

… und Jochen + Marie und Cora = Lynn 

„Ich habe in meinem Bekanntenkreis herumerzählt, dass ich eine Frau suche, mit der ich ein Kind haben könnte“, erzählt Jochen weiter. „Ich wollte nicht zu lange warten. Fritzi wurde größer, und ich war mir nicht sicher, ob ich in Zukunft noch einmal genügend Energie haben würde, um nachts ständig aufzustehen. Marie kannte ich schon von früher: Wir hatten gemeinsam Gender Studies in Frankfurt an der Oder studiert. Ursprünglich war vorgesehen, dass wir das Kind zu zweit erziehen würden, doch schon bald wurde uns klar, dass wir Maries Partnerin Cora nicht außen vor lassen konnten. Schließlich war Maries Schwangerschaft auch für sie ein Ereignis.

Jochen und Marie sind Lynns rechtliche Eltern, doch in der Praxis erziehen sie die Kleine zu dritt. Sie treffen gemeinsam Entscheidungen und tragen gemeinsam die Kosten. „Wir besprechen alles: Wie viel Geld wir haben, wie viel wir ausgeben müssen und wie wir es so aufteilen, dass jedem genug zum Leben bleibt. Eine von Lynns Müttern verdient gerade nicht so gut, als zahlt sie auch weniger.“

Jochen ist freiberuflich tätig: Er schreibt, leitet Workshops für Jugendliche und arbeitet als Museumsführer. Fritzi geht in die Schule, Lynn in den Kindergarten. Einen Plan, wer sich wann um die beiden Mädchen kümmert, haben die Co-Eltern bereits für eineinhalb Jahre im Voraus ausgearbeitet.

Einen Plan, wer sich wann um Lynn kümmert, haben sie bereits für eineinhalb Jahre im Voraus ausgearbeitet. „Wenn mich jemand zu einem Konzert einlädt, schaue ich schnell im Kalender nach und kann gleich sagen »Sorry, ich habe Kinder« oder »Super, da habe ich frei«. Wenn es etwas Wichtiges ist, springen wir selbstverständlich auch mal für den anderen ein. Normalerweise sieht es so aus, dass Fritzi acht Tage bei mir und anschließend sechs Tage bei ihrer Mutter lebt. Bei Lynn ist es umgekehrt: sechs Tage bei mir und acht Tage bei Marie und Cora. Ich habe also sechs Tage beide Mädchen bei mir zu Hause, dann bin ich zwei Tage allein mit Fritzi und dann habe ich sechs Tage kinderfrei. In dieser Zeit kann ich arbeiten, abends ausgehen, etwas für mich selbst tun. Und mich nach meinen Töchtern sehnen.“

Rechtliches

„Eine Co-Elternschaft funktioniert so ähnlich wie eine Patchwork-Familie: Die biologischen Eltern leben nicht zusammen, haben möglicherweise andere Partner, kümmern sich jedoch gemeinsam um das Kind. Der Unterschied besteht darin, dass es keine traumatische Trennung und keine verletzten Eitelkeiten gibt“, erklärt mir Stephanie Wolfram, die Leiterin des ersten deutschen Zentrums für Regenbogenfamilien. In ihrer Tätigkeit begegnet sie allen möglichen Konstellationen: Eine lesbische Mutter und ein schwuler Vater. Zwei Mütter und ein Vater. Zwei Mütter und zwei Väter. Und immer häufiger auch eine heterosexuelle Mutter und ein oder zwei homosexuelle Väter.

„Neulich rief eine Mutter bei uns an, die gerade Zwillinge geboren hatte. Sie suchte nach einem schwulen Mann oder einem Paar, mit dem sie eine Co-Parenting-Familie gründen könnte, weil es ihr allein zu anstrengend wurde. Das ist jedoch die Ausnahme“, betont Stephanie Wolfram. „Die meisten Menschen, die sich für eine Co-Elternschaft entscheiden, treffen diese Entscheidung sehr bewusst. Sie sind gebildet, beruflich erfolgreich und haben häufig konservative Ansichten – zum Beispiel sind sie der Ansicht, dass ein Kind den Kontakt zu beiden biologischen Eltern, der Mutter und dem Vater, benötigt.“

Stephanie Wolfram gibt ihnen einen eineinhalbseitigen Bogen mit Fragen, die man durchdiskutieren sollte, bevor man eine Entscheidung trifft. Die wichtigste: Welche Rolle wird jeder der Co-Partner bei der Erziehung des Kindes einnehmen? Wird der Vater sich in demselben Maße einbringen wie die Mutter oder wird er eher eine Art Onkel sein, der sein Kind hin und wieder am Wochenende besucht? Bei wem soll das Kind wohnen? Dann kommen die Einzelheiten: Welche Meinung habt ihr zum Thema Impfungen? Soll das Kind getauft werden? Soll das Kind eine öffentliche oder eine private Schule oder eine Montessori-Schule besuchen?

„Die Eltern müssen nicht in jedem Punkt miteinander überstimmen“, erklärt Stephanie Wolfram. „Wichtig ist, dass sie in der Lage sind, ruhig über diese Dinge zu reden, denn das bedeutet, dass sie auch in Zukunft eventuelle Meinungsverschiedenheiten einvernehmlich beilegen können.“

Im vergangenen Jahr haben fast 500 Menschen die Angebote des Regenbogenfamilienzentrums genutzt. Sie besuchen die psychologischen und familienrechtlichen Beratungen, die Selbsthilfegruppen und die Treffen für Regenbogeneltern und -kinder. Das größte Problem, so Wolfram, sei das Fehlen rechtlicher Regelungen. Nach deutschem Recht kann ein Kind nur zwei Eltern haben, dabei sind es in Co-Parenting-Familien oft drei oder sogar vier.

„Wir hatten den folgenden Fall: Ein lesbisches Paar hatte sich für eine Co-Elternschaft mit einem alleinstehenden Mann entschieden. Sie hatten gemeinsam vereinbart, dass das Kind bei ihnen wohnen und er es hin und wieder am Wochenende besuchen würde. Sie trugen ihn als Vater in die Geburtsurkunde ein, wodurch seine Position automatisch stärker wurde als die der zweiten Mutter. Nach einer Weile zog er in eine größere Wohnung, richtete ein Kinderzimmer ein und verlangte, dass das Kind von nun an auch bei ihm wohnen würde. Das Gericht gab ihm recht, weil er als biologischer Vater Anspruch auf das gemeinsame Sorgerecht hatte – obwohl die drei Co-Eltern dies zuvor anders vereinbart hatten.“

Deshalb plädiert der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD), die bundesweit größte Organisation von Lesben und Schwulen, für eine Reform des Familienrechts, die die besondere Situation von Co-Parenting-Familien berücksichtigt. Der wichtigste Punkt: In Zukunft soll es möglich sein, dass ein Kind zwei rechtliche Mütter hat. Wenn heute ein Kind in eine lesbische Ehe hineingeboren wird, gilt nur die biologische Mutter als Mutter, ihre Partnerin muss das Kind erst noch aufwendig adoptieren. Bisher wird das Projekt von den Grünen und der Linken unterstützt, nach der parlamentarischen Sommerpause will der LSVD Gespräche mit der SPD aufnehmen.

Die freie Wahl 

„Mama, Mama, meine Mama ist da!“, ruft Fritzi eines Nachmittags, als Jochen in die Kita kommt, um sie abzuholen.
„Haha, das ist doch nicht deine Mama“, wird sie von der Mutter eines anderen Kindes korrigiert.
Fritzi hält irritiert inne: „Wer soll das sein, wenn es nicht meine Mama ist?“ Im nächsten Moment kullern ihr Tränen über die Wangen.
„Ich habe sie umarmt und ihr gesagt: »Selbstverständlich bin ich deine Mama. Oder dein Papa, wie du willst«“, erinnert sich Jochen. „Wenn sie mich so nennen will, warum nicht? An meiner Männlichkeit kratzt das nicht. Und ich habe ja tatsächlich all die Dinge getan, die für gewöhnlich eine Mutter tut.“

Ich frage ihn, wie Fritzi auf die Nachricht reagiert hat, dass zu ihrer – ohnehin schon eher untypischen – Familie nun auch noch Marie, Cora und Lynn hinzukommen würden.
„Sie hat sich gefreut, dass sie eine kleine Schwester bekommt. Und die Tatsache, dass ihre Schwester zwei Mütter haben wird? Wir haben uns viel darüber unterhalten, aber für sie war die Situation ganz normal: So sieht unsere Familie eben aus. Jetzt, wo sie in die Schule geht, wird ihr sicherlich allmählich bewusst, dass wir uns ein wenig von anderen unterscheiden.“
„Und niemand ärgert sie deswegen?“
„Bisher nicht. Fritzi ist ein starkes, selbstsicheres Mädchen. Einmal habe ich gehört, wie sie auf dem Spielplatz vor ihrer Freundin angegeben hat: »In meiner Familie gibt es mehr Mamas als in deiner!« Und als ein Klassenkamerad versuchte, sie zu überzeugen, dass ein Kind nur einer Mutter haben könne, entgegnete sie ihm, das sei gar nicht wahr, ihre Schwester habe nämlich zwei.“

An eine unangenehme Situation kann sich Jochen erinnern: „Als wir Lynn für die Kita anmeldeten, erzählten wir ein wenig über unsere Familie, damit Lynn sich nicht ständig erklären muss. »Meine Güte«, kommentierte einer der Erzieher. »Wenn das so weitergeht, muss ich mich bald dafür entschuldigen, dass ich ganz normal verheiratet bin.«“ Zum Glück arbeitet er heute dort nicht mehr.
Jochens Eltern benötigten etwas Zeit, um sich an die Situation zu gewöhnen. „Jetzt, wo sie sehen, was für fantastische Kinder ich habe, zweifeln sie nicht mehr daran, dass meine Entscheidung gut durchdacht war.“

Wie wirkt sich das Co-Parenting auf die Kinder aus? Inwieweit unterscheiden sie sich von ihren Altersgenossen, die in traditionellen Familien aufwachsen. Bislang gibt es keine wissenschaftlichen Studien, die diese Frage eindeutig beantworten könnten. Untersuchungen zur Lebenssituation von Kindern in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften zeigen jedoch überwiegend, dass ihre emotionale und soziale Entwicklung ganz normal verläuft. In Deutschland dürfen homosexuelle Paare seit 2005 Kinder adoptieren und seit 2017 heiraten. Dennoch gibt es auch Kritik am Co-Parenting – egal, ob von homo- oder heterosexuellen Co-Partnern. Besonders zwei Vorwürfe werden immer wieder geäußert. Der erste lautet, dass die Eltern sich nicht aus Liebe, sondern aus egoistischen Motiven für ein Kind entscheiden (für dieses Phänomen wurde sogar eigens der Begriff der „Ego-Familie“ geprägt).

„Als würden normale Paare sich aus reinem Altruismus für Kinder entscheiden“, stöhnt Jochen. „Sie bekommen Kinder, weil sie welche wollen, und wir bekommen Kinder, weil wir welche wollen. Ihre Basis ist eine Liebesbeziehung, unsere Basis ist eine Freundschaft. Ist das wirklich so schlimm?“
„Eben“, sage ich, „manche behaupten, das sei es. Kinder sollten wissen, dass ihre Eltern sich lieben, auf diese Weise lernen sie, selbst zu lieben.“
Als ich diesen zweiten häufig geäußerten Vorwurf am Co-Parenting zitiere, verdrehen meine Gesprächspartner die Augen: Das haben wir schon so oft gehört!
„Erstens“, sagt Jennifer, „sind unsere Kinder gewollt und werden geliebt – wenn es ihnen an irgendetwas mangelt, dann bestimmt nicht an Liebe.“
„Zweitens“, sagt Christine, „gibt es in ihrem Umfeld auch Großeltern, Verwandte und Freunde – wenn sie also tatsächlich Vorbilder benötigen, um zu lernen, wie man eine funktionierende Beziehung aufbaut, werden sie sie sicherlich finden.“
„Drittens“, sagt Jochen. „Woher kommt eigentlich diese Gewissheit, dass ein Kind in einer traditionellen Familie lernt, zu lieben? Wir alle kennen genügend Menschen, die unter der schwierigen Beziehung zwischen ihren Eltern zu leiden hatten.“
Und viertens – hier sind sich alle einig – verändert sich der Begriff der Familie kontinuierlich. Früher war die Ehe ein Vertrag: Der Mann sollte das Geld heranschaffen, und die Frau sollte Kinder gebären (von Liebe war in diesem Arrangement keine Rede). Der Gedanke, dass Eltern Kinder bekommen, weil sie sich lieben, ist vergleichsweise neu: Er entstand im 20. Jahrhundert, im Zuge der Emanzipation der Frauen, die sich zunehmend aus der rechtlichen und finanziellen Obhut des Mannes herauslösten. „Wenn man die Geschichte betrachtet, ist das Co-Parenting gar nicht die eigentliche Revolution“, argumentiert Christine, „sondern vielmehr die Tatsache, dass wir heutzutage die Wahl haben: Jeder kann die Familie gründen, die zu ihm passt.“ 
 
Um die Privatsphäre ihrer Tochter zu schützen, hat Jennifer darum gebeten, dass ihre Tochter in diesem Text Mathilda genannt wird. In Wirklichkeit heißt sie anders.

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