Deutsche Filmklassiker Mittwochskino: Angst essen Seele auf

AngstEssenSeeleAuf © Kinowelt GmbH

Mi, 22.11.2023

19:30 Uhr

Goethe-Institut Peru

Regie: Rainer Werner Fassbinder, Farbe, 91 Min., 1973

November steht ganz im Zeichen der Filmklassiker!

ANGST ESSEN SEELE AUF
Regie: Rainer Werner Fassbinder,
Farbe, 91 Min., 1973 
Eintritt frei


Emmi, eine ältere Putzfrau, liebt und heiratet Ali, einen weit jüngeren Gastarbeiter aus Marokko. Emmis Verwandte und die Nachbarschaft reagieren mit Unverständnis, bis sie die Verwertbarkeit des Paars entdecken. Doch der Druck, der auf den beiden lastet, ist zu groß. Ein "Film über die Liebe, die eigentlich unmöglich ist, aber eben doch eine Möglichkeit". (Rainer Werner Fassbinder)

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Eines Abends geht Emmi, eine sechzigjährige Putzfrau, in eine Gastarbeiterkneipe. Sie will bloß warten, bis es zu regnen aufhört und bestellt sich aus Verlegenheit eine Cola. Da fordert sie einer zum Tanzen auf, Ali, ein großer, bärtiger Marokkaner, viel jünger als sie. Eigentlich heißt er ganz anders, aber in Deutschland, so erzählt er seiner Tanzpartnerin, werden alle Gastarbeiter aus seinem Land Ali genannt. Und eigentlich hat er die komische Alte bloß zum Tanzen aufgefordert, weil die üppige blonde Kneipenwirtin Barbara und deren Gäste sich über sie lustig machen wollten. Aber dann setzt sich Ali zu Emmi, und die beiden reden über ihre Einsamkeit, und weil sie zum erstenmal jemand gefunden haben, mit dem sie darüber sprechen können, begleitet Ali Emmi zu ihrer Wohnung, und sie lädt ihn noch zu einem Cognac ein.

Und weil es draußen immer noch regnet und Ali in einem Zimmer mit vier anderen Gastarbeitern leben muß, lädt sie ihn auch noch ein, bei ihr zu übernachten. Sie schlafen miteinander; am nächsten Morgen ist Emmi ganz entsetzt darüber, sie hat plötzlich Angst, aber, so Ali, "Angst essen Seele auf". Die beiden einsamen Menschen haben sich ineinander verliebt; am Abend wartet er vor ihrer Tür, und wenige Tage später macht er ihr einen Heiratsantrag. Die Hochzeit feiern die beiden ganz allein in einem teuren italienischen Restaurant. Der Druck der Umwelt gegenüber dem ungleichen Liebespaar wächst. Emmis Kinder schämen sich, die Nachbarinnen schikanieren das Paar, die Kolleginnen sprechen nicht mehr mit der "Ausländerhure". Emmi verteidigt ihr Glück gegen die "Neider", aber dann hält sie den Druck nicht mehr aus und fährt mit Ali in Urlaub. Als sie zurückkommen, sind alle viel freundlicher, weil sie Emmi brauchen, etwas von ihr wollen. Aber jetzt flieht Ali, weil sogar Emmi von ihm fordert, sich den deutschen Sitten anzupassen.

Und als sie ihm kein Couscous kochen will, geht er zu Barbara, die für ihn kocht und mit ihm schläft. Und auch am nächsten Tag, als Emmi ihren Kolleginnen stolz ihren muskulösen jungen Gatten vorführt, geht er wieder zu Barbara. Emmi sucht ihn in der Autowerkstatt, in der er arbeitet, und vor den Kollegen verleugnet er die alte Frau. Am Abend ohrfeigt er sich selbst für sein Tun und verspielt seinen Lohn in Barbaras Kneipe. Da kommt Emmi herein, und wie am ersten Abend tanzt er mit ihr, bis er plötzlich schreiend vor Schmerzen zusammenbricht. Ein Magengeschwür, sagt der Arzt, das ist bei Gastarbeitern eben so, und dagegen kann man nichts machen. Emmi sitzt an Alis Bett.

Einen "Film über die Liebe, die eigentlich unmöglich ist, aber eben doch eine Möglichkeit"; nannte Rainer Werner Fassbinder ANGST ESSEN SEELE AUF, den er in seiner privaten Hitliste deutscher Filme zu den schönsten zählt und in der "Top Ten" seiner eigenen Filme an achter Stelle aufführt. Das sozialkritische Melodram um die alte Frau und den Ausländer ist sowohl in ästhetischer wie in dramaturgischer Hinsicht deutlich vom Stil Douglas Sirks inspiriert, dessen Filme Fassbinder die "zärtlichsten" nannte und den er immer wieder zum Vorbild für das deutsche Kino erhob. So erinnert ANGST ESSEN SEELE AUF vor allem an Sirks ALL THAT HEAVEN ALLOWS, wo Jane Wyman als reiche Witwe sich in einen fünfzehn Jahre jüngeren Gärtner, Rock Hudson, verliebt und deshalb dem massiven gesellschaftlichen Druck einer amerikanischen Kleinstadt ausgesetzt ist, bis die Liebe fast zerbricht und tragisch zu enden droht.

Auch Fassbinder hatte ursprünglich ein tragisches Ende für seinen Film vorgesehen. Die Idee dazu war ihm schon 1970, drei Jahre vor der Entstehung von ANGST ESSEN SEELE AUF, gekommen.

In DER AMERIKANISCHE SOLDAT, einer vom US-Gangsterfilm inspirierten Kinostory, erzählt Margarethe von Trotta als Dienstmädchen Margarethe die Geschichte von der Putzfrau Emmi und dem Gastarbeiter Ali, ganz so, wie sie Fassbinder dann später inszenieren wird, nur mit einem anderen Schluß: Emmi wird danach eines Tages ermordet aufgefunden, an ihrem Hals werden Abdrücke von einem Siegelring entdeckt, eines Rings mit einem A drauf, wie ihn Ali trägt. Diese tragische Lösung ist in dem Film zwar zurückgenommen, doch zerfällt ANGST ESSEN SEELE AUF deutlich in zwei Teile: Während im ersten Teil die Vorurteile der Umgebung so stark sind, daß sie den beiden Menschen, die sich lieben, einen Zusammenhalt gegen die Umwelt geben, schlägt im zweiten Teil der äußere Druck, der nachzulassen beginnt, in einen inneren um; zwischen den beiden beginnt es zu kriseln, und Ali fühlt sich in seiner Identität durch Emmis Drängen zur Anpassung bedroht.

Für ihn hören, anders als für sie, die Probleme nicht auf; so wird er, mehr als sie, zur tragischen Figur des Films. Fassbinders kritische Darstellung der Gastarbeiterproblematik ist dabei keineswegs eine naturalistische. Dies zeigt sich in der Stilisierung der Nebenfiguren - einen besonderen Gag leistet sich der Regisseur, indem er die Rolle von Emmis Schwiegersohn Eugen, des übelsten Ausländerhassers des Films, übernimmt - ebenso wie in der Kameraführung. Großaufnahmen fehlen - wie übrigens auch bei Douglas Sirk - fast völlig in ANGST ESSEN SEELE AUF, und obwohl die Kamera beweglicher geworden ist als in Fassbinders früheren Filmen, deren optischer Gestus noch stark von der Theaterästhetik inspiriert war, sind Schwenks immer noch selten; es dominieren die nahezu statischen, hochartifiziellen Bilder.

Zum wichtigsten Stilmittel wird dabei die Aufnahme eines Raumes mit seinen Figuren durch eine Tür, wodurch die Szene gleichsam von einem Bilderrahmen umfaßt erscheint - Sinnbild für die Isolation und Einengung der Personen. Auch die Technik, mit Spiegeln zu arbeiten, die Fassbinder später, vor allem in CHINESISCHES ROULETTE bis zum Manierismus treiben wird, deutet sich in diesem Film an. "Der Realismus", so Fassbinder, "passiert immer beim Betrachter. Das, was mit der Wirklichkeit zu tun hat, kann doch nur im Kopf des Zuschauers passieren." Der Realismus von ANGST ESSEN SEELE AUF ist immer noch aktuell, doch das zaghaft utopische Moment, die Möglichkeit einer im Grunde unmöglichen Liebe, erscheint heute mehr denn je als Utopie.

Annette Meyhöfer

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