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Die Übersetzung aus dem Deutschen in Portugal
Im komplexen Puzzle der Übersetzung

Die Übersetzung bringt Länder einander näher und zeigt kulturelle Aspekte auf, die ohne sie unbekannt blieben
Die Übersetzung bringt Länder einander näher und zeigt kulturelle Aspekte auf, die ohne sie unbekannt blieben | Foto: David Cachopo © Goethe-Institut Portugal

Oft ist die Lektüre neuer, auf Portugiesisch noch nicht verfügbarer Werke durch Übersetzer*innen der erste Schritt, der diesen Werken den Weg über die Grenzen ebnet, um sie uns zugänglich zu machen. Hierfür sind die Lehre der deutschen Sprache und die Ausbildung von Übersetzer*innen ausschlaggebend: Ohne diese beiden Voraussetzungen ist es kaum möglich, die jahrzehntelange Arbeit fortzusetzen, die über die Lektüre nicht nur beide Länder kulturell einander näher bringt, sondern auch die Erweiterung unseres Wissenshorizontes ermöglicht.

Von Ricardo Ramos Gonçalves

Der Kritiker und Essayist George Steiner stellt in Nach Babel: Aspekte der Sprache und des Übersetzens fest, dass „Übersetzen eine Notwendigkeit ist, da Menschen verschiedene Sprachen sprechen“, und dass eine korrekte Übersetzung – im weitesten Sinne des Wortes – ein Ringen um Verständnis voraussetzt. Die Übersetzer*innen seien damit bevorzugte Empfänger einer von den Autor*innen übermittelten Botschaft, die in einer anderen Sprache vermittelt werden soll.

Für Gabriela Fragoso ist es absolut unentbehrlich, auch andere Werke des Autors zu kennen, um die Sprache des Textes, der übersetzt werden soll, erfassen zu können. Für Gabriela Fragoso ist es absolut unentbehrlich, auch andere Werke des Autors zu kennen, um die Sprache des Textes, der übersetzt werden soll, erfassen zu können. | Foto: © Gabriela Fragoso

Für Gabriela Fragoso, gleichfalls Übersetzerin und Dozentin für deutsche Literatur an der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universidade Nova de Lisboa, ist es "absolut unentbehrlich" auch andere Texte des Autors zu kennen, "um die Sprache des Textes, der übersetzt werden soll, erfassen zu können." „Es scheint mir nicht so wichtig, die Autorin oder den Autor persönlich zu kennen, da die Texte, meiner Meinung nach, für sich sprechen. Wenn es sich um noch lebende Autor*innen handelt, kann ein direkter Kontakt zur Klärung von Verständnisfragen aber durchaus hilfreich sein.“

Helena Topa geht hier noch weiter und betont, dass Übersetzer*innen auch von anderen Übersetzungen lernen können, wobei man jedoch nicht zulassen sollte, dass die Stimme der Kolleg*innen die eigene Stimme übertönt. Doch das von Gabriela Fragoso erwähnte Eintauchen in das Gesamtwerk der zu übersetzenden Autor*innen kann in manchen Fällen auch einige Monate an Mehrarbeit bedeuten. „Jede Übersetzung bedarf einer Vorbereitung, deren Umfang von verschiedenen Faktoren abhängt. Falls man beispielsweise die Autorin oder den Autor bereits gut kennt, ist einige Vorarbeit schon geleistet, auch wenn jedes neue Werk seine Besonderheiten mit sich bringt. Heutzutage ist die Vorarbeit um Einiges leichter, da man sich schnell Zugang zu Artikeln, Rezensionen und vielem anderen Material verschaffen kann“, fasst sie zusammen.

Paulo Rêgo meint seinerseits, dass im Idealfall die Übersetzer*innen das gesamte Werk kennen sollten. „In der Praxis ist das meist unmöglich. Und wenn man stattdessen die Biografie der Autor*innen studiert, so kann einen das dazu verleiten, das Werk nur von diesem Standpunkt aus zu betrachten, der nicht unbedingt der richtige sein muss. Nicht alle im Werk angesprochen Themen stehen im Bezug zur Biografie.“.

Zugleich schwingt in dieser Problematik die Frage mit, die sich auch den Leser*innen während des Lesens stellt: Was passiert eigentlich, wenn ein auf Deutsch geschriebenes Werk ins Portugiesische übertragen wird? Für Helena Topa besteht die größte Herausforderung dieser Verwandlungsarbeit darin, dass das Deutsche eine synthetische und das Portugiesische eine analytische Sprache sei. Vera San Payo de Lemos fügt hinzu, dass das Deutsche viele zusammengesetzte Wörter gebrauche, die im Portugiesischen in längeren Ausdrücken entfaltet werden müssten. 

Die Übersetzerin und Dramaturgin Vera San Payo de Lemos hebt hervor, dass das Deutsche viele zusammengesetzte Wörter gebraucht, die die Übersetzung ins Portugiesische erschweren könnten Die Übersetzerin und Dramaturgin Vera San Payo de Lemos hebt hervor, dass das Deutsche viele zusammengesetzte Wörter gebraucht, die die Übersetzung ins Portugiesische erschweren könnten | Foto: David Cachopo © Goethe-Institut Portugal
„Man kann sich in der deutschen Sprache regelrecht verlieren, weil sie voller Mehrdeutigkeiten steckt, die uns dazu zwingen, uns zwischen dem bildlichen und dem Wortsinn auszuwählen“, betont Vera San Payo de Lemos und führt als Beispiel das Wort ‚Hartnäckigkeit‘ an, bei dem neben der Charaktereigenschaft das Bild eines „harten Nackens“, der sich nicht beugen will, mitschwingt.

Zu diesen Eigenschaften, die eine Übersetzung des Deutschen ins Portugiesische erschweren, fügt Paulo Rêgo noch die Komplexität des deutschen Satzbaus hinzu. "Oft erscheint bei Reden das Verb, und damit ein entscheidender Teil der Information, erst am Ende des Satzes." "Das erweckt, sowohl beim Leser als auch beim Zuhörer ein Maß an Aufmerksamkeit, dass die portugiesische Syntax nicht voraussetzt. Deshalb hat der portugiesische Leser von vornherein weniger Bereitschaft, Sätze zu lesen, in denen er sich verlieren wird", fasst er zusammen.

Alle Herausforderungen der Übersetzungsarbeit – von denen hier nur eine Auswahl angesprochen wurde – bekräftigen die Tatsache, dass eine literarische Übersetzung immer kontrovers bleiben muss, allein schon aufgrund der verschiedenen ihr vorausgesetzten Interpretationen. Die Übersetzung aus dem Deutschen bildet hier keine Ausnahme. Christian Garve, Übersetzer der Ethik des Aristoteles (1798), definiert die Arbeit der Übersetzer*innnen als eine komplexe Choreographie für Auffassungsgabe und Intellekt: „Ich glaube, daß Verständlichkeit die erste Tugend eines Uebersetzers sey; daß die Kürze ihr nachstehen müsse; und daß die Uebereinstimmung mit der Manier des Autors nur ein Nebenzweck sey, der nie vollkommen erfüllt werden kann, und oft höheren Zwecken schadet.“

WIE LEBT MAN in Portugal als Übersetzer*in aus dem Deutschen?

Die oben genannten Aspekte gehören zu den endogenen Herausforderungen, die ein*e Übersetzer*in bewältigen muss. Es sollen hier jedoch auch die beruflichen Seiten, also die exogenen Aspekte des Übersetzens aus dem Deutschen in Portugal bedacht werden. Hier sind, neben dem schon erwähnten Programm des Goethe-Instituts, noch weitere Institutionen zu nennen, die die Übersetzung aus dem Deutschen fördern: das österreichische Kulturministerium und die Pro-Helvetia Stiftung. Den Förderungsmöglichkeiten dieser Institutionen zum Trotz ist und bleibt die berufliche Lage der Übersetzer*innen jedoch prekär.

Helena Topa, die hauptberuflich Übersetzerin ist, hebt hervor, dass der ökonomische Aspekt ausschlaggebend ist: Die Fluktuationen und Unsicherheiten des Büchermarkts bedrohten die Auftragslage und Verlage und Kunden hätten, insbesondere was Fristen anbetrifft, zum Teil unhaltbare Erwartungen.

„In Portugal steht man als Übersetzer*in schutzlos da. Obwohl Verbände existieren, gibt es beispielsweise keine Gewerkschaft oder eine andere Institution, die die beruflichen Interessen der Übersetzer*innen vertritt, für ihre Rechte und einen beruflichen Status eintritt. Die Übersetzer*innen, von den Kontakten zu Kolleg*innen, Verlagen und anderen Institutionen abgesehen, stehen weiterhin alleine da, sind regelrecht abgegrenzt in einer Art Ich-AG, auch wenn dies juristisch meistens nicht der Fall ist.“ 

Gabriela Fragoso ihrerseits unterstreicht, dass “man sich keine Illusionen über die Verdienstmöglichkeiten als Übersetzer*in machen sollte, vor allem nicht im Bereich der literarischen Übersetzung“. Obwohl sie Übersetzerin von Kafka und Stefan Zweig ist, ist für sie das Überleben als Übersetzerin weiterhin die größte Herausforderung, vor allem, wenn man bedenkt, „dass man in Portugal durch die Übersetzungsarbeit allein finanziell nicht auskommen kann. Das Überleben ist die größte Herausforderung.“

Der Deutschunterricht und die ÜBERSETZER*INNEN-Ausbildung in Portugal

Die Wahl der deutschen Sprache und der Eintritt in die Welt der Übersetzung können unterschiedliche Gründe haben. Im Fall der hier vorgestellten Übersetzer*innen spielen familiäre Gründe zwar eine Rolle, doch wurde das Interesse an der deutschen Sprache und Kultur vor allem während des Hochschulstudiums entdeckt. Dieses Phänomen ist an den Hochschulen in Portugal weiterhin zu beobachten, wo Studiengänge und Übersetzungskurse nach und nach das Interesse der Studierenden an deutscher Literatur wecken, und so aus Leser*innen auch Übersetzer*innen deutscher Literatur werden können.

Gabriela Fragoso betont jedoch, dass - obwohl es keine wirklich aussagekräftigen Daten gebe, die eine Ab- oder Zunahme des Interesses an der deutschen Sprache belegen könnten - sich die Tendenz erkennen lasse, dass die Deutschstudent*innen „allgemein wenig Literaturkenntnisse“ hätten. Zudem seien sie in der Regel keine eifrigen Leser. Trotzdem behauptet die Dozentin und Übersetzerin, dass es in Anbetracht des Lehrangebots möglich sei, den Student*innen eine gute Ausbildung zu geben, indem man einfache, aber anspruchsvolle Prioritäten setze: „Sehr gute Kentnisse der Ausgangs- und Zielsprache, intellektuelle Neugier und eine gute Übersetzungstechnik“.

Für Vera San Payo de Lemos und Claudia Fischer hat sich das Profil der Student*innen, die die Übersetzungskurse belegen, mit den Jahren verändert. Es bestehe heute ein größeres Interesse an der Sprache selbst als an der Literatur. Für Vera San Payo de Lemos und Claudia Fischer hat sich das Profil der Student*innen, die die Übersetzungskurse belegen, mit den Jahren verändert. Es bestehe heute ein größeres Interesse an der Sprache selbst als an der Literatur. | Foto: David Cachopo © Goethe-Institut Portugal

Vera San Payo de Lemos und Claudia Fischer, beide mit Lehrerfahrung im Bereich Sprache und Übersetzung, bestätigen, dass heute mehr Interesse am Erlernen der Sprache selbst als an der Literatur bestehe. Sie erklären sich diese Tendenz durch die beruflichen Perspektiven im Ausland, die sich den Studierenden durch die Sprache eröffnen. Vera San Payo de Lemos hebt die große Nachfrage nach Deutschkursen am Germanistik-Institut der Geisteswissenschaftlichen Fakultät in Lissabon hervor. Viele Studierende hätten jedoch kaum Vorkenntnisse. 

„Für uns bedeutet dies jetzt eine große Herausforderung. Jahrelang war es so, dass die Student*innen sich gleichermaßen für die deutsche Sprache, Literatur und Kultur interessierten und schon drei Jahre Deutschunterricht an der Schule gehabt hatten. Jetzt ist alles anders. Wir haben Student*innen, die alle möglichen Studiengänge belegt haben: Übersetzung, Kunst, Europäische Studien usw. Sie schreiben sich in diversen Sprachkursen ein, unter anderem auch in Deutsch. Unter diesen Student*innen gibt es dann einige wenige, die ihre Kenntnisse in deutscher Sprache und Kultur vertiefen wollen und in dieser Richtung weiter studieren“, erklärt Vera San Payo de Lemos.

Ergänzend zu der Situation der Sprachen an den Universitäten erwähnt Claudia Fischer die heutige Dominanz des Englischen. Für sie erleichtert dieser Umstand das Erlernen der deutschen Sprache, da „durch Englischkenntnisse viele sprachliche Phänomene im Deutschen“ verständlicher seien. Dennoch ist Claudia Fischer der Meinung, dass das Studium allein keine ausreichende Vorbereitung zur professionellen Übersetzertätigkeit ist. „Es gibt zwar genügend Lehrangebote, doch, wie schon Vera erwähnt hat, sind die Sprachkenntnisse zu Studienbeginn oft zu gering.“

Ergänzend hierzu hebt Vera San Payo de Lemos die Wichtigkeit der praktischen Seminare im Übersetzungsstudium hervor. Diese stärkten das persönliche und das professionelle Interesse, wobei jedoch nicht vergessen werden dürfe, dass auch der praktische Unterricht unterschiedlichen Zwecken dient. „Das ist von entscheidender Bedeutung. Jeder Text ist anders und spricht jeden auf eine bestimmte Art und Weise an. Diverse Themen werden angesprochen, und dadurch entsteht in diesen Seminaren auch ein größeres Interesse an der Kultur.“

Im globalen Kontext, in dem die Sprachen für das Berufsleben eine immer ausschlaggebendere Rolle spielen, ist zu erwarten, dass auch ein ansteigendes Interesse an der deutschen Sprache entsteht, was auch in Portugal zu einer höheren Student*innenzahl in diesem Bereich führen könnte. Dies spiegelt sich natürlich auch in der Übersetzungsarbeit aus dem Deutschen in Portugal wider. Was den Bereich der Literatur anbetrifft, so ist eine zunehmende Offenheit für zeitgenössischer Werke zu beobachten, die der Verbindung von Verlagswesen und Kultur Kontinuität verleiht. Diese Verbindung könnte jedoch zuweilen harmonischer sein. Durch die Arbeit der Übersetzer*innen, die den Begriff einer zweisprachigen Autor*innenschaft fortentwickeln, werden Brücken zwischen Ländern geschlagen und kulturelle Aspekte (und vieles mehr) vermittelt, die uns sonst unerreichbar blieben.
 

Artikel in Zusammenarbeit mit der portugiesischen Plattform Gerador.

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