Feminismus
Was muss man über die Kunst von Rosemarie Trockel wissen?

Rosemarie Trockel. Siesta, 2000. Acrylfarbe und Bleistift auf Papier
Copyright: VG Bild-Kunst

Die deutsche Künstlerin machte in den 1980-er Jahren weltweit von sich reden, als sie zur führenden feministischen Stimme der Nachkriegsgeneration wurde.

Ihre jüngeren Arbeiten entziehen sich einer klaren Klassifizierung: da sie weiterhin auf die Probleme der Gegenwart reagiert, sieht sich Trockel fast gar nicht an konkrete Formen und Materialien gebunden. Die auf der Ausstellung vorgestellten Werke umfassen den Zeitraum vom Ende der 1970-er bis zum Anfang der 2000-er Jahre. Galina Kukenko schreibt über die künstlerischen Probleme und Kontexte, die uns dabei unterstützen, die Kunst von Rosemarie Trockel besser zu verstehen.

Imitation

Rosemarie Trockel (geb. 1952) gehört zur Generation der deutschen Nachkriegskünstler*innen. Trotz ihrer stilistischen Vielfalt vereinte viele von ihnen ein Interesse am Primitivismus, denn mit dessen Hilfe hofften die Künstler*innen, das historische Trauma der vergangenen Nazi-Herrschaft zu verarbeiten. Die verstümmelten „Helden“ von Georg Baselitz waren direkte Nachfahren der durch die Nazi-Propaganda als „degeneriert“ verdammte Kunst der 1930-er Jahre – ihre verstörende Form sprach dem Publikum der 1960-er Jahre das Recht ab, die Kriegsgräuel in Vergessenheit geraten zu lassen.

Die schlichten Sujets und nichtproportionalen Figuren in den frühen Bildern Trockels standen in geistiger Nähe zur Bewegung der „Neuen Wilden“. Dennoch reichten ihr die Versuche Georg Baselitz´ und anderer Vertreter*innen der „Neuen Wilden“ nicht aus, um den Universalismus der zu dieser Zeit vorherrschenden Abstraktion zu überwinden und über neoexpressionistische Gesten zum Figurativen zu finden – durch das Sprühen von Farbe, das Zeichnen mit Dreck und das Zerkratzen der Leinwand. Trockel suchte andere, weniger heroische Formen, mit dem Körper und der Identität zu arbeiten. So entstanden Hunderte Zeichnungen, hauptsächlich Portraits, ausgeführt mit Bleistift, Filzstift oder Aquarell – naiv, teils skizzenhaft, fast schon psychotherapeutischer Art.
 
Ausstellung Trockel in Moskau © © Goethe-Institut Ausstellung Trockel in Moskau © Goethe-Institut

In der Serie „Hoffnung“ aus dem Jahr 1984 erschließt die Künstlerin ihrem Publikum – ohne die primitive Deformation oder andere starke Effekte mit einzubeziehen – den emotionalen Ausdruck in den Gesichtern von Affen. „Hoffnung“ wirft uns, wie auch eine Vielzahl anderer „Affenarbeiten“ der Künstlerin, auf die Formel der Frührenaissance zurück: „Die Kunst ist der Affe der Natur“. Bildhauende und zeichnende Affen in Renaissance-Gemälden substituierten die Autorität Kunstschaffender, indem sie die Fähigkeit der Affen, Menschen zu imitieren, mit dem Bestreben der Kunstschaffenden, die Natur zu imitieren, in Verbindung setzten. Diese Selbstironie, die nicht mit der zu dieser Zeit vorherrschenden Vorstellung von der Schwäche der Kunst gegenüber der Natur in Konflikt geriet, erlaubte es, die eigene Kraft der erschaffenen Kunstwerke zu verteidigen.
 
Der imitierende Affe repräsentiert somit etwas, das wir gewohnt sind, als menschlich zu erachten, indem wir ihn nämlich auf eine Lachnummer reduzieren. Demzufolge entpuppt sich die Imitation – als Strategie der Schwachen in der Kunst Trockels – als kritische Kraft. So ist zum Beispiel ihre Serie von Arbeiten mit schwarzen Kreisen auf weißem Hintergrund aus der Ferne nicht von den monochromen Werken minimalistischer Kunstschaffender zu unterscheiden. Aus der Nähe besehen wird diese Annahme jedoch auf den Kopf gestellt: anstatt vereinfachter und höchst sinnentleerter minimalistischer Formen präsentiert Trockel ihrem Publikum einen Küchenherd. Mit anderen Worten: anstelle eines Bestrebens der Minimalist*innen, die universelle Gesamtheit körperlicher Erfahrung zum Vorschein zu bringen, erhalten wir eine Einzelheit – und das vermeintlich Unbedeutende zweier Herdplatten. Der dieser Arbeit innewohnende Humor lädt dazu ein, sich die Werke der Minimalist*innen näher anzusehen und ihren Anspruch auf Selbstidentität und Objektivität in Frage zu stellen. Trockel setzte diese Imitation ebenfalls in Bezug auf Sigmar Polke („Freude“, 1998), Kasimir Malewitsch („Cogito ergo sum“, 1988) und andere Kunstschaffende ein.
 

Wolle

Obwohl die Graphik einen wichtigen Platz in der Kunst Rosemarie Trockels einnimmt, brachten ihre aus Wolle erschaffenen „Strickbilder“ ihr weitaus größere Berühmtheit ein. Das Interesse Trockels an einer Reinterpretation des künstlerischen Potentials des Strickens nahm seinen Anfang in den Kölner Werkschulen, die sie von 1974 bis 1978 besuchte. Wolle und Nadeln sind Materialien als „feminin“ geltender Handarbeiten, Materialien eines bodenständigen Alltags. Indem sie großflächige Wollbahnen erschafft, die sich auf die Ästhetik des Minimalismus berufen, problematisiert die Künstlerin den Unterschied zwischen dekorativer Bastelei und einem „richtigen“ Kunstwerk, für das man vermeintlich Farbe und Leinwand benötigt.
 
Wolle Trockel
Fragment eines Strickbildes von Rosemari Trockel | © Goethe-Institut

Stricken ist wie einige andere Phänomene der DIY-Kultur, etwa das Anfertigen von Prints, ein wichtiger Bestandteil feministischer Praktiken, die auf die Überwindung der Vorstellung einer Zweitrangigkeit „weiblicher“ Kreativität und Handarbeit abzielen. Allerdings strickt Trockel ihre „Bilder“ beileibe nicht von Hand. Indem sie die endgültige Umsetzung an eine Strickmaschine delegiert, schafft sie eine komplexe Verflechtung in der Hierarchie unterschiedlicher Materialien, Sujets und Fähigkeiten der Produktion. Farbe oder Wolle, kunstloses Ornament oder flächendeckende Farbe, weibliche Hände oder die Nadeln einer Maschine – all das befeuert die Frage danach, was ein Werk für uns vollkommen macht.

Neben den „Bildern“ kreierte Trockel auch Pullover, Teppiche und andere funktionale Gegenstände. So erarbeitete sie 1986 ein Design für ein Dutzend Sturmhauben mit geometrischen Mustern und wiedererkennbaren Symbolen wie Hakenkreuzen oder Playboy-Häschen. Einerseits war die Serie maschinell hergestellter Kitsch-Sturmhauben ohne Mundausschnitt eine Reaktion auf die Terroraktionen der linksradikalen Baader-Meinhoff-Gruppe. Andererseits proklamierte Trockel, indem sie jedes Stück mit einem deutlich sichtbaren Etikett mit Nummer, Unterschrift und Herstellungsdatum versah, in Anlehnung an Marcel Duchamp den Triumph der konzeptuellen Autorschaft über den funktionalen Gegenstand.

Zeitschrift „Eau de Cologne“

Die in Trockels Kunst vorhandene Vielfalt an Themen und Techniken und genauso die Ironisierung von Mythen der Weiblichkeit rückte sie in die Nähe anderer Künstlerinnen, die postmoderne Strategien verfolgten. Der Beginn ihrer produktiven Tätigkeit fiel in die 1980-er Jahre, in denen politisch Konservative dazu aufriefen, sich auf „traditionelle“ Familienwerte zu besinnen und in denen in den USA wie in Europa die AIDS-Epidemie tobte. Die Verbreitung des postmodernen Ansatzes stand nicht nur im Kontext eines Gefühls für die tiefen Widersprüche, die mit den globalen Veränderungen der Gesellschaft einhergingen, sondern auch mit einer noch nicht dagewesenen Gewalt visueller Bilder. Bei der Jagd nach dem Spektakel waren die Wege zwischen MTV-Clips und Videogames bis hin zur Translation des Kriegs am Persischen Golf kurz. Die Vorstellung, dass die ganze Welt nunmehr aus Bildern besteht, deren Wahrheitsgehalt in Frage gestellt werden muss, bildete auch die Basis kritischer Strategien postmoderner Künstlerinnen.
 
Cindy Sherman imitierte in der Serie „Untitled Film Stills“ die Bilder wehrloser Schönheiten, indem sie Szenen nichtexistenter Schwarz-Weiß-Filme darstellte. Barbara Kruger setzte erklärende Überschriften über bestehende Bilder, die sie der visuellen Sprache von Werbeplakaten entlehnte. In den Jahren 1985–1989 taten sich Sherman und Kruger mit Jenny Holzer, Louise Lawler und Rosemarie Trockel für die Arbeit an der Zeitschrift „Eau de Cologne“ zusammen. Chefredakteurin des Journals wurde die Kölner Galeristin Monika Sprüth, die es als ihre Aufgabe ansah, die Kunst zeitgenössischer deutscher und amerikanischer Künstlerinnen zu verbreiten und außerdem die Texte weiblicher Theoretikerinnen zu publizieren. In ihrer Galerie „Sprüth Magers“ fand 1983 die erste Einzelausstellung Trockels statt, und nur fünf Jahre später waren ihre Arbeiten im New Yorker MoMA zu sehen.

Tier

Sich in Trockels Kunst wiederholende Motive sind der Affe, der Hund und das seltsame Tier. Fragmentarisch oder anthropomorph verwischt es die Vorstellungen von der Integrität des Körpers und einer vorgegebenen Grenze zwischen Tier und Mensch. Das Tier beschäftigt Trockel wie eine Figur, die aus der gemeinsamen Welt ausgeschlossen bleibt, so, als ob es im Vergleich zum denkenden Menschen ein niederes Wesen sei. Nicht zufällig publizierte Trockel 1993 ein Buch, dessen Titel „Jedes Tier ist eine Künstlerin“ in ironische Polemik zur Aussage „Jeder Mensch ist ein Künstler“ von Joseph Beuys trat. Wenn Beuys auf einem erweiterten Kunstverständnis einer in sich den gesamten Bereich menschlicher Sinnlichkeit umschließenden Kunst beharrte, wies Trockel auf die Begrenztheit seiner Formulierung hin (indem sie anstelle des Beuysschen „Künstler“ die weibliche Form „Künstlerin“ verwendete) und gleichzeitig die Marginalität der Sinnlichkeit von Frauen und Tieren für die Welt der Kunst verdeutlichte.
Trockel Tier © © Goethe-Institut Trockel Tier © Goethe-Institut

Trockel wandte sich Tieren nicht nur in Form von Metaphern zu – auch das Schicksal realer Tiere war ihr kein geringeres Anliegen. Auf der Weltausstellung der Gegenwartskunst „documenta X“ stellte sie gemeinsam mit ihrem deutschen Künstlerkollegen Carsten Höller ein „Haus für Schweine und Menschen“ vor. Dem Publikum wurde hier das Angebot gemacht, Schweine zu beobachten, wobei das sie von ihnen trennende Fenster nur in eine Richtung Durchsicht gewährte – die Schweine konnten die Menschen nicht sehen. Sie bewegten sich frei in Hof und Betonhaus und überließen die Besucher*innen des Pavillons möglichen Interpretationen einer Distanz, die durch die Kunstschaffenden hergestellt worden war: Was trennt Menschen und Tiere voneinander? Die Mauern des Schlachthauses? Das Fehlen einer gemeinsamen Sprache? Oder vielleicht auch der Unwillen des Menschen, seine Position des allwissenden Beobachters aufzugeben? Im gleichen Jahr publizierten Trockel und Höller einen Text, der eine Abfolge an Fragen zu den Beziehungen zwischen Menschen und Tieren bzw. Menschen unter ihresgleichen enthielt: „Warum morden auf der ganzen Welt Männer häufiger als Frauen? Was, wenn wir selbst die Tiere töten müssten, die wir essen wollen, und nicht die Möglichkeit hätten, diese unangenehme Sache an andere zu übertragen?“.

Maschine

Trockel wandte sich kein einziges Mal dem Bereich Design und maschinellen Herstellungsverfahren zu, womit sie den Status des Kunstwerks problematisierte. Neben den bereits genannten Strickobjekten – den Pullovern, Sturmhauben und Bildern – zählt zu diesen Werken auch eine Serie von Buchumschlägen. Eine individuelle Form der Kladde, mit der Trockel seit Beginn der 1970-er Jahre arbeitet, drückt das Bedürfnis der Künstlerin aus, sich voller Genugtuung von einem unbekümmerten Bestaunen von Meisterwerken und Genies freizumachen, aus dem sich wiederum der Mainstream der Kunstgeschichte generiert.
 
Im Jahr 1990 erbaute Trockel eine „Zeichenmaschine“, die an einen Webstuhl oder eine Buchpresse erinnert. Deren imposante Ausmaße und die detailgetreue Ausführung schienen übertrieben für eine Maschine, deren Funktionalität sich auf die Herstellung von Linien auf Papier beschränkt. An das Metallgerüst der Maschine waren Pinsel aus den Haaren zeitgenössischer Künstler angebracht, darunter Cindy Sherman, Vito Acconci und Georg Baselitz. Die Pinsel unterschieden sich entsprechend in ihrer Farbe und Struktur und hinterließen, nachdem sie in schwarze Tusche eingetaucht worden waren, unterschiedliche Spuren auf dem weißen Papier. Aus acht Pinseln in sieben Reihen ergaben sich sieben Felder und 56 Striche. Der Pinselstrich, der allgemeinhin als Ausdruck individuellen künstlerischen Ausdrucks gilt, präsentierte sich hier als das Produkt der mechanischen Arbeit einer Maschine.
 
Malmaschine Trockel © © Goethe-Institut Malmaschine Trockel © Goethe-Institut

Interessant ist, dass unter den Künstlerinnen, die ihre Haare gespendet hatten, auch solche wie Cindy Sherman waren, die sich noch zu Studienzeiten am College von der Malerei und vom Zeichnen abgewandt hatte und sich gänzlich der Fotografie widmete. Die in der „Zeichenmaschine“ baumelnden Haarpinsel wirken kümmerlich – und Trockels Werk der Herstellung von Linien enthüllte seinen machtpolitischen, egalisierenden Charakter. Sie zwingt das Publikum zum Nachdenken darüber, was wir erreichen, sobald wir versuchen, das Wesen künstlerischer Individualität zu durchdringen. Und können wir denn dabei überhaupt irgendwann eine Linie von der anderen unterscheiden?

Top