Saratower Gebiet
Stadt Engels
Von Prof. Dr. Sergey Terekhin, Prof. Dr. Olga Litzenberger
Heute ist Engels eine große Stadt mit 227.000 Einwohnern (Stand: 2020). Sie wurde 1747 unter dem Namen Pokrowskaja Sloboda als Umschlagspunkt für den Transport von Salz gegründet, das an der unteren Wolga abgebaut wurde. Damals war es eine kleine Handelsstadt, die ihren Namen der Mariä-Schutz-Kirche verdankte.
Diese Funktion bestimmte das Antlitz der Siedlung: Im 18. Jahrhundert standen Anlegestellen, Lagerräume und Scheunen im Vordergrund. Ende des 19. Jahrhunderts kamen Ölfabriken, Gerbereibetriebe, Wind- und zum Ende des Jahrhunderts auch Dampfmühlen hinzu: An dieser Stelle sei der Gebäudekomplex der Dampfmühle des deutschen Kaufhauses der Brüder Stoll (1906–1909) in der Pristanskaja-Straße 148A erwähnt.
Um 1914, als Pokrowskaja Sloboda sich schließlich zu einer Stadt entwickelte, wohnten hier schon etwa 4.000 Deutsche (11,5% der Bevölkerung). 1922 wurde Pokrowsk zur Hauptstadt des autonomen Gebiets erklärt, ab 1924 wurde sie zur Hauptstadt der Republik der Wolgadeutschen und 1931 in Engels umbenannt. Von 1922 bis 1941 stieg der Anteil der deutschen Stadtbewohner bedeutend an – nämlich auf 18,5% (13.500 Menschen). Die Hauptstadt brauchte dringend fähige Köpfe und Hände – und die deutsche Bevölkerung von Sawolschje zog aktiv in diese Gegend, um die Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten zu nutzen.
Es war daher notwendig, eine ganze Reihe von Objekten zu bauen, die dem neuen Status der Stadt entsprachen. Mit ihrer Planung war ab 1931 das lokale Planungsbüro „Nemprogor“ beschäftigt. Die deutsche Autonomie brauchte vor allem ein republikanisches Verwaltungsgebäude. Da in der kleinen Stadt nichts Geeignetes zu finden war, wurde folgendes vorgeschlagen: Zwei zweistöckige Gebäude (ehemalige kaufmännische Einzelhäuser, die auf dem zentralen Platz standen) miteinander zu verbinden und eine dritte Etage aufzustocken. Die Aufgabe wurde schnell und professionell erfüllt – 1937 bekam die Deutsche Republik ihr Sowjethaus (Regierungshaus), das zum Hauptbestandteil der Bebauung des zentralen Platzes (Lenin-Platz 30) wurde.
In kurzer Zeit wurde hier und zeitgleich in der Nähe eine Reihe von anderen „hauptstädtischen“ Objekten errichtet:
- das Hotel „Zentral“ (heute „Wolga“), 1936–1938, Lenin-Platz, 18),
- das Deutsche Pädagogische Institut (1938, Nesterow-Str. 1),
- das Kino „Rodina“ (1936–1938, Swobody Platz 13, Architekt W. Kalmykow),
- einige Mehrfamilienhäuser, mit dem bemerkenswerten Haus der Gorkomchos (1938–1947, Kalinin-Str. 3), Fachschulen, Schulen, u.s.w. Sie weisen eine bemerkbare Ähnlichkeit mit dem Sowjethaus hinsichtlich Stilistik (eine Kombination aus Konstruktivismus und Monumentalismus), Maßstab, Proportionen und Details auf.
Das architektonische Erbe des kurzen „deutsch-hauptstädtischen“ Zeitraums ist interessant, da es sehr harmonisch ist und voll und ganz dem Kanon der klassischen Dramaturgie entspricht – der Einheit von Zeit, Ort und Handlung.
Prof. Dr. Sergey Terekhin, Prof. Dr. Olga Litzenberger
Standortinformationen:
Stadt Engels, Gebiet Saratow
Lenin-Platz 30, Engels, Gebiet Saratow
Website: engels-archive.ru
In Kooperation mit dem Bayerischen Kulturzentrum der Deutschen aus Russland e. V. (BKDR)