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Der Panzer zielte auf Kafka

Der Panzer zielte auf Kafka - Heinrich Böll © Kiepenheuer & Witsch Es war schon Abend, als Heinrich Böll mit seiner Frau und seinem Sohn René am 20. August 1968 in Prag ankam. Der tschechoslowakische Schriftstellerverband hatte ihn eingeladen, um „sich an Ort und Stelle über den würdigen Verlauf unseres Erneuerungsprozesses zu überzeugen“. Ohne Einladung, aber gleichzeitig mit den drei Gästen aus Köln, machten sich dreihunderttausend Soldaten des Warschauer Paktes auf den Weg, um jegliche Erneuerungsprozesse in der Tschechoslowakei unerbittlich zu unterbinden, um die sowjetische Praxis eines Sozialismus mit unmenschlichem Antlitz im „Bruderstaat“ durchzusetzen und zwar mit Waffengewalt. Die Familie Böll besetzte das Zimmer 315 in dem zentral gelegenen Hotel Alcron.

Die sowjetischen Truppen besetzten in der Nacht zum 21. August die Zentren der politischen, militärischen und geistigen Leitstellen der Hauptstadt – vom Sitz des Zentralkomitees der kommunistischen Partei bis zum Büro des Schriftstellerverbandes. So wurde aus Bölls goodwill tour ein erinnerungsreicher Frontbesuch. So wurde aus dem in Ost und West hoch geschätzten Schriftsteller gezwungenermaßen ein Kriegsberichterstatter. 50 Jahre nach den Ereignissen, die den Lauf der Weltgeschichte mitbestimmten, gibt René Böll die Berichte seines Vaters und seine Zeitungsinterviews neu heraus: Der Panzer zielte auf Kafka. Heinrich Böll und der Prager Frühling. Ergänzt sind diese mit eigenen Erlebnissen, eigenen Fotodokumenten und mit ausgiebigen Anmerkungen. Zum ersten Mal hat man auch Einsicht in Bölls Tagebuchnotizen, auf deren Grundlage die Berichte entstanden sind. Zugleich werden Einsichten über die Ursachen und Eigenarten des „Prager Frühlings“ durch Martin Schulze Wessel gegeben, der eine Studie für diesen Band verfasste. Böll er- und durchlebte in Prag einen seltenen historischen Augenblick, in dem ein ganzes Land vereint – wie in Ungarn 1956 – nach Selbstbestimmung und Freiheit strebte.
 

Heinrich Böll
Der Panzer zielte auf Kafka
Hg. von René Böll. Mit einem einführenden Essay von Martin Schulze Wessel.
Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2018
ISBN: 978-3-462-05155-1
224 Seiten