Internationaler Übersetzertag
Übersetzung ist mehr als nur Paraphrasieren

Übersetzung ist mehr als nur Paraphrasieren
© Goethe-Institut

Coronabedingt beging das Goethe-Institut Thailand den Internationalen Übersetzertag 2021 zwar auf Facebook Live, trotzdem konnten wir gemeinsam die Arbeit von Übersetzer*innen weltweit gebührend würdigen. Beim Übersetzen geht es schließlich nicht nur darum, die rohe sprachliche Bedeutung herauszufiltern, sondern auch darum, das Verständnis und Wissen um den kulturellen Kontext, in dem diese Bedeutung eingebettet ist, zu übertragen. Übersetzer*innen agieren als globale Kulturdiplomat*innen, und es war uns ein Anliegen, diese wichtige Arbeit am Internationalen Übersetzertag zu würdigen.

In der diesjährigen Ausgabe des Internationalen Übersetzertages sprachen wir mit Übersetzer*innen und Herausgeber*innen über ihren Beitrag zum Übersetzungsbetrieb, die Herausforderungen, die damit einhergehen und die je nach Literaturgenre variieren. Unter den Gästen waren der Dolmetscher Ittinat Seeboonruang, der die Gespräche moderierte, Dr. Renate Birkenhauer, Ehren-Vizepräsidentin des Europäischen Übersetzer-Kollegiums in Straelen, Choedchawee Sangchandr, literarische Übersetzerin, unter anderem von Ferdinand von Schirachs „Strafe”, der Verleger Ruangdej Chandergiri, Sudawan Sindhuprama, Übersetzerin von „Rirkrit Tiravanija: Set, Szenario, Situation, Werke 1987–2005“ von Jörn Schafaff, und Piyakal Sinprasert, Übersetzerin von „Die Liebe im Ernstfall“ von Daniela Krien.

Das Europäische Übersetzer-Kollegium: Ein Refugium für Übersetzer*innen

Das Europäische Übersetzer-Kollegium, Europas erstes und größtes Arbeitszentrum für Übersetzer*innen, wurde 1978 mit dem Ziel gegründet, Übersetzer*innen dabei zu helfen, Wissen und Erfahrungen auszutauschen, und einen Ort zu schaffen, wo literarische Übersetzer*innen für einen längeren Zeitraum an ihren Übersetzungen arbeiten können. Das EÜK hat sich auch als Gelegenheit für Übersetzer*innen erwiesen, internationale Netzwerke aufzubauen und gemeinsam Berufsstandards zu entwickeln und zu verbessern.

Viele Bereiche waren in den letzten dreißig Jahren einem dramatischen Wandel unterworfen: Ganz am Anfang gab es dort keine Computer und die Übersetzer*innen fanden sich in der Bibliothek zusammen, um die dortigen Wörterbücher und Nachschlagewerke zu konsultieren. Andere Aspekte wiederum sind weitgehend gleichgeblieben, und die Übersetzer*innen kommen noch immer ganz beseelt mit Inspiration an und sind während ihres Aufenthalts mit Esprit und Hingabe bei der Sache. Obwohl das Übersetzen in Einzelarbeit erfolgt, lernen und entwickeln sich die Bewohner*innen des EÜK gemeinsam, und hinter der Ruhe und der arbeitssamen Atmosphäre der Einrichtung gibt es lebhafte Debatten, bei denen die Übersetzer*innen mittags, abends, bis spätnachts in der Küche über ihre Arbeit diskutieren. Jedes Jahr lädt das EÜK außerdem Schriftsteller*innen ein, mit Übersetzer*innen aus dem Ausland zusammenzukommen, die ihre Werke übersetzen. Die Schriftsteller*innen bleiben gewöhnlich eine Woche, um den Übersetzer*innen dabei zu unterstützen, ihr Verständnis des Texts zu vertiefen und die Absicht des/der Autorin besser zu erkennen.

Das Europäische Übersetzer-Kollegium Das Europäische Übersetzer-Kollegium | © Prodpran Arunyig

Dr. Renate Birkenhauer sprach über die Rolle des bzw. der Übersetzer*in, dessen bzw. deren Arbeit viel Aufopferung und Hingabe erfordert. Obwohl die Technologie schnelle Dienste geschaffen hat, die Übersetzer*innen überflüssig zu machen scheinen, braucht es doch noch immer das menschliche Verstehen, um genau das richtige Wort für einen bestimmten Kontext zu wählen. Es ist schließlich kein leichtes Unterfangen, Bedeutungen von einer Sprache in eine andere zu übertragen. Die Übersetzung von Klassikern wie Goethes Faust ist eine Aufgabe, die sich für jede Übersetzer*innengeneration neu zu stellen scheint, und wenn ein neuer Übersetzer oder eine neue Übersetzerin sich daran macht, muss er oder sie sowohl die Sprache der jeweiligen Epoche als auch die Art und Weise kennen, wie frühere Übersetzer*innen diese Herausforderung bewältigt haben, um eine authentische Stimme zu finden. Die bloße Kenntnis der Ausgangssprache reicht jedoch nicht aus, um sich als Übersetzer*in zu qualifizieren. Übersetzungen fußen auf dem doppelten Fundament der Lektüre und der Literaturrecherche, wobei das Beherrschen der Muttersprache wohl am wichtigsten von allem ist.

Deutschlands linguistische und kulturelle Identität spiegelt sich in seinen Gedichten und Romanen wider, und diese literarische Tradition eröffnet Leser*innen die Landschaft und Geschichte des Landes, seine Zwischentöne und intellektuellen Farben, und seine Politik und Dialekte. Übersetzungen und Übersetzer*innen müssen all das im Namen von Autor*innen als Botschafter*innen einem neuen Publikum erschließen.

Das Herzstück der Übersetzung

Sprache ist das Herzstück der Übersetzung, und bei der Suche nach der passenden Art und Weise, etwas in Thai auszudrücken, was ursprünglich in einer anderen Sprache formuliert wurde, müssen Übersetzer*innen nicht nur den Hintergrund des Textes, sondern auch jenen des bzw. der Autor*in verstehen. Das hilft dem bzw. der Übersetzer*in dabei, den Ausgangstext zu verstehen und dann die Sprache zu verwenden, die dem jeweiligen sozialen, kulturellen und historischen Kontext entspricht. Natürlich muss der bzw. die Übersetzer*in auch den sprachlichen Kontext der verwendeten thailändischen Sprachebene berücksichtigen, und ein Wort kann nur als Transliteration übertragen werden, wenn es auf Thailändisch geläufig ist, oder keine genaue Definition existiert. Übersetzer*innen sollten außerdem mit Fachwortschätzen vertraut sein, und sich eng an den Ausgangstext halten, nichts hinzufügen oder weglassen, obwohl dies verkompliziert wird durch die Tatsache, dass die thailändische und deutsche Sprache grundsätzlich unterschiedlich sind und Übersetzer*innen gemeinsame Grundlagen finden müssen, um eine Verbindung herzustellen. Dies und das Finden der richtigen Stimme, ist für Übersetzer*innen mindestens so schwierig wie für Schriftsteller*innen, indem sie immer neues Wissen erwerben, und sich in Übersetzer*innenverbänden und Netzwerken engagieren. So bauen sich Übersetzer*innen ein breites sprachliches Wissen und spezialisierte Übersetzungskompetenzen auf, wobei jedes neue Projekt wieder neue Welten und neue Wissensgebiete eröffnet, die der bzw. die Übersetzer*in erschließt und genießt.

Übersetzen: Eine Gruppenleistung

Sollen übersetzte Werke veröffentlicht werden, müssen Verleger*innen die Arbeit von Herausgeber*innen, Übersetzer*innen und Gestalter*innen koordinieren. Übersetzer*innen wiederum müssen das Ethos, die Verkaufsstrategie und Marktposition der einzelnen Verlagshäuser verstehen und den Verlag finden, der am besten zu ihrem Vorhaben passt. Herausgeber*innen arbeiten während des ganzen Übersetzungsprozesses eng mit Übersetzer*innen zusammen, denn obwohl das Cover und der Titel der erste Kontakt mit dem bzw. der Leser*in sind, den Inhalt des Buches voll zu verstehen hilft den Designer*innen und Herausgeber*innen, diese zum größtmöglichen Effekt zu gestalten. Außerdem ist wichtig, zu verstehen, wer die potenzielle Leser*innenschaft des Buches ist.

Sehen Sie sich hier die Aufnahme der Veranstaltung an