Aus der Praxis für die Praxis
Alles in einer Box! Vom vielfältigen Einsatz von Wortkarten als Lehrwerkergänzung

Boxen
© Goethe-Institut Thailand


Von Jörg Klinner und Markus Stichel

Hintergrund

Das Lernen mit dem Karteikasten ist spätestens seit den 1970er bekannt, als Sebastian Leitner die Idee in seinem Schlüsselwerk Lernen lernen vorstellte. Seit dem sind viele Lernkateien für verschiedene Anwendungen entwickelt worden: zum Beispiel von mathematischen Formeln über historische Daten bis hin zu Vokabeln, die in diesem Beitrag eine Rolle spielen sollen. Obwohl es viele Designs gibt, ist allen Kästen gemein, dass sie das Lernen systematisieren.
 
Dieses Grundprinzip bewog Jörg Klinner ursprünglich-  im israelischen Schulkontext arbeitend - zwei Wortboxen zu konzipieren, die eine spielerische Ergänzung zum DaF-Unterricht darstellen sollten. Israel gilt als Start-Up-Nation, unzählige Applikationen für Mobilgeräte finden im Alltag ihre Anwendung – da mag es verwundern, dass man sich nicht zu einem digitalen Vokabeltrainer entschlossen hatte. Aber die Entscheidung fiel bewusst zugunsten etwas Haptischem, um das Lernen mit mehreren Sinne anzusprechen und gleichzeitig den Arbeitsaufwand geringer als beim traditionellen Vokabellernen zu halten, dem oftmals noch die Idee des Nürnberger Trichters zugrunde liegt. Nach seiner Versetzung an seinen nächsten Dienstort Bangkok nahm er die Idee auf und erstellte auch für den thailändischen Kontext Lernboxen.
 

Beschreibung

 
Jede Wortbox besteht aus 64 Karten, deren Aufbau es erlaubt, dass bekannte Karten je nach Kenntnis nach hinten wandern oder im vorderen Bereich verbleiben. Bei den Wortschatzboxen sind sowohl Vorder- als auch Rückseite als Medium einsetzbar: Die Bildebene ist Hilfestellung und regt zum Assoziieren an. Auf der  anderen Seite wird nicht nur die Vokabel genannt, sondern es werden auch grammatische Informationen und ein Umgebungssatzes des Wortes aufgeführt sowie eine Übersetzung in die Muttersprache. Das Design soll durch seine Vermischung von Grafik und Echtbild ansprechend sein und zum kreativen Assoziieren für den kommunikativen Lerntypen anregen.

Da das Wortfeld Essen und Trinken nicht nur zum Grundwortschatz (A1-Niveau) des Gemeinsamen Referenzrahmens für Sprachen gehört, sondern auch bei den Lernenden einen konkreten, lebensnahen Bezug hat, waren die betreffenden Wörter schnell gefunden. Die zweite Wortbox sollte komplexere Sprachstrukturen ermöglichen, dennoch aber bekannt sein und weiterhin einen Platz im Leben der Lernenden haben. So entstanden die Karten zum Themenfeld Freizeitaktivitäten. Erst später, im neuen Arbeitsfeld, kamen die Karten mit Bitten und Fragen sowie Themenkarten hinzu, die als Ergebnis von Hospitationen und Prüfungsformattrainings einen stärkeren Bezug zu sprachlichen (Prüfungs-)Aufgaben haben.
 

Zusätzlich zu erwähnen ist die Tatsache, dass die Wortboxen nicht nur Wörter der deutschen Sprache, die Lernende auf dieser ersten Stufe der Sprachkompetenz beherrschen sollten, enthalten, sondern es wurden auch einige Vokabeln gewählt, die im jeweiligen Kulturkreis zum Alltagswortschatz gehören. So gibt es Karten wie Fischsoße, Chili, scharf oder Reis für die thailändische Version, aber auch Falafel, Hummus oder Tahini als Zutaten der israelischen Küche. Um den Bezug zum deutschsprachigen Raum zu wahren, finden sich Sauerkraut oder Knödel – letzte Vokabel kann dabei auch als Einladung zu einem Exkurs in die verschieden Varietäten der deutschen Sprache verstanden werden.
 

Der übergeordnete Lernzweck

 
Wie an anderer Stelle erwähnt, sollte ein Gegenprodukt zu den vielen digitalen Möglichkeiten geschaffen werden, das handlich genug und damit stets griffbereit ist und dass trotz der klassischen Intention eines Karteikasten zum systematischen Lernen zu vielen weiteren Kommunikationsformen einlädt. Gleichzeitig kann der Vokabeltrainer zum effektiven Wiederholen und zur eigenen Lernkontrolle dienen, indem die Verantwortung für den eigenen Arbeits- und Lernprozess an die Schülerinnen und Schüler durch die offenen Aufgabenstellen abgegeben werden. Dabei hilft die Darstellungsform beim Memorieren und ist gleichzeitig Motivation. Die professionelle Produktion der Wort-Bild-Sequenz verhindert Fehlerpotenziale, ist aber keinesfalls abgeschlossen, da selbst erstellte Leerkarten stets Möglichkeiten zur kreativen Erweiterung bieten.
 

Weitere Ziele:

Gerade bei der Arbeit mit Jugendlichen ist eine souveräne Lern- aber auch Lehrautonomie von großer Bedeutung für einen motivierenden und erfolgreichen Unterricht. Über die Jahre stellte sich bei der Arbeit mit Lehrer*innen in Thailand heraus, dass viele von ihnen klare Hinweise zum Einsatz von im Rahmen von Workshops erlernten Inhalten (Bsp.: „Diese App lässt sich gut in Lektion 4, Abschnitt 5 im Rahmen des Regelunterrichts einsetzen“) zwar zu schätzen wissen. Dennoch sind solch präzise Handlungsanweisungen inhärent auch eine Einschränkung der Lehrautonomie, die nicht jede*r Lehrende zu schätzen weiß, weshalb für den Einsatz der Wortkarten zwei Szenarien definiert wurden:

a) Umfangreiche Entwicklung von Handreichungen für jene, die dies wünschen, aber auch
b) Kreative Gestaltungs- und Freiräume für alle anderen, die mit Hilfe der Karten neue Ideen entwickeln und diese im Rahmen des Unterrichts umsetzen möchten.
 
Beide Ansätze teilen jedoch stets ein gemeinsames Ziel: die Schaffung von Sprechanlässen in Partner- oder Gruppenarbeit. An dieser Stelle kommt auch der zuvor beschriebene Punkt b) zum Tragen, da individuelles, entdeckendes Arbeiten durch die Lernenden explizit erwünscht sein kann. Lehrkräfte teilen dabei ihre Autonomie mit den Schüler*innen und motivieren diese  eigenverantwortlich relevante Sprachanlässe zu kreieren, in denen sie als sie selbst agieren. 
 
Bereits erworbene Fertigkeiten können hierbei verwendet und latentes Wissen innerhalb dieser Strukturen, durch die Aktivierung von vorhandenem Wortschatz, erfolgreich in manifestes Können transferiert werden.  
 
Dies hat gleichzeitig Auswirkung auf die Unterrichtsform selbst, da ein solches Handeln durch die Schüler*innen nur durch einen radikalen Wechsel auf Lernerzentrierung möglich ist. Der Lehrende nimmt dabei eine beobachtende Rolle ein, steht als Ansprechperson am Rande des Geschehens, um auf Wunsch oder bei Bedarf gleichberechtigt in den kommunikativen Sprechanlass einzutreten. Die Lernenden hingegen können nicht nur Thema und Inhalt, sondern gleichzeitig auch Tempo und Teilnehmende des Sprechanlasses autonom bestimmen.

Unterrichtsbeobachtungen und Studien haben die nicht zu unterschätzenden Vorzüge eines solchen Autonomiewechsels gezeigt. Als Partnerarbeit eingeführte Sprechanlässe können sich dadurch zu Gesprächen in einer Gruppe ausweiten, Teilnehmende können zwischen den sich thematisch in verschiedene Richtungen entwickelnden Gesprächen wechseln, wobei die Tiefen des Raums in einer Klasse ausgenutzt werden sollten, mit dem Ziel, die Relevanz des Lehrkörpers kontinuierlich zu senken, bis dass diese gänzlich verschwindet.  
   

Beschreibung der Anwendungen in Unterricht und Fortbildung

 
Die Konzeption der Wortboxen mit entsprechenden Wort-/Bildkarten folgt zwei generellen Überlegungen und Zielen: welche Ziele sollen erreicht werden und wie ist dies möglich. 

Der vorherige Abschnitt beschäftigte sich hierbei in erster Linie mit den Wortboxen Freizeitaktivitäten und Guten Appetit (Anm.: zwar ist dies auch mit Fragen & Bitten sowie Themenkarten möglich, den Boxen liegt jedoch grundsätzlich eine andere Intention zugrunde), weshalb an dieser Stelle kurz ein solcher Unterrichtseinsatz beschrieben werden soll.

Im Rahmen eines Deutschcamps mit 40 Schüler*innen aus thailändischen Schulen, mit heterogenen Deutschkenntnissen, verwendeten Lehrkräfte des Goethe-Instituts die Box Freizeitaktivitäten zur sprachlichen Aktivierung der Teilnehmenden sowie zur Sprachstandsermittlung. Hierfür mussten Schüler*innen (Person A) je eine Karte ziehen, sich eine*n Partner*in (Person B) suchen und die Seite mit Motiv in Richtung Person B halten. Kannte diese das Motiv oder war in der Lage, es thematisch einzuordnen, erfolgte eine Frage, die durch Person A beantwortet werden musste. Konnte Person B hierzu keine Frage formulieren, las Person B den ihr zugewandten Text auf Deutsch vor, z.B.: „Wochenende – am Wochenende schlafe ich lang“. War das Wort dann noch immer unbekannt, wurde die thailändische Übersetzung vorgelesen. Anschließend wurden Rollen und nach dem Formulieren und Beantworten einer Frage die Karten getauscht und neue Paare gebildet. Die Lehrpersonen gingen dabei durch den Raum, hörten den Gesprächssituationen zu und ordneten die Sprechenden einer der drei Sprachgruppen des Camps zu.
 
Obschon nichts gegen einen kreativen und eigenständigen Einsatz der Wortboxen Fragen & Bitten sowie Themenkarten durch Lehrende oder Lernende im Rahmen der Ermöglichung von Sprechanlässen spricht, wurden diese intentional für Vorbereitung und Training der Fertigkeit „Sprechen“ der Fit-A1 Prüfung entwickelt. Sämtliche Teile der Prüfung werden durch die Inhalte der Boxen abgebildet.

Eine Karte zu Teil 1, „sich vorstellen“ findet sich in der Box Themenkarten. Hier ist mit Themen und Wörtern gleichzeitig Teil 2 der Prüfung abgebildet, z.B. „Thema „Im Urlaub“, Wort „Strand“. Teil 3 der Prüfung „Fit in Deutsch A1“ kann durch die Box Fragen & Bitten simuliert werden. In dieser befinden sich einseitig bedruckte Karten mit Motiven plus Frage- oder Ausrufezeichen.

Da im Rahmen des Unterrichts, bzw. durch das verwendete Lehrwerk, auf das Format der Prüfung hingewiesen wird, ist der Ablauf des Teils „Sprechen“ meist bekannt. In der Vergangenheit kopierten Schüler*innen für die Prüfungsvorbereitung oft die auf der Seite des Goethe-Instituts frei zugänglichen Modellsätze. Die Anzahl der Karten, in Bezug auf die Wortboxen, ist jedoch stark eingeschränkt mit der Folge, dass diese nach wenigen Runden bekannt waren und Schüler*innen das auswendig Gelernte reproduzierten, anstatt sprachlich frei zu interagieren. Darüber hinaus verursachen Kopieren und Ausschneiden der Wortkarten, zur Simulation des Prüfungsablaufs, vermeidbaren Arbeits- und Ressourcenaufwand.
 
Gestaltung und Haptik der Boxen stellen dadurch auch einen ästhetischen Mehrwert für Schüler*innen dar. Aufgrund relativ niedriger Produktionskosten ist es möglich, diese auf Wunsch allen DaF-Lernenden zur Verfügung zu stellen, mit der Folge, dass sie eigenständig auch außerhalb des Unterrichts zur Hand genommen werden um sich so gemeinsam auf die Prüfung vorzubereiten.

Ausblick

Wie Umfragen durch das Goethe-Institut Thailands zeigten, hat sich der Einsatz der Wortboxen im Rahmen des Unterrichts an PASCH und BKD-Schulen des Königreichs bereits etabliert. Zusätzlich hierzu wurden umfangreiche Handreichungen von Dr. Rainer E. Wicke erstellt, die im Rahmen eines noch zu veranstaltenden Workshops dem Kollegium präsentiert werden. Weitere Wortboxen, u.a. zu den Themen Wohnen, Körper & Gesundheit sowie In der Stadt unterwegs sind angedacht jedoch aktuell noch nicht realisiert.
 
Verfasser:

Jörg Klinner

Leiter Spracharbeit, stv. Institutsleiter mit Arbeitsschwerpunkten: Sprachkurs- und Prüfungsorganisation; Umsetzung sprachenpolitischer Maßnahmen in den Ländern Thailand, Laos und Kambodscha
Joerg.Klinner@goethe.de

 
Markus Stichel
PASCH-Beauftragter am Goethe-Institut Thailand mit den Schwerpunkten: Betreuung Schulnetzwerk; Einführung neuer DaF-Lehrwerke und Organisation von analogen und digitalen Fort- und Weiterbildungen
Markus.Stichel@goethe.de