Johannes Ebert am 28. März 2014
Symposium „Creative Cities"


Sehr geehrte Damen und Herren,

auch wenn ich die schöne Stadt Kobe bisher noch nicht kenne, so habe ich doch den Veranstalter Prof. Kazuo Fujino bereits in Berlin kennen gelernt. Ich danke ihm und meinem Kollegen Rainer Manke für ihre freundliche Einladung auf diese Konferenz und für die Gelegenheit, zu Ihnen zu sprechen.

Weltweit sind enorme Prozesse der Globalisierung im Gange. Sie führen zu tiefgreifenden Veränderung im Leben der Menschen in Stadt und Land. Es gibt keinen Ort, der die Transformationsprozesse deutlicher abbildet und vor Augen führt als das städtische Leben: rasante Urbanisierung und explosives Wachstum.

Die Folgen sind weltweit sichtbar. In den rapide wachsenden Städten der Welt liegen die sozialen und ökonomischen Konflikte auf der Hand. Neben Verstädterung und neuen Infrastrukturen herrschen zum Teil niederschmetternden Situationen: Verslumung, auch unzulängliche Administration und fehlende Infrastruktur sowie Zerstörung des kulturellen Erbes und des kollektiven Gedächtnisses.

Gleichzeitig sind die Städte Anziehungspunkt, Experimentier- und Arbeitsfeld für Künstler und Kreative, Drehscheibe und Labor für Ideen, neue Ansätze und Herangehensweisen. Im Kontext der kulturellen Auseinandersetzung mit dem Thema Stadt betrachten wir die Stadt und die Räume der Stadt als gesellschaftlich produzierte Räume. Die Fragen, die sich im Kontext dieser Thematik stellen lauten:

Wer sind die Akteure?

Durch welche Systeme sind sie gebunden?

Welche Diskurse herrschen vor Ort?

Aber auch:

Welche Rolle kann Kultur in dieser Situation einnehmen?

Wie reagieren Kultur und Stadt aufeinander?

Wo sind die Schnittstellen zwischen Stadt und Kultur?

Wie bereichern sie sich gegenseitig?

Ich möchte kurz auf vier Trends und Entwicklungen im Bereich Urbanismus eingehen:

Informelle Stadt – Informeller Urbanismus

Weltweit finden sich heute informelle Siedlungen in und um große Städte. Es handelt sich meist um selbstorganisierte Strukturen, die häufig keine legale Basis haben und ohne fließend Wasser, Kanalisierung und Elektrizität auskommen müssen. Informelle Siedlungen gibt es übrigens auch in modernen europäischen Städten, auch wenn sie oftmals für die breite Öffentlichkeit nicht sofort sichtbar sind. Wenn man diesen Problemen begegnen möchte, ist die Mitwirkung der Bewohner der informellen Siedlungen zentral. Kultur kann hier wichtige Impulse geben, wenn Architekten und Städteplaner an dieser Stelle ihr Wissen einbringen. In der Zusammenarbeit mit lokalen Bewohnern können sie beitragen, das tägliche Leben zu verbessern.

Umwandlung von Industriebrachen in Kulturstädten – Empty Spaces

Wo immer in Städten der Strukturwandel seine Spuren hinterlassen hat, werden Erfahrungen mit der funktionellen Neubestimmung überflüssiger Flächen und Räume gesammelt. Als Vorreiter dieser – vorwiegend informellen – Stadtaneignung haben sich allenthalben Künstler und „Kreative“ hervorgetan. Meist sind es Vertreter aus dem Kultursektor, die ein solches Abenteuer mit aufgegebenen Gewerbearealen suchen.

Crowdsourced City

Neue Möglichen im Leben und Gestalten einer Stadt ergeben sich durch die Nutzung des Internets, vielerorts werden bürgerschaftliche Initiativen auf „Crowdsourcing“ Plattformen - ein Neologismus, der sich aus ‘Crowd’ und ‘Outsourcing’ zusammensetzt - realisiert. Diese Initiativen sind sowohl in New York wie in Bangalore – also weltweit zu beobachten.

Performativer Urbanismus

Der Performative Urbanismus begreift die Stadt als gelebten Raum. Stadtraum entsteht zwischen Personen, in einem Prozess des täglichen Lebens. Kulturelle Projekte und künstlerische Initiativen spielen bei diesen Prozessen im Stadtraum eine besondere Rolle. Die Architektur einer Stadt schafft eine Situation in der eine neue Wirklichkeit entwickelt werden kann.

Was kann das Goethe-Institut in Bezug auf das Thema Urbanismus einbringen? 
Welche Rolle kann es dabei als „Kulturmittler“ spielen?

Der spezifische Kontext des Goethe-Instituts ist der interkulturelle Dialog – weltweit. Mit unserem Netzwerk (159 Institute in 94 Ländern) schafft das Goethe-Institut Denkräume und Plattformen für Künstler/innen, Urbanist/innen, Aktivist/innen, Architekt/innen, Städteplaner/innen. Es arbeitet vor Ort mit Partnern zusammen, regt lokale, regionale und überregionale Prozesse an. Es ist Veranstalter von Kulturprogrammen weltweit, die Fragen zu Stadtentwicklung, zu urbanen und öffentlichen Räumen aufgreifen. Die Goethe-Institute bringen ein großes Interesse mit an Zivilgesellschaft und Transformationsprozessen und an der Kultur als Träger dieser Prozesse.

Ich gebe Ihnen einige Beispiele:

We-Traders. Tausche Krise gegen Stadt

Viele europäische Städte stehen durch die aktuelle Finanzkrise vor besonders großen Problemen, die sie nicht mehr mit herkömmlichen planerischen Methoden lösen können. In solchen Krisenzeiten nimmt die Wertschätzung von bürgerschaftlicher Eigeninitiative in der Stadtentwicklung zu. Dies will die Plattform „We-Traders. Tausche Krisen gegen Stadt“ nutzen, indem sie innovative Initiativen aus Madrid, Lissabon, Toulouse, Turin und Berlin vorstellt, vernetzt und Möglichkeiten des wechselseitigen Lernens eröffnet. Gemeinsam mit einem Kuratorenteam, zahlreichen Planerinnen, Aktivisten und Wissenschaftlerinnen vor Ort hat das Goethe-Institut ein Konzept erarbeitet, das mit dem Prinzip der Partizipation ernst und es für ein breites Publikum erlebbar macht. Seit September 2013 bis Dezember 2014 lädt das Goethe-Institut ein, in interaktiven Foren, Workshops und Ausstellungen in Madrid, Lissabon, Toulouse, Turin und Berlin sowie über Open Calls im Internet, Teil der We-Traders-Plattform zu werden. Alle Ergebnisse werden laufend im Internet gesichert und sind so für einen überregionalen Austausch verfügbar.

Afritecture - Bauen mit der Gemeinschaft

Die Ausstellung war bis zum 2. Februar 2014 in der Pinakothek der Moderne in München zu sehen. Sie zeigt Projekte zu neuen Formen des Städtebaus in Subsahara-Afrika. Eines davon beschäftigt sich mit Marlboro South, einer informellen Siedlung in Johannesburg, die in leerstehenden Fabrikgebäuden und Brachflächen im Norden der Stadt entstand. Wie sieht die Zukunft dieses Lebensraums aus? Das Goethe-Institut Johannesburg und das südafrikanische Architekturbüro 26'10 South Architects brachten Architekturstudierende der Universität Johannesburg mit Bewohnern von Marlboro South zusammen. Gemeinsam haben Studierende und Siedlungsbewohner das Areal kartographiert, die Lebensbedingungen erfasst und nach Verbesserungsmöglichkeiten gesucht. Die entstandenen Karten, Videos und Modelle dokumentieren einen ganz besonderen Dialog über die Zukunft des Städtebaus, bei dem nicht über die Köpfe der Bewohner hinweg entschieden wird, sondern mit ihnen gemeinsam.

Savamala – eine Stadt erfindet sich selbst

Der Urban Incubator: Belgrad ist ein einzigartiges Projekt zur Aufwertung des benachteiligten Stadtteils Savamala in Belgrad (Serbien). Nicht Planer, Politiker und Investoren, sondern Künstlerinnen und Künstler, Architekten und Architektinnen, Aktivisten und Aktivistinnen und die Bewohner von Savamala arbeiteten ein Jahr lang gemeinsam an der Zukunft des Viertels. Der Urban Incubator setzt sich für eine lebenswerte und menschengerechte Stadt ein und für das eigenverantwortliche Engagement ihrer Bewohner. Im Vordergrund dieser Entwicklung stehen keine kommerziellen oder immobilienwirtschaftlichen Interessen, sondern die kulturellen und sozialen Werte des Quartiers. Der Urban Incubator verfolgt eine partizipative und ergebnisoffene Entwicklung des Quartiers und soll beispielhaft sein für Serbien und die Region. Partner des Goethe-Instituts bei dem Projekt sind die Stadt- und Gemeindeverwaltung Belgrads, darunter der Belgrader Stellvertretende Bürgermeister und Stadtarchitekt, sowie Institutionen, die dort bereits im Kulturbereich arbeiten und mit den noch verbliebenen Bewohnern verlassene Räume zu neuem Leben zu erwecken.

Design, natürlich! - aus Estland und Deutschland

In Estland haben wir mit dem Projekt „Design, natürlich!“ den Aspekt der Nachhaltigkeit herausgegriffen und gleichzeitig eine wichtige Szene der Kreativwirtschaften Deutschlands und Estlands beleuchtet. Im Mai 2012 trafen sich in Tallinn deutsche und estnische Designerinnen und Designer in einem Pop-up-Shop, begleitet durch Vorträge, Präsentationen und Fachdiskussionen. Die beiden Kuratorinnen Magalena Schaffrin und Maarja Tali trafen eine Auswahl unter jungen Labels in Deutschland und Estland, die in ihren Arbeiten die Prinzipien der Nachhaltigkeit verfolgen (ökologisch, ökonomisch, sozial, innovativ). Dieses letzte Beispiel nenne ich auch deshalb, um den Veranstaltungsort hier, das Design and Creative Center Kobe KIITO, zu ehren. Es ist uns eine Freude, mit einer so kreativen Stadt wie Kobe zusammenzuarbeiten, Stadt und Universität haben einen weltweiten Ruf der Offenheit und Internationalität.

Ich freue mich, dass ich heute hier sein kann und wünsche uns allen eine interessante und anregende Konferenz.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Johannes Ebert, Generalsekretär des Goethe-Instituts 

Vorgetragen am 28. März 2014 in Kobe (Japan). Es gilt das gesprochene Wort.

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